Kapital & Arbeit: Weit auseinander im Einzelhandel
Bereit für die Zukunft?
23. August 2021 | Am Freitag und Samstag vergangener Woche streikten VerkäuferInnen der Konstanzer Esprit-Filiale gegen drohende Lohnkürzungen. Denn es geht um viel: Wer zahlt die Zeche für Misswirtschaft, Profitgier und die Folgen der Corona-Krise?
Der Fototermin war nur kurz, aber wichtig: Am vergangenen Freitag versammelten sich Beschäftigte des Modeunternehmens Esprit rund zehn Minuten lang vor dem Lago-Center, in dem sich auch die Verkaufsräume der Konstanzer Filiale befinden. Unterstützt wurden sie dabei von rund zwanzig KollegInnen des Esprit-Outlet-Centers in Metzingen, die eigens an den Bodensee gefahren waren, um dem Protest Nachdruck zu verleihen. Danach zogen die Streikenden aus Metzingen und Konstanz durch die Innenstadt. Die zentrale Botschaft ihrer Aktion: Keine Sanierung auf dem Rücken der Beschäftigten.
Der zweitätige Warnstreik war angesetzt worden, weil sich am selben Tag die Unternehmensleitung und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di erstmals seit längerem wieder zu Verhandlungen trafen. Die Geschäftsführung des 1968 in San Francisco gegründeten Konzerns verlangt von seinen Belegschaften weitgehende Zugeständnisse – obwohl das Unternehmen, so der regionale ver.di-Sekretär Markus Klemt, «global erstmals seit 2017 wieder schwarze Zahlen schreibt».
Mit Sitz in einer Steueroase
Esprit Holdings mit Konzernsitz auf den Bermudas, einer Finanzzentrale in Hongkong und einer Geschäftsleitung in Ratingen (D) ist in rund vierzig Ländern präsent und betreibt in Deutschland derzeit 50 eigene Stores. Vor der Coronakrise erzielte das Unternehmen einen Umsatz von 1,4 Milliarden Euro, knapp über die Hälfte davon in Deutschland. Nach einem covid-bedingten Einbruch der Verkaufszahlen leitete die Konzernspitze allerdings Ende März 2020 ein Schutzschirmverfahren ein, begann mit Umstrukturierungen, schloss 72 der vor kurzem noch 122 Filialen, entließ rund tausend Beschäftigte und verkündete im November: «Esprit ist jetzt eine schlankere und fittere Organisation und bereit für die Zukunft.» Die Gruppe, die über neunzig Prozent ihrer Artikel in Asien fertigen lässt, befände sich nunmehr «in einer wirtschaftlich tragfähigen Position», wie es in einer Pressemitteilung heißt. Aber vielleicht hat das Unternehmen die Rechnung ohne jene gemacht, die Tag für Tag den Ertrag erwirtschaften.
Denn nun verlangt es von seinen Beschäftigten, dass sie und ihre Gewerkschaft einen «Zukunfts- und Sanierungstarifvertrag» unterzeichnen, der anstelle des alten Tarifvertrags treten soll, den die Chefs gekündigt haben. Dieser neue Vertrag sieht zwar die Beibehaltung des Flächentarifvertrags im Einzelhandel vor – aber keine Lohnerhöhungen bis 2025, keine Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld in den nächsten vier Jahren sowie eine Kürzung der tariflichen Zuschläge. Die Lohnabhängigen lehnen diesen Sparkurs vehement ab und fordern ihrerseits einen Digitalisierungs- sowie Qualifizierungstarifvertrag, der ihre Interessen bei der bevorstehenden Ausweitung des Onlinehandels und der Digitalisierung der Arbeitsabläufe angemessen berücksichtigt.
Drei Jahre lang gar nichts
Die Positionen sind weit voreinander entfernt – gut möglich also, dass die Esprit-Beschäftigten den Arbeitskampf fortsetzen müssen. Ähnlich groß ist übrigens die Kluft bei der laufenden Tarifauseinandersetzung im Groß- und Einzelhandel. Hier fordert ver.di eine sofortige Lohnerhöhung von 4,5 Prozent, einen Mindestlohn von 12,50 Euro, 100 Euro mehr für Auszubildende und – an die Adresse der Politik gerichtet– eine Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags. Die Unternehmensseite bietet hingegen so gut wie nichts: Nur jene Firmen, die gut durch die Krise gekommen sind, seien zu einer Lohnerhöhung um zwei Prozent bereit, heißt es. Die andern hingegen wollen keinen Cent mehr zahlen – und das die nächsten drei Jahre lang.
Eine einfache Lösung wird es nicht geben – weder bei Esprit noch im Handel überhaupt. Es hängt also vieles davon ab, ob es ver.di gelingt, die VerkäuferInnen zu mobilisieren. Bei Esprit Konstanz ist immerhin etwa die Hälfte der rund 15 Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert. Außerdem gehört die Filiale zu den wenigen Konstanzer Handelsbetrieben, die – neben Zara, Karstadt und Kaufland – einen Betriebsrat hat, der sich vor kurzem auch mit den Beschäftigten von Edeka-Baur solidarisierte. Da ist vielleicht nicht viel. Aber darauf kann man bauen. (pw)
Dieser Beitrag erschien auch im regionalen Online-Magazin seemoz.de.