Britannien: MI5 bespitzelte Wissenschaftler
Gefährliche Historiker
27. Oktober 2014 | Während des Kalten Kriegs war niemand vor den britischen Geheimdiensten sicher.
«Höhnisch, von halbjüdischer Erscheinung, hat eine lange Nase» – so beschrieb der britische Geheimdienst MI5 einen Onkel des Historikers Eric Hobsbawm. Und Inez Hill, erste Ehefrau des Geschichtswissenschaftlers Christopher Hill, habe «die Nase voll gehabt von den politischen Ansichten ihres Mannes», da dieser seiner Partei «beträchtliche Geldsummen» habe zukommen lassen.
Solche Sätze stehen in den Dossiers über Hobsbawm und Hill, beide weltweit anerkannte Grössen ihres Fachs, die am Freitag vergangener Woche von den britischen Nationalen Archiven teilweise freigegeben wurden. Über viele Jahre hinweg hatten MI5-Spitzel (einer mit dem Codenamen «Rattenfänger») Briefe gelesen, Telefongespräche abgehört und die Kontakte der beiden Linken überprüft. Hobsbawm war bis zu seinem Tod 2012 Mitglied der britischen Kommunistischen Partei gewesen; auch Hill gehörte (bis 1957) der KP an.
Der Grund für die Überwachung? Man wolle «die Identität seiner Kontakte» herausfinden, «und offene oder heimliche kommunistische Intellektuelle enttarnen, die wir vielleicht noch nicht kennen». Und der Geheimdienst war erfolgreich, ein bisschen jedenfalls: Der MI5 legte auch Dossiers über den Historiker Alan J.P. Taylor, die Schriftstellerin Iris Murdoch und die Philosophin Mary Warnock an – diese hatten zusammen mit Hill einen Aufruf für eine Anti-Atombomben-Demonstration im November 1959 verfasst.
Hill geriet ins Fadenkreuz, weil er 1935 als Student nach Moskau gereist war; nach seiner Rückkehr, so notierten die Staatsagenten, habe er «die Erscheinung eines Kommunisten» gehabt, in seinem Reisegepäck sei jedoch «keine subversive Literatur» gefunden worden. Hobsbawm wiederum war den Behörden 1942 aufgefallen; ihm blieb in der Folge eine Professur an der Universität Cambridge verwehrt. Drei Jahre vor seinem Tod hatte er vergeblich in Erfahrung zu bringen versucht, ob über ihn eine Akte geführt wird.
Ein engerer Kontakt zur Sowjetunion war beiden nicht nachzuweisen – ihre Gefährlichkeit lag ja auch woanders und war von langer Dauer: Sie unterrichteten Generationen von StudentInnen. Und ihre Bücher zur englischen Revolution und dem Bürgerkrieg im 17. Jahrhundert (Hill) und zur Geschichte der Industriellen Revolution, der Massenbewegungen und des 20. Jahrhunderts (Hobsbawm) gehören längst zu den Klassikern einer Geschichtsschreibung von unten – und werden immer noch viel gelesen. (pw)