Nordirland: Aufregung nach dem Bankraub
Noch ein paar Nägel für den Sarg der IRA
24. Februar 2005 | Die irisch-republikanische Partei hat sich mit tatkräftiger Unterstützung aus London und Dublin in eine Sackgasse manövriert.
«IRA-Raubgeld entdeckt» – «Adams als Mitglied des IRA-Armeerats» – «IRA-Mann killt Katholik» – «Friedensprozess in der Tiefkühltruhe» ... es ist schon eine Weile her, dass sich die Medien mit solcher Wonne auf das Thema Nordirland stürzen konnten. Die letzten Wochen hatten ja auch einiges zu bieten: zuerst der grösste Bankraub in der Geschichte des Vereinigten Königreichs mit rund 58 Millionen Franken Beute, danach Hausdurchsuchungen bei IRA-Mitgliedern und eindeutige Schuldzuweisungen aus London und Dublin («die IRA wars»), anschliessend eine Messerstecherei in einer IRA-Hochburg und zuletzt die etwas bizarr anmutende Behauptung des nordirischen Polizeichefs: Die IRA, sagte Hugh Orde am Wochenende, habe einen Teil der Millionenbeute in der Toilette eines Belfaster Polizei-Sportklubs versteckt, «um die Polizei in die Irre zu führen». Es darf gelacht werden. Oder nicht?
Aber was ist neu an den Enthüllungen, die derzeit für Schlagzeilen sorgen? Natürlich ist die Sinn-Féin-Führung um die Unterhausabgeordneten Gerry Adams und Martin McGuinness im IRA-Armeerat vertreten. Das ist seit langem bekannt, konnte – oder sollte – nur nie bewiesen werden. Natürlich raubt die IRA Banken aus. Schliesslich braucht auch eine politisch inaktive Untergrundorganisation Geld. Doch das hat bisher niemanden gross interessiert. Die Sinn-Féin/IRA-Spitze liess die alten Kämpen gewähren, um sie politisch ruhig zu stellen: So manche IRA-Mitglieder glauben immer noch, dass der Kampf gegen die «britischen Besatzer» wieder aufgenommen werden kann, und wollen in Übung bleiben. Aus demselben Grunde haben die staatlichen Behörden bis vor kurzem mehr als nur ein Auge zugedrückt: Ihnen sind ein paar Bankräuber lieber als eine politische Guerilla.
Ausserdem kam es ihnen zupass, dass die «Ra», wie die IRA in Belfast genannt wird, zunehmend als «Rafia» apostrophiert wurde. Eine Bande, die im eigenen Umfeld an Akzeptanz verliert und nur noch als kriminelle Vereinigung wahrgenommen wird, kann dem Staat nicht mehr gefährlich werden – zumal sich mittlerweile herumgesprochen hat, wie sehr die IRA von britischen Agenten durchsetzt ist. Platzierten diese die Geldtüten in der Polizei-Sportklub-Toilette platziert und riefen danach die Kollegen an?
Vielleicht haben ja Adams und McGuinness den Raubzug auf die Northern Bank genehmigt – aber wenn sie das taten, hatten sie sich gründlich verschätzt. Bisher konnten sie davon ausgehen, dass die Regierungen in London und Dublin auf sie als Garanten des Friedensprozesses nicht verzichten und der IRA daher so manches durchgehen lassen würden. Seit dem Scheitern der letzten Friedensgespräche – die protestantische Mehrheitspartei DUP von Ian Paisley hatte eine Unterwerfung der IRA verlangt, die selbst der politisch überaus flexible Adams nicht akzeptieren konnte – sind die Premiers Tony Blair und Bertie Ahern aber offenbar zum Schluss gekommen, dass an Paisley kein Weg vorbeiführt, an Adams und McGuinness aber sehr wohl. Anders sind die heftigen Attacken auf die bisher hoch angesehenen Verhandlungspartner nicht zu verstehen. Dass die Räuber statt der erhofften Beute in Höhe von vielleicht ein paar Millionen eine viel höhere Summe mitnehmen konnten, hat die Sinn-Féin/IRA-Spitze womöglich am meisten überrascht – und in eine grosse Krise gestürzt.
Denn mit ihren Dementis, denen kaum jemand glaubte, verlor die IRA-Partei Sinn Féin Zug um Zug an Glaubwürdigkeit. Während des Kriegs hatte die IRA viel Glaubwürdigkeit gewinnen können, weil sie selbst dann zu ihren Fehlern stand, wenn diese verheerende Auswirkungen hatten. Dieser Ruf ist nun dahin. In den republikanischen Vierteln von Nordirland war dieser Vertrauensverlust bis letzte Woche kaum spürbar gewesen – in den IRA-Hochburgen glaubt ohnehin niemand den britischen Medien. Aber dann wurde auch dort bekannt, dass Ende Januar ein hochrangiges IRA-Mitglied im Belfaster Bezirk Short Strand im Verlauf einer Kneipenschlägerei einen republikanischen Arbeiter erstochen hatte. So etwas kommt vor. Aber dass die IRA bis heute ihren Mann deckt und ZeugInnen einschüchtert, mögen selbst eingefleischte RepublikanerInnen nicht mehr akzeptieren. Auch in der Republik Irland, wo Gerry Adams bis vor kurzem noch als beliebtester Politiker galt, schwinden die Wahlchancen von Sinn Féin rapide.
Sinn Féin hat sich in eine Ecke manövriert. Aus der kommt die Partei nur heraus, wenn sie sich von ihrem militärischen Flügel trennt. Darauf drängen nicht nur die Regierungen in London und Dublin und die Medien, sondern auch immer mehr RepublikanerInnen. Mit der IRA und ihrer neuen Verlogenheit können Adams und McGuinness politisch nicht überleben. Das weiss die Sinn-Féin-Führung – und so ganz ungelegen kommt ihr die neue Stimmung nicht. Sie wollte die alten Haudegen schon lange loswerden. Sie wusste bisher nur nicht wie. Jetzt weiss sie es. (pw)