Nordirland: Ian Paisley tritt zurück
Der grosse Neinsager hat sich selbst besiegt
13. März 2008 | Belfasts Regionalpremier Ian Paisley wurde von seiner Vergangenheit eingeholt. Was kommt nun?
Noch ist er da, noch dirigiert er als Erster Minister das nordirische Regionalkabinett – aber seit Ian Paisley angekündigt hat, dass er im Mai zurücktreten wird, ist eine Ära zu Ende. Bis 2011, bis ans Ende der Legislaturperiode, hatte der ehemals populärste Politiker Nordirlands regieren wollen. Doch nun warf Paisley das Handtuch – und fast alle sind traurig. Der Dubliner Regierungschef Bertie Ahern nannte ihn einen «Giganten» der irischen Geschichte, der Londoner Premierminister Gordon Brown sagte, dass sein «Einsatz unsere Dankbarkeit» verdiene, und Gerry Adams von der IRA-Partei Sinn Féin schrieb, dass man ihn doch irgendwie «gern gehabt» habe. Nur seine AnhängerInnen hielten sich mit Lobhudeleien zurück.
Keiner hat so sehr die Geschichte des nordirischen Konflikts geprägt wie Ian Paisley. Schon in den sechziger Jahren war er als damals noch junger Prediger pausenlos durch Nordirland gezogen und hatte in Gebetshallen, an Strassenecken und auf Arbeiterversammlungen vor den Gefahren gewarnt, die «unserem protestantischen Ulster» drohen. Er sprach mit seiner mächtigen Stimme von Ausverkauf, von Verrat – und malte den Teufel in Form des Papstes an die Wand. Viele nahmen ihm das ab. Als ich vor zwanzig Jahren Gusty Spence fragte, weshalb er schon 1966 gegen die IRA kämpfte – die es damals faktisch gar nicht gab – und drei Menschen tötete, beschränkte sich die Antwort des langjährigen Chefs eines protestantischen Killerkommandos auf die knappe Aussage: «Ich habe damals Ian Paisley geglaubt.»
Ian Paisley war deswegen so erfolgreich, weil er die tiefsitzende Angst einer Siedlergemeinschaft artikulierte, die sich von FeindInnen umzingelt sah. «Keine Unterwerfung!», lautete eine seiner Parolen, mit denen er alle in die Knie zwang, die den protestantischen Einheitsstaat ein bisschen reformieren und der benachteiligten irisch-katholischen Minderheit ein paar Rechte einräumen wollten. Der Sekten- und Parteigründer und seine Gefolgschaft fegten mit Massenkundgebungen, Streiks und an der Urne nacheinander Terence O'Neill, James Chichester-Clark, Brian Faulkner und schliesslich David Trimble hinweg – allesamt protestantisch-unionistische Premiers, die kleine Kompromisse suchten. Paisley war der Geburtshelfer der IRA, und je heftiger die irischen RepublikanerInnen gegen den britischen Staat kämpften, desto mehr wuchs sein Nimbus in der protestantischen Bevölkerung. Er habe das alles vorhergesehen, sagten seine Fans – und wählten ihn mit grossen Mehrheiten ins britische Unterhaus, ins Europaparlament und in die neue nordirische Assembly.
Dort jedoch holte den Meister der selbsterfüllenden Prophezeiung die Vergangenheit ein. Anfangs kämpfte er noch vehement gegen das Karfreitagsabkommen, das vor zehn Jahren verabschiedet worden war. Als jedoch vor einem Jahr London und Dublin seiner Democratic Unionist Party (DUP) das Messer auf die Brust setzten und mit einer engeren Bindung Nordirlands an den verhassten Feind Irland drohten, übernahm Paisley als Chef der grössten nordirischen Partei im Mai 2007 das Amt des Ersten Ministers einer Allparteienregierung, in der seine ehemaligen Erzfeinde von Sinn Féin/IRA den zweitwichtigsten Part spielen.
«Ich habe Sinn Féin zerschlagen», begründete Paisley in einem BBC-Interview am Wochenende seinen damaligen Schritt, «ich habe ihnen den Boden unter den Füssen weggezogen: Sie kämpften gegen den britischen Staat, nun sitzen sie in einer britischen Regierung.» So ganz unrecht hat er damit nicht - immerhin war er Pate vieler probritischer Todesschwadrone gewesen, die Hunderte von KatholikInnen niedermetzelten, bis die IRA einen Kampf einstellte.
Und doch goutierte seine Basis die neue Funktion nicht. Warum, so fragten sich viele, versteht er sich so blendend mit seinem Stellvertreter, dem ehemaligen IRA-Stabschef Martin McGuinness, den er früher ein «Monster» und einen «Mörder» nannte? «Chuckle Brothers», Kicherbrüder, werden die beiden genannt (ihre Harmonie liegt auch darin begründet, dass Sinn Féin alle linken Ziele fahren liess). Und warum geniesst ihr Big Man so sehr sein Amt als Politchef von Nordirland? Ist es sein Big Ego? Nur teilweise. Dem charismatischen und privat überaus grossherzigen und humorvollen Paisley hat es einfach gefallen, mit seinem Amtsantritt dem betulichen unionistischen Establishment eins auszuwischen, das ihn so lange als Paria behandelt hat.
Jenen, die in ihm lange Zeit einen Vorkämpfer gegen eben dieses Establishment sahen, gefiel das weniger. Alte Getreue wandten sich von ihm ab, in seiner Freien Presbyterianischen Kirche rumorte es, DUP-Abgeordnete planten einen Putsch gegen ihn. Dazu kamen die anrüchigen Geschäfte seines Sohnes Ian Paisley junior mit einem Immobilienspekulanten. Den Senior, der so oft Nein sagte, holten die Geister ein, die er einst beschworen hatte: Noch immer steht ein Grossteil der protestantischen Bevölkerungsmehrheit einer Machtteilung mit den VertreterInnen der katholischen Bevölkerungsminderheit skeptisch gegenüber. So gesehen hat Ian Paisley am Ende politisch gesiegt – auch über sich selber. (pw)