Britannien: Regierung in der Defensive
Beleidigung aller Pudel
6. März 2003 | Noch nie war der einst so populäre Premierminister Tony Blair so isoliert.
Dem alten Labour-Linken Tony Benn mit seinen fünfzig Jahren Parlamentserfahrung bereitete es am Dienstag besonderes Vergnügen, eine Versammlung der ganz anderen Art anzukündigen: Am Mittwoch nächster Woche wird sich in unmittelbarer Nähe zum Londoner Unterhaus eine People's Assembly for Peace, eine Volksversammlung für den Frieden, konstituieren. «Hier wird die Bevölkerung künftig wirklich vertreten sein», sagte der ehemalige Labour-Minister, «und die Friedensbewegung im Unterhaus stärken.»
Der Plan ist ambitiös. Die britische Antikriegsbewegung (www.stopwar.org.uk) beabsichtigt nicht etwa eine lockere Zusammenkunft von KriegsgegnerInnen, die am Mittwoch gerade Zeit für ein Treffen haben, sondern die Gründung eines Alternativparlaments, in dem gewählte Delegierte aller Organisationen sitzen, die sich gegen den Krieg ausgesprochen haben.
Und so finden derzeit überall in Britannien Wahlen für diese Volksversammlung statt. Am Dienstag zum Beispiel trafen sich die StudentInnen von Eton, einem renommierten Privat-College, um ihreN AbgeordneteN zu bestimmen. Die Absicht ist klar: Wenn das Unterhaus schon nicht die Meinung der Bevölkerung repräsentiert, dann muss eben ein neues Parlament her. Dieses wird, so der schottische Unterhausabgeordnete George Galloway, im Kriegsfall «permanent tagen». Selten zuvor wurde dem britischen Parlament so offen die Legitimität abgesprochen.
Die Luft wird dünn um Tony Blair. Die grosse Revolte in der eigenen Fraktion (122 Labour-Abgeordnete hatten letzte Woche gegen den Kriegskurs ihrer Führung gestimmt) lässt dem Premier kaum noch Spielraum. Einen Krieg, angezettelt nur von ihm und George Bush, würde der Labour-Vorsitzende Blair auf Dauer politisch kaum überleben. Deswegen braucht der «Überzeugungstäter» (Blair über Blair) so dringend die Zustimmung des Uno-Sicherheitsrats. Aber auch damit stehen Blair schwere Zeiten bevor. Seine KritikerInnen in der Fraktion haben bereits eine nationale Labour-Konferenz anberaumt mit dem Ziel, all jene ehemaligen Parteimitglieder zurückzugewinnen, die aus Wut und Enttäuschung über die Regierungspolitik die Partei in den letzten Jahren verlassen haben. Mit deren Stimmen, so hoffen Blairs GegnerInnen, könnte die Partei wieder das werden, was sie zu Benns Zeit einmal war: eine Antikriegspartei.
Leicht lässt sich die ausserparlamentarische Antikriegsbewegung nicht mehr stoppen. Überall im Land bereiten sich unzählige Gruppen auf den Ernstfall vor. Die Gewerkschaft der KommunikationsarbeiterInnen (CWU) hat letzte Woche ihre Mitglieder zu Protestaktionen aufgerufen, sollten die Bombardements beginnen. Mindestens vier weitere Gewerkschaften (sie vertreten öffentlich Beschäftigte, EisenbahnerInnen und LehrerInnen) planen ebenfalls Aktionen. Nach den Grossdemonstrationen von Mitte Februar kam es vielerorts zu Demonstrationen. So durchbrachen am vorletzten Wochenende tausend KriegsgegnerInnen die Absperrung um den US-Luftwaffenstützpunkt Fairford (auf dem in den letzten Tagen vierzehn B-52-Bomber eintrafen, um von dort aus Kurs auf den Irak zu nehmen). So blockierten Greenpeace-AktivistInnen letzte Woche über hundert Esso-Tankstellen, indem sie die Stromleitungen zu den Zapfpumpen durchschnitten und sich an Tanksäulen anketteten. Ausserdem verrammelten sie die Esso-Zentrale im südenglischen Leatherhead, stellten einen Lastwagen quer und schraubten einen Container fest - woraufhin Esso die tausend Beschäftigten der Zentrale nach Haue schickte.
Und so geht es weiter: Am 8. März, dem Internationalen Frauentag, wird es überall in Britannien zu Kundgebungen gegen den Krieg kommen: In London ist ein Frauenmarsch zur US-Botschaft geplant. Am 10. folgt eine Blockade der Kriegskonferenz «Planning for Defence in the 21st Century». Danach sollen Aktionen vor US-Einrichtungen stattfinden. Am 22. März wollen Anti-kriegsaktivistInnen die weltweit grösste US-Abhörzentrale von Menwith Hill in Yorkshire stören, indem sie Aluminiumdrachen und -ballons steigen lassen. Für den 22. April ist vor Faslane, wo die mit Atomraketen bestückten Trident-U-Boote stationiert sind, eine nationale Demonstration geplant. An beiden Orten haben Frauen schon vor Monaten ein Protestcamp aufgebaut.
Wie prekär die Lage für den Premier ist, zeigt auch eine Initiative kriegskritischer HundehalterInnen: Dass Blair oftmals als Bushs «Pudel» bezeichnet werde, sei eine «Beleidigung aller Hunde». Ob deren Demonstration (angesagt auf den 12. März) zustande kommt, ist freilich ungewiss. (pw)