Nordirland: Protestantische Abrüstung
Späte Erkenntnis, aber ein zu kurzer Sprung
2. Juli 2009 | Die Loyalisten geben ihre Waffen ab, doch die Spannungen bleiben.
Nun haben sich die Chefs der protestantischen Paramilitärs also doch überzeugen lassen, den längst überfälligen Schritt zu tun. Am Samstag gab die Ulster Volunteer Force (UVF) bekannt, dass sie ihre Waffen «unbrauchbar» gemacht habe. General John de Chastelain, der kanadische Vorsitzende der nordirischen Abrüstungskommission, bestätigte die Vernichtung des UVF-Arsenals. Und wenige Stunden später verkündete die Ulster Defence Association (UDA), dass sie ebenfalls mit der «Aussergebrauchsetzung» ihrer Pistolen, Maschinengewehre und Sprengstoffe beginnen will.
Das ist eine gute Nachricht. Denn UVF und UDA hatten während des dreissig Jahre dauernden Nordirlandkonflikts eine zentrale Rolle gespielt. Die loyalistischen Paramilitärs waren Kriegspartei: Sie verteidigten mit allen Mitteln ihren protestantisch-nordirischen Staat, den die Irisch-Republikanische Armee (IRA) lange Zeit erbittert bekämpfte. Sie standen loyal zum monarchistischen Britannien, das die RepublikanerInnen von der irischen Insel vertreiben wollten – und sie ermordeten Katholiken, als der Krieg noch gar nicht begonnen hatte. Bereits 1966 erschoss ein UVF-Kommando Menschen, die es für Republikaner, zumindest aber für Sympathisanten der nordirischen Bürgerrechtsbewegung hielt. Später sorgten UVF-Todesschwadronen mit ihren massenhaften Vertreibungen der irisch-nationalistischen Bevölkerung dafür, dass die IRA überhaupt entstand – als Schutztruppe der bedrängten Minderheit.
Die Loyalisten zerbombten Pubs, metzelten Frauen und Männer nieder und erschossen Unbeteiligte und mutmassliche RepublikanerInnen – oft mit Rückendeckung der britischen Geheimdienste, die die protestantischen Killerkommandos ausbildeten, anleiteten und mit Waffen versorgten. Über tausend Menschen, zumeist Unbeteiligte, fielen ihren Anschlägen zum Opfer.
UVF und UDA waren eine wesentliche Kraft. Die beiden Verbände verfügten zeitweise über 20 000 Freiwillige, die jederzeit losschlagen konnten; der IRA hingegen gehörten selten mehr als 500 aktive Mitglieder an. Und als die IRA 1996 ihren Waffenstillstand ausrief, sagten loyalistische Kommandeure mit stolzgeschwellter Brust: «Wir haben den Feind besiegt.»
Sie hatten damit nicht unrecht. Gegen den loyalistischen Terror Anfang der neunziger Jahre und die gezielte Tötungsstrategie («shoot to kill») des Staates fand die IRA kein Mittel. Aber warum dauerte es so lange, bis sich die Einsicht, gewonnen zu haben, bei UVF und UDA in einer Abrüstung niederschlug? Immerhin hatte die IRA ihre Bestände schon vor vier Jahren versiegeln lassen. Zwei Gründe sind dafür ausschlaggebend. Erstens wurde der Krieg auf beiden Seiten in Arbeitervierteln geführt, in denen die Benachteiligten den Friedensprozess auf der abgehobenen, politischen Ebene mit grosser Skepsis verfolgten – da behielt man lieber mal die Pistolen. Zweitens verstanden vor allem die protestantischen ArbeiterInnen und Arbeitslosen die Niederlage der IRA irrtümlich als Sieg: Dass sich die IRA-Partei Sinn Féin in den Staat einbinden liess, den die RepublikanerInnen zerschlagen wollten, interpretierten sie als raffinierte Strategie, Nordirland doch noch mit der irischen Republik zu vereinen, und fühlten sich verraten. UVF-Führer wie David Ervine hatten die realen Machtverhältnisse schnell erkannt, aber es brauchte wohl eine Weile, bis diese Erkenntnis auch bis zur Basis durchsickerte.
Ist also alles gut? Leider nicht. Noch immer sperrt sich der britische Staat – der sich der Loyalisten gern bediente, diese aber, falls sie mal erwischt wurden, sofort inhaftierte – gegen jede Aufklärung der Kollaboration. Wer etwa erschoss die MenschenrechtsanwältInnen Pat Finucane und Rosemary Nelson? Und wer gab den Auftrag dazu? Solange nicht offiziell anerkannt ist, dass die Loyalisten kaum mehr waren als besonders hässlich agierende Bauern auf der britischen Seite des Schachbretts, sehen sich vor allem die Jungen als hehre Verteidiger der britischen Krone. Und kämpfen weiterhin gegen alles Fremde. Dazu gehören längst nicht mehr nur die KatholikInnen.
Besonders in protestantischen Arbeitervierteln kommt es immer wieder zu Attacken auf ethnische Minderheiten: Chinesinnen, Polen, Portugiesen, selbst philippinische Krankenschwestern. Letzte Woche flüchteten hundert Roma aus Nordirland, weil Arbeiterjugendliche sogar die Kirche, in der sie Zuflucht gesucht hatten, angriffen. Solche Szenen kennt man inzwischen auch in anderen europäischen Staaten. In Nordirland aber entspringen sie einem auch vom Staat lange genährten Überlegenheitsgefühl der ProtestantInnen, das die Unterdrückung der anderen rechtfertigte.
Die mittlerweile politisch denkenden Chefs der Loyalisten verurteilten zwar die Übergriffe, verhinderten sie aber nicht – genauso wenig wie die nordirische Regierunag, in der auch die republikanische Partei Sinn Féin sitzt. Der Weg hin zu einer nordirischen Gesellschaft ohne Parallelwelten und ohne Diskriminierung ist noch weit. (pw)