Nordirland: Der Friedensprozess steckt fest
Was lief da schief?
1. Mai 2003 | Kommt es zur Neuwahl des nordirischen Regionalparlaments? Vielen ist das egal. Britannien hat erreicht, was ihm wichtig war. Und der Unionismus will ohnehin keine Machtteilung.
Text: Bernadette McAliskey; Übersetzung: Pit Wuhrer
Istb es Zufall, dass sich ausgerechnet jetzt die Verhandlungen festgefahren haben? Am Sonntag wurde die Northern Ireland Assembly – das vor fünf Jahren geschaffene Regionalparlament – offiziell aufgelöst, um den Weg freizumachen für eine Neuwahl der Abgeordneten. Aber auf wann die britische Regierung diese Wahl anberaumt, ist bis heute unklar. Zuerst war sie am 1. Mai vorgesehen, dann wurde sie auf den 29. Mai verschoben. Wenn auch dieser zweite Termin platzt (und dazu tendieren die Ulster Unionist Party – die grösste politische Partei Nordirlands – und die britische Regierung), wird die neue Versammlung kaum vor Herbst gewählt.
Wahlverschiebungen sind immer ein schlechtes Zeichen für den Zustand einer Demokratie. Und das derzeitige Gerangel dürfte auch kaum das Ende eines Konflikts markieren, das der britische Premierminister Tony Blair beschwor, als er vor fünf Jahren von der «Hand der Geschichte» sprach, die alle UnterzeichnerInnen des Karfreitagsabkommens berührt habe.
Was also lief schief? Nichts – oder zumindest nicht viel. Der Lösungsweg, den die britische Regierung vorgegeben hat und der von der irischen Regierung wie der einflussreichen irisch-amerikanischen Lobby in den USA unterstützt wurde, steht weiterhin offen. Aber ist auch noch der Plan der republikanischen Führung intakt, die vor allem Sinn Féin und die IRA vertritt? Sinn Féin ist dort angelangt, wo die Partei immer schon hinwollte. Und sie hat damit kein ideologisches Problem, sondern ein logistisches.
Der Bluff der Sinn-Féin-Spitze
Bisher hat es die Sinn-Féin-Führung um Gerry Adams verstanden, ihrer Basis scheibchenweise einen Kurs zu verkaufen, der ihren einst hochgehaltenen Positionen wie den Abzug der BritInnen oder die Vereinigung mit dem Süden zu einem sozialistischen Gesamtirland zuwiderläuft. Sie hat einen Waffenstillstand durchgesetzt, um Gespräche mit der irischen Regierung zu ermöglichen (1991). Sie hat diesen Waffenstillstand verlängert, damit sich die britische Regierung mit an den Verhandlungstisch setzte (1994). Sie hat sogar ein britisches Nordirland akzeptiert und ihr Recht auf bewaffneten Kampf aufgegeben (1998), um an der neuen Regionalverwaltung beteiligt zu dürfen. Warum zögert sie ausgerechnet jetzt, wo doch die protestantischen UnionistInnen und Blair nicht mehr fordern als früher – nämlich die Aushändigung aller IRA-Waffen und eine Erklärung, dass der Krieg zu Ende sei?
Die Antwort ist einfach. Die republikanische Führung steht vor dem letzten Zug in ihrem Spiel. Bisher konnte sie so tun, als habe sie Gewinne erzielt, ohne Zugeständnisse machen zu müssen. Noch heute glaubt die republikanische Basis, die Anerkennung ihrer Position (etwa in Form von Sinn-Féin-MinisterInnen) sei allein dem politischen Gespür von Adams und dem Mut der IRA zu verdanken.
Dass der Bluff der Sinn-Féin-Spitze gerade jetzt auffliegt, dass sie nun ausgerechnet kurz vor der Neuwahl des von ihr so sehr befürworteten Regionalparlaments dazu gezwungen werden soll, einen Offenbarungseid abzulegen, ist freilich der Gegenseite zuzuschreiben. Den UnionistInnen geht es nämlich nicht nur um die Beibehaltung der politischen Union mit Britannien. Kern des Unionismus ist immer noch der Überlegenheitsgedanke, demzufolge die (katholischen) NationalistInnen minderwertige Lebewesen sind, die es zu kontrollieren gilt.
Mit dem Feind am Tisch
Die UnionistInnen hatten das Karfreitagsabkommen 1998 nur unterschrieben, weil sie davon ausgegangen waren, dass es ohnehin nicht funktionieren, dass die irischen RepublikanerInnen nie einer Festschreibung der Teilung Irlands zustimmen würden. Dass diese mit so grossem Enthusiasmus frühere Positionen ablegen würden – darauf waren sie nicht vorbereitet. Dass die RepublikanerInnen sich mit Begeisterung an die Verwaltung eines Staates machen würden, den sie einst bekämpften, hat sie besonders erschüttert.
Denn plötzlich sassen sie selbst, die ehrenwerten Vertreter der Ulster Unionist Party (UUP), mit «Staatsfeinden» im gleichen Kabinett. Angesichts der Tatsache, dass die protestantisch-unionistische Bevölkerungsmehrheit das Karfreitagsabkommen weiterhin ablehnt, war dies eine denkbar schlechte Ausgangslage für den bevorstehenden Wahlkampf. Deswegen haben sie in der Vergangenheit immer wieder Sinn Féin die Zusammenarbeit aufgekündigt, deswegen hat London im Oktober letzten Jahres die Selbstverwaltung ausgesetzt, deswegen sind Blair und die UUP jetzt für eine weitere Verschiebung der Wahl – sie fürchten Zugewinne der noch weiter rechts stehenden, christlich-fundamentalistischen Democratic Unionist Party (DUP), die noch immer von Ian Paisley dominiert wird.
Ihre Sorge ist berechtigt. Aber stecken wir deswegen in einer Krise? Es kommt nicht wirklich darauf an, ob jetzt gewählt wird oder nicht, ob sich die IRA auflöst oder nicht, ob wir eine neue Versammlung bekommen oder nicht. Der Krieg ist vorbei. Die RepublikanerInnen haben weder den Wunsch noch die Fähigkeit, den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen. Die katholisch-nationalistische Bevölkerung würde dies nicht tolerieren, wie die IRA-Abspaltungen (die Continuity IRA und die Real IRA) zu ihrem Leidwesen erfahren mussten. Den politischen Parteien bleibt nur eine Wahl: Den von London vorgegebenen Kurs weiter mitzumachen oder draussen zu bleiben. Der britischen Regierung ist es egal, ob sie mit ihnen oder ohne sie herrscht, solange es keinen Krieg gibt.
Das heisst nicht, dass der Bevölkerung alles gleichgültig wäre: Jedes dritte Kind wächst unterhalb der Armutsgrenze auf, ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung kann kaum lesen und schreiben. Der Krieg gegen den Irak hat auch viele dazu gebracht, ihre Haltung zu den USA – die hier einst als Garantin einer friedlichen Lösung des Konflikts galten – neu zu überdenken. Dass George Bush bei seinem Nordirland-Besuch vor kurzem gleichzeitig seine Vorstellung von einem Frieden hier mit seinen Vorstellungen von einer Neuordnung im Irak verband, empfanden viele als Frechheit.