Britannien: Die Labour Partei wählt
Wenn Vater das wüsste
2. September 2010 | Die Labour Party wählt einen neuen Vorsitzenden – und beide Kandidaten kommen aus derselben Familie. Da könnten die Miliband-Brüder doch etwas lernen.
Dass er sich irgendwann zu Wort melden würde, war ja zu erwarten gewesen – und was er sagen würde, war ebenfalls nicht schwer zu erraten. Labour dürfe sich auf keinen Fall zurückentwickeln, warnte Peter Mandelson am Montag. Die Partei müsse stolz auf das Erreichte sein und auch künftig linke Positionen meiden, argumentierte der Politiker, der zweimal Minister war, zweimal gefeuert wurde und zuletzt unter Gordon Brown als Businessminister amtierte. Sonst lande sie in der Sackgasse der Unwählbarkeit. Lord Mandelson verteidigt also immer noch das Produkt, das er mit den früheren Premierministern Tony Blair und Brown Mitte der neunziger Jahre geschaffen hatte: New Labour – eine Partei, die 1997 von vielen BritInnen mit grossen Hoffnungen gewählt worden war und bei der letzten Unterhauswahl im Mai eine herbe Niederlage einstecken musste.
Mandelsons Intervention gilt als Stellungnahme zugunsten von David Miliband, dem 45-jährigen früheren Aussenminister, und als Votum gegen den 40-jährigen Ed Miliband, vor kurzem noch Minister für Energie und den Klimawandel. Beide Milibands bewerben sich um das Amt des Parteivorsitzenden, das seit dem Abgang von Brown vakant ist. Die Wahl tritt jetzt in ihre entscheidende Phase. Ab Mittwoch erhalten alle 160 000 Labour-Mitglieder einen Stimmzettel zugeschickt; briefliche Wahlunterlagen bekommen zudem jene Gewerkschaftsmitglieder, die eine politische Abgabe zahlen und dadurch die Partei finanzieren, sowie Labours Unterhausabgeordnete. Diese drei Gruppierungen bestimmen zu je einem Drittel die Zusammensetzung eines Wahlgremiums, das den neuen Vorsitzenden oder die neue Vorsitzende wählt. Fünf KandidatInnen haben ihre Hüte in den Ring geworfen, darunter die couragiert-linke Diane Abbott, einst Britanniens erste schwarze Unterhausabgeordnete. Eine wirkliche Chance aber haben nur die beiden Miliband-Brüder.
Aber ist ihr Wettstreit tatsächlich ein Kampf links gegen rechts, wie ein Teil der britischen Medien glauben machen möchte? Sicher, der eine (David) hat für den Irakkrieg gestimmt, während der andere (Ed) nach eigenem Bekunden schon 2003 dagegen war. Der eine steht eher für Kontinuität und für eine moderat-modifizierte Fortsetzung des New-Labour-Projekts, der andere will die Reichen stärker besteuern und den bisher marktradikalen Kurs etwas korrigieren. Der eine redet lieber vor distinguiertem Publikum, der andere kann Gewerkschaftsmitglieder begeistern. Entscheidende Unterschiede gibt es jedoch kaum. So halten sich beide in einem Punkt auffallend zurück – der Opposition gegen das Kürzungsprogramm und den Sozialabbau der regierenden konservativ-liberalen Koalition.
Noch nie hat in Friedenszeiten eine britische Regierung eine so vehemente Demontage des Wohlfahrtsstaats vorangetrieben wie die von David Cameron (konservativ) und Nick Clegg (liberaldemokratisch); und selten zuvor ist eine gerade gewählte Regierung in Britannien so schnell in der Gunst der Bevölkerung gesunken. Laut letzten Umfragen liegt Labour fast wieder gleichauf mit den Tories und könnte viele jener WählerInnen zurückgewinnen, die aus Enttäuschung über New Labours Kriegs- und Privatisierungspolitik für die vermeintlich linkeren LiberaldemokratInnen votierten. Aber was tut die ehemalige Arbeiterpartei, die in den letzten dreizehn Jahren sechzig Prozent ihrer Mitglieder verloren hat? Sie konzentriert sich ganz auf die von ihr inszenierte Personality-Show.
Dabei wäre anderes wichtiger. Eine Demokratisierung der Partei zum Beispiel, die unter Mandelson, Blair und Brown zum zentralistisch dirigierten Wahlverein verkam, in dem PR-StrategInnen eine grössere Rolle spielen als aktive Mitglieder. Eine politische Wende hin zu den vielen ausserparlamentarischen Gruppierungen wie etwa den Climate-Camp-AktivistInnen: Diese haben vergangene Woche in Schottland Firmen und Finanzinstitute blockiert (darunter die staatseigene Royal Bank of Scotland), die aus fossilen Energieträgern Profite schlagen. Oder ein Schulterschluss mit den Hunderttausenden von ArbeiterInnen, denen ab Herbst – wenn die Regierung die Details ihres Sparprogramms bekannt gibt – die Entlassung droht. Ein solch klarer, grundlegender Kurswechsel kommt aber keinem der beiden Polittechnokraten mit dem Nachnamen Miliband in den Sinn.
Dabei könnten die Brüder in einem der vielen Bücher ihres Vaters nachlesen, wohin «Parliamentary Socialism», der parlamentarische Sozialismus, führt, wenn Labour den Kontakt zu den Bewegungen verliert und die SozialistInnen in den eigenen Reihen marginalisiert. Dann nämlich, schrieb Ralph Miliband (1924-1994), einer der einflussreichsten britischen Marxisten seiner Zeit, sei Labour – einst eine politische Organisation der Gewerkschaften, aber nie eine wirklich sozialistische Partei – nur eine weitere Partei des britischen Establishments. Der alte Miliband hat mit seiner Analyse bis heute recht behalten. (pw)