Kapital: Corona und Benko bei Karstadt Konstanz
«Wir sind sehr krisenerprobt»
15. Mai 2020 | Diese Woche hat das Warenhaus-Unternehmen Galeriadie Schließung von weiteren Häusern angekündigt. Der Schrumpfungsprozess des angeschlagenen Konzerns geht also weiter. Wie verkraften die rund 160 Beschäftigten von Karstadt Konstanz solche Nackenschläge?
Wie die meisten Geschäfte hatten am 18. März auch die Karstadt-Filialen in Konstanz und Singen zusperren müssen. Fünf Wochen lang waren sie völlig zu, dann durften ab 23. April im Erdgeschoss 800 Quadratmeter zu einer Art Apothekendienst geöffnet werden: die Kundschaft gab an, was sie wollte, dann holten die Beschäftigten die Ware. Zwei Wochen später begann dann wieder der Normalbetrieb. Wie haben die KollegInnen diese Zeit erlebt – und was bedeutet der Schutzschirm, den der Konzern am 1. April aufspannen ließ? Darüber berichten der Konstanzer Karstadt-Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter Juris Reksans.
Karstadt Konstanz hat einen fünfwöchigen Lockdown und zwei Wochen einer teilweisen Sperrung hinter sich. Was hat das für Euch vom Betriebsrat bedeutet? Hattet Ihr Pause?
Stefan Mancassola: Also ich konnte mich persönlich nicht zurücklehnen. Wir vom Betriebsrat haben auch während der Lockdownphase im Hintergrund weiter gearbeitet. Erst ging es ja in Kurzarbeit, dann kam ab 1. April das Schutzschirmverfahren dazu. Damit mussten wir uns als Betriebsrat und Gesamtbetriebsratsmitglieder natürlich befassen. Dann was bedeutet das für die Belegschaft, was kommt auf sie zu? Was müssen wir tun, um Schaden abzuwenden? Wie viel Kurzarbeitergeld bekommen die Kolleginnen und Kollegen, was bedeutet ein Schutzschirmverfahren, wie funktioniert die Entlohnung, welche Auswirkungen hat es auf die örtlichen Betriebsräte und die Belegschaften? Und was muss man tun, um da durchzukommen.
Die Unsicherheit war also groß.
Ja. Dazu kam, dass wir nur schleppend informiert wurden. Beim Schutzschirmverfahren läuft alles über einen sogenannten Sachwalter. Wenn wir eine Frage hatten, dauerte die Antwort eine Woche, weil sie erst rechtlich geprüft und vom Sachwalter bestätigt werden musste.
Ganz am Anfang, Mitte März, wusste niemand, dass der Schutzschirm kommen würde. Da war das Geschäft einfach zu.
Juris Reksans:In den ersten beiden Wochen waren wir in Kurzarbeit und bekamen 60 Prozent vom Nettolohn beziehungsweise 67 Prozent für Kolleginnen mit Kindern.
Lange Zeit hätten das die schlecht bezahlten Verkäuferinnen kaum durchstehen können.
Stefan Mancassola:Richtig. Deswegen haben wir die örtlichen Politiker angesprochen. Wir haben einen offenen Brief an der Oberbürgermeister geschickt und ähnliche Schreiben an die Landtagsabgeordnete und den Bundestagsabgeordneten gesandt, um darauf aufmerksam zu machen, dass man in unserem Niedriglohnsektor davon nicht leben kann und existentiell bedroht ist. Also habenwir gefordert, dass die Politik das Kurzarbeitergeld auf 80 bis 97 Prozent anhebt.
Gab es Reaktionen?Juris Reksans: Wir waren erfolgreich. Diese Woche hat die Bundesregierung das Kurzarbeitergeld auf 80 bis 87 Prozent angehoben.
Stefan Mancassola: Der Bürgermeister und die Abgeordneten haben uns zurückgeschrieben, dass sie unsere Sorgen und Nöte teilen und versuchen werden, uns zu unterstützen. Frau Erikli hat das nach Stuttgart mitgenommen, Herr Jung nach Berlin und Herr Burchardt hat mir zurückgeschrieben, dass wir nicht die einzigen waren, die sich bei ihm gemeldet hätten.
Wie viele andere Handelsunternehmen hat Karstadt von heute auf morgen zumachen müssen. Wie war das für eure KollegInnen?
Juris Reksans: Einen Tag, bevor der Lockdown begann, haben wir für alle Abteilungen Chat-Gruppen eingerichtet. Wir wollten, dass die Kolleginnen und Kollegen erreichbar sind und auch ihre Sorgen teilen können.
Worüber habt ihr in den Chatgruppen debattiert?
Zuerst einmal darüber, wie es allen geht, wie der Alltag funktioniert, wie man sich in diesem Nichtstun einrichtet. Die Angst vor dem Virus und die Ungewissheit waren ja groß. Anfangs stand die Gesundheit an erster Stelle. Aber dann kamen immer mehr Fragen zur Arbeit – vor allem als der Schutzschirm aufgespannt wurde.
Anfang April hat die Unternehmensleitung von Galeria, wie die Warenhäuser von Karstadt und Kaufhof seit der Fusion heißen, ein Verfahren beantragt, das vor Gläubigern schützt und in dem Beschäftigte ohne gewerkschaftliche Mitsprache und ohne Abfindung entlassen werden können. Wie haben die Kolleginnen und Kollegen reagiert?
Stefan Mancassola: Zuerst mit Entsetzen, Unsicherheit, Angst. Die große Frage war ja: Was passiert jetzt? Da hast du zuerst den Virus mit all seinen Folgen – und dann kommt noch ein Schutzschirmverfahren hinzu, das als Vorstufe der Insolvenz gilt.
Juris Reksans: Viele von uns haben schon mal eine Insolvenz durchgemacht, und man weiß ja: Wenn eine Firma längere Zeit zu hat, dann hat das Folgen für unsere Umsätze und Auswirkungen auf das Personal. Hier war unsere neue Kommunikation per Chat wichtig, weil man sich gegenseitig benachrichtigen und manchmal auch beruhigen konnte. Das hat den Zusammenhalt stabilisiert.
Stefan Mancassola: Sehr wichtig war auch, dass wir auf die Nachrichten in den Medien eingehen konnten. Wenn die Meldungen falsch waren oder übertrieben, konnten wir dem entgegenwirken. Es gab ja viel Spekulation: Was steckt hinter dem Schutzschirmverfahren, warum wurde es beantragt? Da konnten wir auch als Betriebsrat Aufklärungsarbeit leisten.
Der Schutzschirm bedeutete dann aber auch, dass die Belegschaft wieder den normalen Lohn bekam.
Juris Reksans: Sogar etwas mehr. Unser üblicher Lohn beruht auf einem Sanierungstarifvertrag, der nach der Insolvenz 2009 abgeschlossen wurde [siehe Kasten]. Seither bekommen wir einen Lohn, der um rund 15 Prozent unter dem liegt, was der Flächentarifvertrag für den Einzelhandel vorsieht. Durch das Insolvenzgeld im Schutzschirmverfahren erhalten wir jetzt aber den Tariflohn; das hat jeden persönlich aus der Misere herausgeholt. Wir bekommen etwas mehr als sonst. Das war gewissermaßen die Kompensation für die Einbussen durch das Kurzarbeitergeld in der zweiten Märzhälfte.
Der Schutzschirm war – so problematisch er selber ist – für euch also ein Glück im Unglück?
Stefan Mancassola: Monetär auf jeden Fall. Bei vielen macht das ein paar hundert Euro mehr im Monat aus.
Und was kommt nach dem Schutzschirmverfahren, das Ende Juni ausläuft?
Das ist die große Frage. Das wissen wir nicht. Gehen wir in eine Planinsolvenz? Das können wir im Moment nicht sagen
Im Juni letzten Jahres habt ihr hier in Konstanz für einen höheren Flächentarifvertrag gestreikt und dafür, dass euch wieder der Tariflohn gezahlt wird. Dann aber wurde das durch die Fusion von Karstadt und Kaufhof wieder in Frage gestellt. Kehrt mit der drohenden Insolvenz die alte Unsicherheit zurück?
Juris Reksans: Auf jeden Fall.
Es könnte also sein, dass es am Ende bei einer Art Sanierungstarifvertrag bleibt, dass die Belegschaft, die sich eine reguläre Bezahlung erhofft hat und dafür auch streikte, auch künftig unterdurchschnittlich entlohnt wird?
Stefan Mancassola: Das weiß man jetzt noch nicht. Aber es ist eine Option.
Juris Reksans: Unser derzeitiger Haustarifvertrag regelt die Gehaltsabsenkung, sieht aber als Gegenleistung eine Bestandswahrung für die Häuser und das Personal vor. Wenn jetzt allerdings die Firma, wie angekündigt, Häuser schließen wird und Personal abbaut, wäre die Gegenleistung für unseren Verzicht, nämlich der Bestandsschutz, nicht mehr gegeben. Bisher war die Beschäftigung im Konzern sehr instabil. Jetzt kommt es darauf an, dass möglichst viel Leute weiter arbeiten können. Die Frage ist, zu welchem Lohn. Wir träumen zwar alle davon, dass unsere Löhne endlich wieder zum Flächentarif zurückkehren, aber jetzt geht es vor allem darum, Beschäftigung zu sichern.
Die Aussichten waren aber auch schon vor der Pandemie nicht gut.
Juris Reksans: Wir haben einen Markt, der sich für die Geschäftsform Warenhaus eng darstellt, davon müssen wir ausgehen. Ich hoffe, dass irgendwann der Punkt erreicht ist, an dem sich die Beschäftigungssituation stabilisiert. Der Strukturwandel digital gegen stationär setzt sich zwar fort, aber unsere Betriebsform wird sich behaupten.
Hat sich dieser Prozess durch die Viruskrise und den Lockdown beschleunigt?
Juris Reksans: Witzigerweise nicht unbedingt. Amazon soll zwar Zuwächse haben, andererseits hat die Konsumstimmung einen Dämpfer bekommen. Ich glaube schon, dass die Digitalisierung weiter geht, aber nicht so beschleunigt wie gedacht. Die Leute wollen vor Ort eine gute Beratung haben, das ist unsere Stärke.
Stefan Mancassola: Die Corona-Krise könnte sogar eine Chance für das Warenhaus sein. Es bietet ja alles unter einem Dach. Bei uns gibt es Elektrogeräte, Töpfe, Stoffe, Bettwaren, Bekleidung, Schuhe, Papierwaren, Parfümerieartikel: Ein Kunde muss in dieser schwierigen Zeit also nur unser Haus betreten, um sich mit dem Nötigen einzudecken. Das Warenhaus könnte aus der Krise gestärkt hervorgehen.
Ihr macht euch um den Bestand der Konstanzer Filiale keine Sorgen?
Juris Reksans: Gar nicht. Konstanz ist ja keine normale Stadt, Konstanz ist eine Grenzstadt. Wenn die Grenze wieder geöffnet wird, kommt auch dank des hohen Frankenkurses die Schweizer Kundschaft zurück. Außerdem belebt der Sommertourismus unser Stadtbild. Beides wird uns – wie bisher – auf eine erfolgreiche betriebswirtschaftliche Schiene heben.
Vielleicht haben aber die Schweizerinnen und Schweizer jetzt entdeckt, dass es auf ihrer Seite auch Läden gibt.
Juris Reksans: Sofern es die noch gibt. Ich war vor einiger Zeit in Bischofszell und anderen Orten – und es ist schon heftig zu sehen, wie verlassen die Städte sind, während hier die großen Zentren von Edeka, Kaufland oder Lago ganz auf die Schweizer Kundschaft getrimmt wurden.
Teilen eure KollegInnen den Optimismus, den ihr habt?
Stefan Mancassola: Im Großen und Ganzen schon. Wir als Karstädter sind sehr krisenerprobt. Bei uns jagt ja eine Krise die nächste. Wir in Konstanz haben jede Krise gut gemeistert, das stärkt die Belegschaft. Das liegt auch daran, dass der Betriebsrat über die Jahre gute Arbeit geleistet hat und immer noch leistet. Das gibt den Mitarbeitern die Zuversicht, dass wir es auch diesmal schaffen.
Juris Reksans: Wir haben ja auch eine Top-Position im Unternehmen. Wir gehören zu den erfolgreichsten der 170 Galeria-Filialen. Das wissen die Leute.
Gleichwohl steigt mit Corona die Arbeitslosigkeit, die Einkommen sinken, Kaufkraft und Konsumlaune nehmen ab …
Stefan Mancassola: Das merkt man ja schon heute. Wer ab 17 Uhr durch die Altstadt geht, sieht, wie leer sie sein kann. Ab 18 Uhr sind ja Dreiviertel aller Geschäfte geschlossen. Andererseits gibt es in Konstanz kaum Industrie, vielleicht trifft es uns nicht ganz so hart. Aber es stimmt, künftig werden sich viele überlegen, wofür sie ihr Geld ausgeben.
Macht es einen Unterschied, ob es einen Betriebsrat gibt oder nicht?
Juris Reksans: Ganz klar. Wir haben mit der Geschäftsleitung über Arbeitszeiten gesprochen und versucht, Erleichterungen zu schaffen. Wir haben erreicht, dass vor allem die Auswärtigen weniger in Spätschicht arbeiten, weil der Nahverkehr eingeschränkt war. Wir haben die Einhaltung der Gesundheitsschutzmaßnahmen überprüft und sind mit der Geschäftsführung mehrmals durch alle Abteilungen gegangen.
Stefan Mancassola: Als örtlicher Betriebsrat nutzen wir die vielen Möglichkeiten der gesetzlichen Mitbestimmung. Die meisten Entscheidungen müssen von uns akzeptiert werden.
Gab es durch die Krise bisher Entlassungen?
Nein. Es sind nur eine Handvoll befristete Arbeitsverträge ausgelaufen, betroffen waren vor allem Schüler und Studentinnen. Alle anderen Befristungen laufen bis zum Herbst beziehungsweise bis Anfang nächstes Jahr.
Juris Reksans: Es gibt auch erfreuliche Nachrichten: Vorletzte Woche wurde eine Auszubildende in Vollzeit und unbefristet übernommen. Das zeigt: Trotz Krise geht noch was.
Aber es gibt noch viele Teilzeitbeschäftigte?
Stefan Mancassola: Rund sechzig Prozent unserer Leute arbeiten in Teilzeit.
Juris Reksans: Aber dazu gehöre auch ich: Ich arbeite neunzig Prozent, bin also auch in Teilzeit angestellt. Wir haben mutmasslich ein schwieriges halbes Jahr vor uns, aber ich kann mir gut vorstellen, dass die Welt im Frühjahr 2021 anders, wieder erholt aussieht. Dann kann es gut sein, dass wir selbstbewusst in die Tarifrunde 2021/22 gehen. Das kommende halbe Jahr stellt nicht nur uns vor Herausforderungen, sondern den gesamten Handel überall in Europa.
Lernt die Gesellschaft etwas aus der Krise – beispielsweise im Umgang mit gesellschaftlich relevanten Berufsgruppen etwa im Pflegebereich, beim Transport oder im Handel?
Stefan Mancassola: In all diesen Bereichen wäre eine Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge wichtig. Wir brauchen für all die Menschen, die jetzt harte Arbeit leisten, eine klare Perspektive. Für sie muss ein Tarifvertrag gelten, wenn möglich mit höherem Entgelt. Damit es künftig nur noch einen Qualitätswettbewerb gibt und keinen Unterbietungswettbewerb mehr.
(pw)