Kapital & Arbeit: Selectas Sozialplan und eine Übernahme

Teures Ende

15. Februar 2001 | Wenige Tage nach einer Vereinbarung mit süddeutschen Streikenden wurde der Zuger Multi Selecta vom britischen Multi Compass geschluckt.


Man komme schon klar mit der Konzernleitung, die Gewerkschaft sei anerkannt, auch ordentliche Tarifverhandlungen würden geführt. Sicher, es gebe die üblichen Auseinandersetzungen, aber als Arbeitgeber sei das Unternehmen nicht viel schlimmer als andere. Das sagt ein Sprecher der britischen Gewerkschaft Unison über die Compass Group, die am Montag dieser Woche bekannt gab, dass sie den Schweizer Verpflegungskonzern Selecta ganz übernehmen wolle. Solch freundliche Worte kann Karl-Heinz Müller über Selecta nicht finden. Der Singener Geschäftsführer der deutschen Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) ist immer noch empört über die Art und Weise, wie die Zuger Firma mit ihren Beschäftigten umsprang.

Über fünf Jahre lang hatte das Unternehmen seiner Belegschaft im südbadischen Raum einen Tarifvertrag und Lohnerhöhungen verwehrt. Als die AutomatenbefüllerInnen schliesslich genug hatten und Anfang Dezember 2000 in Streik traten, drohte das deutsche Selecta-Management mit der Schliessung der Niederlassung Hilzingen (bei Singen). Die zwanzig Streikenden liessen sich davon nicht beirren – und hatten Erfolg. Selecta gab nach und akzeptierte eine Lohnerhöhung, gleichzeitig unterzeichnete die Geschäftsführung eine Vereinbarung über die Aufnahme von Kollektivverhandlungen mit allen 750 Beschäftigten in Deutschland (also nicht nur mit den Streikenden). Die Verhandlungen beginnen an diesem Freitag.

An der Stilllegung der Niederlassung Hilzingen hielt das Unternehmen allerdings fest – und das war den Streikenden mittlerweile auch recht. Man habe sowieso jede Lust verloren, für dieses Unternehmen zu arbeiten, sagte der Singener Selecta-Betriebsratsvorsitzende Siegfried Badent schon vor Wochen, damals aber hinter vorgehaltener Hand. Nach deutschem Recht müssen im Falle einer so einschneidenden betrieblichen Umstrukturierung Betriebsrat und Geschäftsleitung über einen Sozialplan verhandeln, um die sozialen Folgen betriebsbedingter Entlassungen abzufedern.

Der zu Beginn dieser Woche unterzeichnete Sozialplan sieht für die zwanzig Beschäftigten der Niederlassung Hilzingen Abfindungen in Höhe von insgesamt 740.000 Mark vor. Unternehmensangaben zufolge entspricht diese Summe dem Jahresgewinn von Selecta Deutschland. Der Streik, so Müller von der NGG-Singen, «hat sich also gelohnt». Erstens sei eine Lohnerhöhung herausgesprungen, zweitens habe die Firma einen Tarifvertrag für alle akzeptieren müssen. Und drittens muss sie auf Basis der höheren Löhne auch höhere Abfindungen für eine Belegschaft zahlen, die aufgrund ihrer Erfahrungen mit diesem Arbeitgeber ohnehin kein Interesse an einer Weiterbeschäftigung hatte. Die Niederlassung Hilzingen wird Ende Juni geschlossen, der letzte Arbeitsvertrag läuft Ende September aus. Bis dahin dürften die meisten jedoch einen neuen Arbeitsplatz gefunden haben.

Doch damit ist die Geschichte nicht vorbei. Kurz nach Selectas Schliessungsdrohung hat die Verwaltungsstelle Singen der IG Metall alle Betriebsräte in der Region aufgerufen, die Geschäftsbeziehungen mit Selecta zu beenden. Da in den meisten Unternehmen der Betriebsrat für die Verpflegung der Beschäftigten zuständig ist («Betriebsräte haben in diesem Bereich eine grosse Gestaltungsbefugnis», sagt Wolfram Schöttle von der Singener IG Metall), darf Selecta demnächst Verpflegungsautomaten aus rund zwei Dutzend Betrieben einsammeln. Die Firma habe einen «Herr-im-Hause-Standpunkt an den Tag gelegt», der «ins vorletzte Jahrhundert» passe, schrieben Metall-Betriebsräte in einer Resolution an Selecta Deutschland.

Das Unternehmen wolle nun mit Arbeitskräften operieren, die 600 bis 700 Mark weniger verdienen als die bisher Beschäftigten, sagt Müller. Doch dieses Konzept könne kaum aufgehen – bisher waren im Schwarzwald und am Bodensee AutomatenbefüllerInnen am Werk, die zur Not auch ein Schweissgerät bedienen konnten, wenn dies erforderlich war. Und Reparaturen gab es genug. Ohne ein Standbein in den Betrieben dürfte es Selecta sowieso schwer fallen, in der Region präsent zu sein. Solche Details kümmerten die Börsenmakler freilich wenig, als sie das Kaufangebot der britischen Compass Group mit einem kräftigen Kurssprung feierten. Vielleicht glauben sie ja, dass die neue Konzernzentrale in Britannien etwas weniger verbohrt und dünkelhaft verbissen mit den Beschäftigten umgeht. Denn dort herrschen meist pragmatische Leute: Sie sind brutal, wenn es die Umstände erlauben, können aber auch moderat sein, wenn örtliche Gepflogenheiten und Widerstand von unten dies erfordern.

Die neue Compass-Führung wird aber kaum Veränderungen vornehmen. Schliesslich gehörten ihr auch bisher schon ein Drittel der Selecta-Aktien, zudem will sie am bisherigen Management festhalten. Wenn die hiesigen Selecta-Beschäftigten ihre Lage verbessern wollen, müssen sie schon selber aktiv werden – und sich vielleicht in Singen erkundigen. Dort wissen inzwischen einige, wie das geht. (pw)