Kapital & Arbeit: WTO-Konferenz in Katar

Die Konzerne sitzen mit am Tisch

8. November 2001 | Nach dem Scheitern der Welthandelskonferenz in Seattle versucht die WTO einen neuen Anlauf. Sollte die Doha-Runde ebenfalls fehlschlagen, werden die rechen Staaten andere Wege einschlagen.


Der Tagungsort erfüllt alle Voraussetzungen für ein Treffen der Mächtigen und ihrer Abgesandten. Parteien und Gewerkschaften sind verboten, im Parlament (eine beratende Versammlung) sitzen ernannte Honoratioren, Fremde benötigen ein Visum, und die Monarchen können problemlos ein Grossaufgebot an Sicherheitskräften bereitstellen.

Und doch sträubte sich der für Handelsfragen zuständige US-Staatssekretär Robert Zoellick bis Ende vorletzter Woche gegen Doha, Hauptstadt des Emirats Katar, als Treffpunkt für die vierte Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO). Und das obwohl Katar nach dem Fiasko von Seattle (1999) als einziger Staat bereit gewesen war, eine WTO-Tagung abzuhalten. Singapur sei doch auch ein geeigneter Ort, argumentierte Zoellick (wohl mit Blick auf eine Repressionsskala, die Singapur weit oben platziert), und ausserdem viel sicherer.

Zoellicks Sorge um die Sicherheit der US-Delegation im islamischen Katar passte jedoch schlecht zu den Bemühungen der US-Regierung, die ihre fragile «Allianz gegen den Terror» auch im arabischen Raum erhalten will. Also sprach US-Vizepräsident Dick Cheney ein Machtwort, Zoellick reduzierte die US-Delegation auf ein Minimum, und so werden nun von Freitag bis Dienstag nächster Woche in der Festung von Doha und unter dem Schutz von US-Flugzeugträgern im Persischen Golf die Regierungsdelegationen der 142 WTO-Staaten über das weitere Vorgehen der Welthandelsorganisation entscheiden.

Terror und Freihandel

Nicht nur der US-interne Streit um den Tagungsort zeigt, wer auch weiterhin den Ton angibt bei der hemmungslos-kapitalistischen Globalisierung. Die US-Regierung betrachtet die Konferenz auch als Demonstration der «freien Welt» gegen den Terrorismus. Freier Handel oder Terror, Liberalisierung oder Usama Bin Laden – diesen Ton hat der Handelsbeauftragte Zoellick kurz nach dem 11. September angeschlagen. «Terroristen hassen die Ideen, für die Amerika steht», sagte er in einer Rede Ende September, und man müsse sich fragen, ob da «nicht intellektuelle Verbindungen» zu anderen existierten, die ebenfalls «gewaltsam das internationale Finanzsystem, die Globalisierung und die Vereinigten Staaten» attackieren.

In Doha soll nun repariert werden, was in Seattle fast zu Bruch gegangen wäre. Die damals gross angekündigte «Millenniumsrunde» scheiterte an den gegensätzlichen Zielen der Industriestaaten untereinander, an den unterschiedlichen Interessen von Erster und Dritter Welt, am Protest der (vorwiegend gewerkschaftlich organisierten) DemonstrantInnen, die das Tagungszentrum belagerten – und nicht zuletzt an der mangelhaften Vorbereitung.

1999 glaubten die reichen Länder noch, die ärmeren Staaten locker über den Tisch ziehen zu können. Um ein ähnliches Debakel zu vermeiden, feilte die WTO (mit Sitz in Genf) diesmal lange an der Tagesordnung und hielt gleich zwei Vorbereitungskonferenzen ab. Im September trafen sich in Mexiko die RepräsentantInnen von 18 Regierungen (es waren fast ausschliesslich Industrieländer vertreten), und Mitte Oktober kamen in Singapur 22 Staaten zusammen.

Privatisierung. Oder Entwicklung.

Die Katar-Konferenz der 142 Mitgliedsstaaten soll den Rahmen und die Ziele der WTO-Verhandlungen in den nächsten Jahren festlegen und die Frage klären, ob eine weitere Liberalisierungsrunde eingeläutet wird. Die ärmeren Länder lehnen die von den Industriestaaten geforderte weitere Öffnung der Märkte jedoch ab. Zuerst müssten die Benachteiligungen behoben werden, die den Entwicklungsländern durch die bestehenden WTO-Verträge entstanden seien, ausserdem würden die Industrieländer selber ihre Märkte abschotten.

GewerkschafterInnen, Umweltverbände und Hilfswerke sehen das ähnlich. Auf weitere Liberalisierungen müsse verzichtet werden, sagt beispielsweise die Schweizer Koordination gerechter Welthandel, dringend nötig sei dagegen «eine Runde einseitiger Konzessionen der Industrieländer an die Entwicklungsländer ohne Gegenleistung».

Selbst die Weltbank verlangt eine Entwicklungsrunde. Die ärmeren Länder hätten von den WTO-Verträgen bisher kaum profitieren können, heisst es in der Weltbank-Studie «Making Trade Work for the World's Poor», die Ende Oktober veröffentlicht wurde.

Die reichen Staaten aber drängen auf eine neue Liberalisierungsrunde, in die auch die Ergebnisse der Separatverhandlungen in den Bereichen Landwirtschaft, Dienstleistungen und geistiges Eigentum einfliessen sollen. Eine Reihe von Industrieländern – allen voran die USA – haben die weitere Deregulierung und Privatisierung der öffentlichen Dienste ganz oben auf der Tagesordnung stehen.

Über eine Ausweitung des 1994 abgeschlossenen WTO-Dienstleistungsabkommens Gats (General Agreement on Trade in Services) wird seit Februar 2000 neu verhandelt. Ziel ist, die national regulierten Dienstleistungen dem internationalen Wettbewerb auszusetzen. Multinationale Konzerne fordern schon lange eine Privatisierung der Wasserwerke, des Gesundheitswesens, des Bildungssektors, der Post, des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs. Gewerkschaften und Hilfswerke lehnen einen weiteren Ausverkauf des Service public hingegen strikt ab, der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) zum Beispiel fordert ein Verhandlungsmoratorium und eine öffentliche Debatte.

Investitionsschutz in Nafta

Wenn in Katar die Gats-Frage debattiert wird, sitzt der US-amerikanische Grosskonzern Enron mit am Tisch. Der grösste Energiehändler der USA hat sich in den letzten Jahren zu einem der mächtigsten privaten Dienstleistungsanbieter der Welt entwickelt, der sich von einem weiteren Abbau des Service public neue profitable Investitionsmöglichkeiten verspricht. In Europa beliefert die Firma rund 200 Stadtwerke und Unternehmen mit Strom. In den letzten Wochen ist der Aktienkurs des Unternehmens stark abgesackt, da in der Bilanz ein Milliardenloch aufgetaucht war – aber der politische Einfluss des Enron-Managements ist ungebrochen.

Kein Wunder: Der in Houston (Texas) ansässige Konzern hat mehr Geld für den Wahlkampf der Republikaner spendiert als andere US-Unternehmen. Es war eine nützliche Investition. Heute gilt Enron-Chef Kenneth Lay als wichtigster Energieberater des US-Präsidenten, ausserdem durfte die Firma die US-Energie-Regulierungskommission mit ihren Leuten bestücken. Zu den «Beratern» des Multis gehören solch illustre Figuren wie der ehemalige US-Aussenminister James Baker. Auch der Handelsbeauftragte Robert Zoellick hat schon «Honorar» bezogen.

Auf dessen Wunschliste ganz oben steht auch eine Übernahme der Nafta-Regeln zum Schutz von Investoren. Die im Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (Nafta) vereinbarte Konfliktregelung gibt ausländischen Unternehmen die Möglichkeit, Entschädigungen einzuklagen, wenn nationale Bestimmungen den «Handel» behindern.

Was darunter zu verstehen ist, zeigte das Beispiel der US-amerikanischen Müllfirma Metalclad, die 1997 ein Nafta-Schiedsgericht anrief. Der mexikanische Bundesstaat San Luis Potosí hatte dem Unternehmen die Genehmigung für eine Giftmülldeponie verweigert, da diese das Trinkwasser der Region gefährdet hätte. Ein klarer Verstoss gegen Nafta, entschied das Tribunal im August 2000, und verurteilte Mexiko zur Zahlung von umgerechnet 25 Millionen Franken.

In einem anderen Fall, der derzeit von einem Schiedstribunal beraten wird, hat der kanadische Bestattungskonzern Loewen die US-Regierung auf 1,4 Milliarden Franken Schadensersatz verklagt. Der Konzern war 1996 von einem Gericht im US-Bundesstaat Mississippi zur Zahlung von rund 240 Millionen Franken verurteilt worden, weil er ein kleines Beerdigungsinstitut drangsaliert hatte. Statt in Revision zu gehen, zog Loewen vor das Tribunal, das seine Klage zuliess.

Kommt der Patent-Kompromiss?

Solche Verhältnisse würden die USA gern weltweit einführen – und dazu braucht es eine neue Liberalisierungsrunde. Vor der aber stehen in Katar die Forderungen der Entwicklungsländer. Diese wollen nicht länger hinnehmen, dass die Industriestaaten beispielsweise mithilfe der Antidumping-Bestimmungen ihre Ökonomien vor Drittwelt-Importen schützen und mit über einer Milliarde Franken täglich ihre Landwirtschaft subventionieren (und die solcherart verbilligten Agrarprodukte auf den Weltmarkt werfen). Ausserdem verlangen sie eine Korrektur der bisherigen WTO-Abkommen.

Besonders wichtig ist den Entwicklungsländern eine Änderung von Trips; dieses Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum schützt vornehmlich die Interessen der Pharmamultis und der agrochemischen Konzerne. Es geht dabei vorwiegend um Patente.

In einer gemeinsamen Erklärung forderten die armen Länder vor kurzem, dass Trips kein Mitgliedsland abhalten darf, «Massnahmen zu ergreifen, um die öffentliche Gesundheit zu schützen». Die vorbereitete Abschlusserklärung von Doha enthält zu dieser Frage zwei Entwürfe. Die erste Version entspricht der Drittwelt-Forderung. Die zweite orientiert sich eher an den USA, die das Patentregime nur in Ausnahmefällen lockern wollen (etwa bei Epidemien). Damit weicht die US-Regierung von ihrer strikten Haltung ab. Ihr wäre es auch schwer gefallen, eine Ablehnung jedweder Änderung durchzustieren – hatte sie doch selber erst vor Wochen mit dem Bruch des Bayer-Patents auf das Milzbrandmedikament Cipro gedroht und so dem deutschen Pharmakonzern einen geringeren Preis abgehandelt.

Gut möglich also, dass die USA und die Europäische Union in diesem Punkt ein Stück nachgeben. Dafür aber werden sie den Entwicklungsländern die Zustimmung zu einer neuen Liberalisierungsrunde abnötigen. Und wer da dann das Sagen hat, ist nicht schwer zu erraten.


Nachtrag (2015): Es kam dann doch nicht zum Abschluss der WTO-Liberalisierungsrunde. Stattdessen begann die EU-Kommission mit Kanada, mit den USA und mit zwanzig weiteren Staaten Geheimverhandlungen über weitreichende Freihandelsabkommen. (pw)


Proteste von Genf bis Sydney

Im Grunde genommen, so formulierte es kürzlich ein Kommentator der britischen Tageszeitung «Financial Times», habe in letzter Zeit niemand so viel für die Liberalisierung des Welthandels getan wie Usama Bin Laden. Sein Argument: Die Anschläge vom 11. September hätten auch die globale Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung hinweggefegt. Wunschdenken eines Leitartiklers? Nicht ganz, denn «die Bewegung» tut sich schwer (und das nicht nur, weil viele AktivistInnen vollauf mit Antikriegsaktionen beschäftigt sind).

Mit dem 11. September sind der als «antiglobal» karikierten Bewegung die Symbole und auch ein Teil ihres taktischen Vorgehens abhanden gekommen. Wie kann man noch die Dominanz US-amerikanischer Konzerne herausfordern – ohne in die Nähe fanatischer Islamisten zu geraten? Wie will man noch die Abläufe in Finanzzentren stören, ohne mit dem Millionär Bin Laden in Verbindung gebracht zu werden? Jede Art von Gewalt – und sei sie noch so symbolisch gemeint – steht nun im Ruch des Terrorismus.

Wohl auch deswegen wird die Opposition gegen eine weitere Liberalisierung des Welthandels derzeit von eher traditionell agierenden Gruppen getragen. In Beirut zum Beispiel findet seit Montag der WTO-Gegengipfel statt, an dem auch die bekannten GlobalisierungskritikerInnen Vandana Shiva und Samir Amin teilnehmen. Das Treffen, organisiert von libanesischen NGOs, durfte bekanntlich nicht in Katar abgehalten werden.

Noch eindrücklicher freilich sind die Aktionstage, zu denen der Internationale Bund Freier Gewerkschaften (ICFTU) schon vor Monaten aufgerufen hat. An ihnen beteiligen sich nach letzten Meldungen GewerkschafterInnen in über dreissig Ländern. Seit Mitte Oktober zieht beispielsweise eine Gewerkschaftskarawane durch Kanada, und in der Türkei haben am Montag Sternmärsche und Sternfahrten in Edirne, Diyarbakir, Samsun und Gaziantep begonnen (Ziel ist jeweils die Landeshauptstadt). Grossdemonstrationen sind angekündigt in Australien, Bangladesch, Indien, Hongkong, Mauritius, Nigeria, Norwegen, Südafrika; Gewerkschaften von Brasilien bis Tunesien, von Russland bis Kolumbien planen Protestkundgebungen, Veranstaltungen und Flugblattaktionen in den Betrieben.

Nur die numerisch starken deutschen Gewerkschaften haben bis auf eine kleine Basisaktion in Nürnberg nichts vorzuweisen. Dafür können süddeutsche GewerkschafterInnen nach Genf reisen, wo die grosse Schweizer WTO-Demonstration stattfinden wird. Zeitpunkt: Samstag, 10. November, 14 Uhr. Versammlungsort: Place Neuve. (pw)