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Britannien: Protest gegen Rentenkürzung
Streiks alleine reichen nicht
3. Dezember 2011 | Der grosse Streik gegen die Pensionspläne hat sogar die britische Regierung beeindruckt. Denn ihre Rechnung ist nicht aufgegangen. Aber können die Gewerkschaften nachlegen?
Eine solche Machtdemonstration der britischen ArbeiterInnen hat es schon lange nicht mehr gegeben. Am vergangenen Mittwoch (30. November) verweigerten über zwei Millionen Beschäftigte des Service publics die Arbeit: Zwei Drittel aller Schulen blieben geschlossen, weil nicht nur die LehrerInnen streikten, sondern erstmals in seiner Geschichte auch der Verband der SchulrektorInnen zum Kampf aufrief. Zahllose Ämter hatten zu, weil viele Staatsangestellte nicht erschienen waren. Zöllner und Bewährungshelferinnen, Krankenschwestern und Universitätsdozenten, Gefängniswärter und Putzfrauen, Sozialarbeiterinnen und Gefängniswärter – seit rund dreissig Jahren hatten sich nicht mehr so viele Lohnabhängige am Kampf gegen die Politik einer Regierung beteiligt. Es waren vor allem Frauen, die da streikten, und viele von ihnen hatten noch nie zuvor die Arbeit niedergelegt.
Sie alle protestierten gegen die Pensionspläne des konservativ-liberalen Kabinetts, das mit seltener Verbissenheit den Sozialstaat zurückrollt. Allein in diesem Jahr hat die Regierungskoalition eine Viertel Million Staatsstellen gestrichen und die Gehälter gekürzt; nun will sie auch noch die Pensionsansprüche der öffentlich Beschäftigten reduzieren. Wenn sie all ihre Sparpläne durchsetzen kann, wird es im öffentlichen Dienst 2015 über 700.000 Arbeitsplätze weniger geben, und wer dann noch einen Job hat, muss mit einem Lohn auskommen, der durchschnittlich um ein Sechstel tiefer liegt als heute.
Die Staatsangestellten würden doch nur «ihre Privilegien» verteidigen, behaupteten Premierminister David Cameron und Schatzkanzler George Osborne vor dem Arbeitskampf. In der Privatwirtschaft gäbe es schon längst keine Betriebsrenten mehr. Das ist richtig: Wer im Privatsektor – die Finanzindustrie ausgenommen – die Altersgrenze erreicht, muss sich zumeist mit der staatlichen Grundrente in Höhe von umgerechnet 640 Franken im Monat begnügen. Aber «Privilegien» und «vergoldete Pensionen» im Service public? Am Ende ihres Arbeitslebens bekommt die Hälfte der unterdurchschnittlich bezahlten Staatsbediensteten gerade mal 8000 Franken oder weniger – im Jahr.
Das hat sich mittlerweile herumgesprochen. Und so ging die Teile-und-herrsche-Strategie der Regierung nicht auf. Umfragen zufolge zeigten über sechzig Prozent der Bevölkerung Verständnis für den Streik. Ein Grossteil der BritInnen weiss inzwischen, wem die hohe Staatsschuld zu verdanken ist. Dass sich die Stimmung ändert, hat offenbar auch die Regierung begriffen. Sie offerierte vor dem Streik ein paar Zugeständnisse und verlängerte nach dem Streik die Frist für ein Abkommen mit den Gewerkschaften über das Jahresende hinaus.
Der Grosskampftag am 30. November war nicht die erste Aktion der Gewerkschaften gewesen. Bereits im März hatten knapp 500.000 GewerkschafterInnen gegen die Kürzungspolitik der Regierung demonstriert und Ende Juni waren etwa 700.000 Staatsbedienstete in den Ausstand getreten, darunter auch die Callcenter-Angestellten der Londoner Polizei. Unison, die grösste Service-public-Gewerkschaft, hat inzwischen weitere Streiks angekündigt. Aber können Arbeitsniederlegungen allein die Regierung zum Einlenken bewegen? Kampfmassnahmen etwa im Sozialbereich sind ja eine heikle Sache: Einen Aktionstag wie den letzte Woche finden viele gut; sollten aber Krankenwagenfahrer, Pflegerinnen, Kindergärtnerinnen oder das Lehrpersonal in einen dauerhaften Streik treten, könnte die Sympathie schnell ins Gegenteil umschlagen. Dazu kommt, dass die Gewerkschaften mit ihren nur noch 7,3 Millionen Mitgliedern finanziell kaum in der Lage sind, einen langen Kampf zu führen.
Dass es auch andere, noch populärere Protestformen gibt, haben zumindest zwei Gewerkschaftsvorsitzende erkannt. Und so bedankten sich Len McCluskey von Unite, der mit 1,5 Millionen Mitgliedern grössten britischen Gewerkschaft, und Mark Serwotka, Generalsekretär der Service-public-Gewerkschaft PCS, bei der Flashmob-Initiative UK Uncut. Deren AktivistInnen hatten letzte Woche den Streikposten heissen «Solidari-Tea» serviert. Und beide, McCluskey wie Serwotka, riefen ihre Mitglieder auf, sich am nächsten UK-Uncut-Aktionstag zu beteiligen. Die Initiative organisiert direkte Aktionen wie die Besetzung von Bankfilialen (siehe auch den Artikel Eine Krabbelstube in der Bankfiliale) oder Sit-Ins in Läden von Firmen, die Steuern hinterziehen. Für den 17. Dezember, dem wichtigsten Verkaufstag vor Weihnachten, plant UK-Uncut ein Massen-Go-In und lässt derzeit per Facebook darüber abstimmen, wen es diesmal treffen soll. Im Rennen ist auch die Drogeriekette des Konzerns Boots, der 2008 sein Hauptquartier in einen Zuger Briefkasten verlegt hat. (pw)