Britannien: Widerstand gegen den Tagelohn
Von Liverpool in die ganze Welt
7. Juni 1996 | In Liverpool kämpfen die letzten Docker um ihre Arbeitsplätze. Seit 250 Tagen stehen sie vor dem Containerhafen und schicken Streikposten um die Welt, die in Sydney und New York, in San Francisco und Lissabon Unterstützung finden.
Tee oder Kaffee? Mit Milch? Und wie viel Zucker? Schon steht die grosse Tasse da, schon ist umgerührt. Larry Eddy arbeitet in einem Tempo, als hätte er seiner Lebtage lang nur Kaffee gekocht und Teewasser aufgesetzt. Dabei hat er bisher mit gröberen Werkzeugen hantiert als mit einem Kaffeelöffel: 5 Jahre war er zur See gefahren, und danach hatte er 31 Jahre in den Docks gearbeitet – bis sie ihn gefeuert haben vor 36 Wochen.
Seither steht er mit Billy Walker in dem zur Küche umgebauten Wohnwagen eines Kollegen. An die Tür haben die beiden aus Spass eine Preisliste gemalt: ein Pot Tee für 2 Shilling/Six- pence. Soviel mag Tee gekostet haben, als es tatsächlich noch Shillinge und Sixpence-Münzen gab und die Docker noch Tagelöhner waren. Wenn Eddy und Walker und ihre Kollegen diesen Kampf nicht gewinnen, geht es zurück in jene Zeit: In den britischen Häfen war der Tagelohn 1967 abgeschafft worden. Doch jetzt wollen die Hafenunternehmen dieses System wieder beleben.
Um die Rückkehr der Zustände des alten Systems zu verhindern, stehen Eddy und Walker jeden Morgen um fünf Uhr auf. Um sechs Uhr wollen die Kollegen, die am Tor zum Containerhafen von Liverpool Posten stehen, ihren ersten Tee. Meist bläst ein kühler Wind von der Irischen See her, da braucht es die Stärkung. Die Polizei hält sich an diesem Morgen zurück. Nur ein Dutzend BeamtInnen stehen am Strassenrand, aber hinter der nächsten Strassenkreuzung wartet die Besatzung von sechs Mannschaftswagen auf den Ernstfall.
Der tritt dann ein, wenn die Docker versuchen, die Zufahrt zum Hafen zu sperren. «Irgendwann am Tag wird aus der kleinen Postenkette eine grosse. Dann kommen fünfzig Leute oder hundert, manchmal noch mehr und blockieren die Strasse», sagt Larry Eddy. «Die Polizei weiss aber nie, wann die Leute kommen. Also ist sie stets präsent.» Für das Katz-und-Maus-Spiel sind täglich bis zu zweihundert Polizisten im Einsatz, und ein Ende ist nicht in Sicht: «Wir geben nicht auf», sagt Billy Walker, «und wir gehen nicht weg.»
Eins, zwei, drei – gefeuert!
Seit 250 Tagen geht das so, und ebensolange ist Tony Melia unterwegs. Tony war Shop Steward, also gewerkschaftlicher Vertrauensmann, der achtzigköpfigen Belegschaft von Torside Ltd. In der Firma – sie ist eine Tochtergesellschaft der grossen Mersey Docks and Harbour Company (MDHC) – hat alles angefangen.
Ende September letzten Jahres sei, wie so oft, der Vorarbeiter gekommen, erzählt Tony Melia, und habe zwanzig Dockern befohlen, nach Schichtende weiterzuarbeiten. «Das war nicht neu, wir mussten oft Überstunden machen. Allerdings sagte der uns: ‹Die bisherige Überstundenregelung gilt nicht mehr. Ihr kriegt weniger.›» Da hätten die Docker gesagt: «Stopp, darüber wollen wir erst verhandeln.» Sie verliessen das Schiff und versammelten sich in der Kantine. «Da ging die Tür auf, der Vorarbeiter zeigt wahllos auf einzelne Leute – ‹Eins, zwei, drei, vier, fünf: Ihr seid gefeuert!›» Als die anderen fünfzehn protestierten, wurden sie ebenfalls entlassen, fristlos. Am nächsten Morgen streikten alle achtzig Docker von Torside; sie positionierten ihre Streikposten an der Einfahrt zum Hafen.
Geplante Provokation
In Liverpool hat sich viel verändert im Laufe der letzten Jahrzehnte. Der Hafen, einst Zentrum des englischen Sklavenhandels, Scharnierstelle des britischen Empires, bedeutendster Umschlagplatz im Handel mit den Kolonien, verlor seine Bedeutung für die Stadt. Die Entkolonialisierung, der Niedergang der Industrie im Hinterland, Rationalisierungen in Transportwesen – all das führte dazu, dass Hafenbecken zugeschüttet wurden und ein Dock nach dem anderen seine Funktion verlor. Vor dreissig Jahren arbeiteten hier noch 25.000 Docker, 1989 waren es noch 1200, im September 1995 gerade noch 500. Und diese 500 Hafenarbeiter beharrten – allen Veränderungen und Niederlagen zum Trotz – auf einem Grundsatz: «Never cross a picket line.» An einem Streikposten geht man nicht vorbei. Aus Solidarität mit den entlassenen Kollegen blieben sämtliche Docker von Liverpool an der Hafeneinfahrt stehen; sie erschienen nicht zur Arbeit und wurden ihrerseits entlassen.
Eigentlich war ja abzusehen gewesen, dass die MDHC – ihr gehört der Hafen, sie beschäftigt die Docker – einmal zuschlagen würde. 1989 hatte die konservative Regierung unter Margaret Thatcher die Abschaffung des Hafenregisters durchgesetzt, das den registrierten Dockern jederzeit Arbeit und Lohn garantiert hatte. Damit konnte das Prinzip des Tagelohns wieder eingeführt werden: Arbeit und Geld gibt es nur, wenn Schiffe im Hafen sind. Gegen die Abschaffung des Registers kämpften die britischen Hafenarbeiter und ihre Gewerkschaft, die Transport and General Workers' Union (TGWU) vergeblich an; die Auseinandersetzung endete mit einer Niederlage der Gewerkschaft und der Docker; nur in Liverpool, wo der Streik am längsten dauerte, konnten sich die Bosse nicht ganz durchsetzen. In den anderen Regionen wurden Schauerleute entlassen und ihre einst so grosse, so mächtige Gewerkschaft aus den Häfen verbannt, in Liverpool aber konnten die Hafenarbeiter ihr festes Anstellungsverhältnis und ihre gewerkschaftliche Interessenvertretung verteidigen.
Die MDHC und ihre Tochterfirma Torside liessen freilich nicht locker. Vor zwei Jahren begannen sie, die Arbeitspläne willkürlich und ohne Rücksprache abzuändern; wer Frühschicht hatte, sollte plötzlich auch noch vier Stunden von der Spätschicht übernehmen, dafür am nächsten Tag erst nachmittags kommen und möglicherweise die Nacht durcharbeiten. Offenkundiges Ziel der Schikane: Die Docker sollten in die freiwillige Kündigung getrieben werden. Im Sommer 1995 kündigten die Unternehmen schliesslich Entlassungen an. Zwanzig der achtzig Torside-Docker müssten gehen, hiess es, sie könnten sich aber um die freigewordenen Stellen bewerben – als Teilzeit-Tagelöhner. Die Belegschaft stimmte daraufhin mit überwältigender Mehrheit für Streik, das Management stellte den Plan zurück. Kurze Zeit später aber, am 28. September, inszenierte es den Konflikt um die Überstundenvergütung.
«Es war eine Provokation. Die haben uns eine Falle gestellt, die wir nicht umgehen konnten», sagt Kevin Robinson, einer der acht Shop Stewards der Liverpooler Hafenarbeiter. Nach der geltenden Rechtsprechung sind Solidaritätsaktionen illegal. Die fristlose Entlassung der Docker, die den Streikposten der Torside-Kollegen respektierten, war somit rechtmässig.
Exmilitärs als Streikbrecher
Mit der spontanen Solidarisierung hatte die MDHC anscheinend gerechnet; noch am selben Tag schickte sie Kuriere los: 200 der 500 soeben gefeuerten Docker wurde ein Vertrag angeboten. Er enthielt eine Reihe von unannehmbaren Bedingungen. Die Docker sollten Lohnkürzung und ein Gewerkschaftsverbot akzeptieren und sich zudem verpflichten, auch mit Tagelöhnern zusammenzuarbeiten (das hatten die Docker bisher strikt abgelehnt). «Kein einziger hat unterschrieben, alle haben den Vertrag zurückgeschickt», sagt Robinson.
Die MDHC, deren grösste Aktionärin die britische Regierung ist, reagierte schnell: Die Docker hätten sich selber entlassen, behauptete das Management. Es heuerte Streikbrecher an und verpflichtete die südenglische Firma Drake International. Drake ist einschlägig bekannt; schon 1989 half das Unternehmen, den Streik der Docker von Southampton zu brechen. «Drake beschäftigt vorzugsweise ehemalige Soldaten», sagt Kevin Robinson. «Das sind keine Arbeiter, sondern Söldner, die manchmal unsere Posten zusammenschlagen.»
Kevin Robinson arbeitete 29 Jahre im Liverpooler Hafen; sein Vater, sein Grossvater und zwei seiner Onkel waren ebenfalls Docker gewesen. «Es geht nicht ums Geld, sondern um Jobs», sagt er, «anständige Jobs zu anständigen Bedingungen.» Dafür hätten sich die Docker und ihre Gewerkschaft immer eingesetzt: «Wenn unsere Eltern und Grosseltern nicht gekämpft hätten, müssten in den Fabriken heute noch Kinder durch die Schornsteine kriechen.»
Robinson sitzt im dritten Stock des Hauses der Transportarbeitergewerkschaft TGWU. Hier oben haben die Docker einen grossen Raum in Beschlag genommen; den Saal unten brauchen sie für ihre wöchentlichen Versammlungen. Die Gewerkschaft unterstützt den Kampf der 500 nur inoffiziell – nach siebzehn Jahren konservativer Regierung ist es praktisch unmöglich geworden, einen Streik legal zu führen. Zuerst muss eine Urabstimmung angekündigt werden, dann folgt der Postversand der Abstimmungszettel, dann muss mindestens 28 Tage zugewartet werden – und ständig droht die Beschlagnahmung der Gewerkschaftsgelder. «Es klingt verrückt, aber aufgrund unserer Antigewerkschaftsgesetze sind die Hafenarbeiter im Ausland besser in der Lage, uns zu unterstützen, als die Leute hier.» Und diese Unterstützung wird immer stärker.
Information übers Internet
Als erstes hätten sich die australischen Hafenarbeiter gemeldet, erzählt Robinson. «Die haben übers Internet von unserem Kampf erfahren und wollten wissen, was da los ist.» Also haben die Liverpooler Docker Geld gesammelt und Kevin Robinson nach Sydney geschickt. «Es war fantastisch, die Unterstützung der australischen Maritime Union ist phänomenal.» 21 Veranstaltungen hat er besucht, Fernsehanstalten baten um Inter- views, 30000 Franken wurden allein bei dieser Reise gesammelt. Wichtiger aber als das Geld war das Versprechen der australischen Kollegen, alle Schiffe zu boykottieren, die von Liverpool kommen oder nach Liverpool fahren. «Die können hier warten, bis sie durchgerostet sind», hätten die Australier gesagt.
Nach dieser Erfahrung entwickelten die Liverpooler eine internationale Strategie. Die Globalisierung der Märkte zwinge die Beschäftigten weltweit in einen Konkurrenzkampf untereinander: Wer arbeitet am billigsten? Dagegen helfe nur eine Globalisierung des Widerstands. Anders als bei vielen Waren und Dienstleistungen ist beim Seetransport der Ursprungsort leicht zu identifizieren: Ein Schiff, das aus Liverpool kommt, musste dort von Streikbrechern beladen worden sein.
Aus den «flying pickets», wie mobile Streikposten in Britannien genannt werden, wurden im Fall der Liverpooler tatsächlich «fliegende Streikposten». Robinson hat die Kollegen in Australien ein zweites Mal besucht; auch in Neuseeland, Israel, Portugal, Spanien und der Türkei war er gewesen. In Portugal etwa verhängten die Docker Mitte April ein Embargo über alle Schiffe von oder nach Liverpool. Im niederländischen Vlissingen, heisst es in der Hafenarbeiter-Zeitung «Dockers Charter», boykottieren Kollegen sogar Schiffe, die aus Medway kommen – der Kleinhafen an der englischen Ostküste wurde vor kurzem von der Liverpooler MDHC gekauft.
In anderen Ländern, in denen es rechtlich nicht möglich ist, die Arbeit aus «politischen Gründen» zu verweigern, verfallen Docker plötzlich in ein bedächtiges Arbeitstempo, wenn Liverpooler Ladung gelöscht werden soll. «Dienst nach Vorschrift» kann viel bewirken – die Liegezeiten eines Containerschiffes sind knapp kalkuliert, die Hafengebühren teuer. Die belgische Reederei ABC, die hauptsächlich die Strecke Liverpool–Sydney und Liverpool–Neuseeland befuhr, hat den Boykott der australischen Hafenarbeiter nicht überlebt. Eine andere Reederei zog sich aus Liverpool zurück.
Von den acht Reedereien, deren Schiffe regelmässig den Hafen von Liverpool anlaufen, sind nur noch sechs übriggeblieben. Die grösste dieser Firmen, die Atlantic Containers Limited ACL, hat inzwischen Rückzugspläne geäussert, sollte sich der Konflikt noch lange hinziehen. Einen Abschied von ACL würde der Hafen kaum verkraften.
Während Kevin Robinson die Länder aufzählt, aus denen Unterstützung kommt (neben den oben aufgeführten sind das Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland, Holland, Deutschland, Frankreich, Italien, Griechenland, Kanarische Inseln, Kanada und die USA), verteilt ein Kollege die Kopien einer gerade eingetroffenen E-Mail. Darin heisst es: «Heute morgen haben im Hafen von Los Angeles mehrere Dutzend Mitglieder der Dockergewerkschaft International Longshoremen Workers' Union (ILWU) das Schiff ‹OOCL Japan› verlassen, als es versuchte, Ladung aus Liverpool zu löschen.» Die US-amerikanischen Hafenarbeiter, so steht da weiter, hätten sich einem kleinen Streikposten von zwei Liverpooler Dockern angeschlossen, die gerade die US-Westküste besuchen. «Damit wurde der Verkehr in den Hafen unterbunden.»
Die Solidarität sei auch deswegen gross, weil überall auf der Welt Hafenarbeiter mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben, sagt Robinson. An der US-amerikanischen Westküste werden die Docker beispielsweise von Mexiko aus unter Druck gesetzt. Dort hat die Regierung mit Unterstützung aus den USA Häfen privatisiert und Gewerkschaftsbüros geschlossen; mit der Billigkonkurrenz rechtloser Arbeiter wollen die US-Reedereien die Gewerkschaften in den Häfen schwächen. Überall wird dereguliert und privatisiert, überall wollen Hafenunternehmen den Tagelohn wieder einführen, überall sollen die Löhne gekürzt, die Bedingungen verschlechtert werden. Und deshalb bekommen die Liverpooler Docker von überall her Unterstützung.
WOW! – die Frauen
Frances Jones betritt die Kantine des Gewerkschaftshauses. Heute morgen war die Mutter einer 24-jährigen Tochter und eines 17-jährigen Sohnes erst draussen am Hafentor gewesen, dann hatte sie sich zwei Stunden lang zu den streikenden LehrerInnen am hiesigen College gestellt, jetzt braucht sie einen Tee. «Wenn mir vor einem halben Jahr jemand gesagt hätte, dass ich Posten stehen und Reden halten würde – ich hätte ihn für verrückt erklärt.» Sie sei «direkt aus der Küche gekommen».
Nun aber trägt Frances Jones eine Baseballmütze mit dem Logo der streikenden Docker, ein T-Shirt mit dem Aufdruck «Welttour der fliegenden Streikposten» und eine Jeansjacke mit allerlei Aufklebern und Anstecknadeln. Jones, deren Lebenspartner 26 Jahre lang in den Docks gearbeitet hat, ist in der Organisation der Dockerfrauen aktiv. Die «Women of the Waterfront», die Frauen von der Küste (abgekürzt WOW!), hätten viel von den Bergarbeiterfrauen gelernt, die ihre Männer beim Kampf gegen die Zechenstilllegungen unterstützten, sagt sie.
Mittlerweile haben die WOW-Frauen einen guten Teil der insgesamt 3500 Veranstaltungen bestritten, die bisher zugunsten der Docker organisiert worden waren; zu ihren Demonstrationen kommen Tausende. Geldsammeln sei kein Problem in Liverpool, sagt Jones; die ganze Bevölkerung stehe hinter den Hafenarbeitern. Die Stadtverwaltung hat ihnen eine generelle Sammelgenehmigung erteilt und stellt für Konferenzen – wie das internationale Hafenarbeitertreffen im Februar 1996 – sogar das Rathaus zur Verfügung. Kirchengemeinden schicken Geld, Schulklassen spendieren Erspartes, vor den Stadien des FC Liverpool und des FC Everton füllen Fussballfans die Sammelbüchsen. Trotz der Grossherzigkeit komme aber nicht genug zusammen; die Löhne der Frauen sind zu gering, um den Lohnausfall der Männer aufzufangen. Frances etwa verdient in ihrem Restaurantjob gerade mal 5,10 Franken in der Stunde.
Die LiverpoolerInnen wissen also, wie wichtig anständig bezahlte Arbeitsplätze sind; sie wissen auch, wie viel sie den Dockern zu verdanken haben – kaum ein Arbeitskampf, bei dem die Hafenarbeiter ihrerseits nicht tief in die Tasche gegriffen hätten. Unvergessen ist der jahrelange Boykott der chilenischen Pinochet-Diktatur: Damals, in den siebziger Jahren, hatten die Liverpooler Docker für das chilenische Militär bestimmte Waren einfach im Hafen verrotten lassen.
Besuch bei den Streikbrechern
Um fünf Uhr nachmittags haben sich siebzig Leute vor der Einfahrt zum Hafen versammelt. Die Männer johlen, als die Streikbrecher durch das Tor fahren, die Frauen veranstalten ein Pfeifkonzert. Colette Melia hat ihre Trillerpfeife dabei. Heute früh war sie von der Nachtschicht gekommen, hat ihre drei Kinder zur Schule gebracht, die Hausarbeit erledigt, sich kurz hingelegt, die Kinder wieder abgeholt, und jetzt steht sie hier. In einer Stunde muss sie das Abendessen richten, und nach der WOW-Versammlung im Gewerkschaftshaus muss sie wieder zum Dienst auf die Intensivstation. Ihren Tony sieht sie nun, da er arbeitslos ist, noch seltener als früher: Er fliegt noch diese Woche für ein paar Tage nach Havanna, um mit kubanischen Hafenarbeitern zu reden.
Am meisten Spass machen ihr und Frances Jones die Aktionen, «die die Männer nie machen könnten» – dazu zählt der Besuch bei den Streikbrechern. Zwei- oder dreimal in der Woche ziehen vierzig, fünfzig Frauen samt ihrer Kinderschar vor die Wohnungen der Streikbrecher oder vor die Häuser der Hafenmanager. Da stehen sie dann, skandieren böse Sprüche oder singen Schmählieder. «Meist kommen die Nachbarn heraus, um zu erfahren, was da los ist. ‹Oh, wir haben gar nicht gewusst, was das für einer ist›, sagen sie dann, stellen sich dazu und singen mit», erzählt Colette Melia.
Ihr Kampf zeigt Wirkung. Die Aktien der MDHC sind seit Beginn der Auseinandersetzung um ein Sechstel gefallen; die Firma, die in den letzten zehn Jahren Millionenprofite machte, gerät unter Druck. Im Januar bot das Management den Dockern 20.000 Franken pro Person, wenn sie ihre Kampagne einstellten; Anfang April erhöhten sie die Abfindung auf 50.000 Franken. Doch die Docker lehnten ab.
«Früher im Tagelohn gab der Vorarbeiter den Ton an. Arbeit bekam, wer die richtige Religion hatte und dem Boss genug Bier bezahlte. Du musstest um einen Job betteln», sagt Larry Eddy. Er habe diese Zeit noch mitgekriegt. Seit 250 Tagen steht der alte Docker da draussen und kocht Kaffee. Das wird er auch die nächsten Monate und Jahre machen, wenn es sein muss. «Die versuchen, hier die letzte Bastion der Gewerkschaften zu knacken. Aber wir geben nicht auf», sagt er, «eher macht der Hafen zu. Wo sollen wir auch hin?» (pw)