Deutschland: Grüne für CETA
Wen interessiert unser Geschwätz von gestern?
17. Juli 2022 | Es war ja zu erwarten gewesen – und doch überrascht, wie problemlos die Grünen immer wieder einknicken. Diesmal ging es besonders rasch.
Preisfrage: Hat es in der Geschichte dieses Landes schon mal einen so schnellen Kehrtwende gegeben? Da hat die Partei Bündnis 90/Die Grünen jahrelang mit vielen anderen zu Protesten gegen die neoliberalen Handelsabkommen der EU aufgerufen, gemeinsam mit Hunderttausenden gegen CETA und das damals geplante US-Abkommen TTIP demonstriert, die Europäische Bürgerinitiative gegen die beiden Freihandelsdeals unterstützt – und (zumindest nominal) Initiativen wie das Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel unterstützt. Und nun?
Nun kopieren die grünen Spitzenpolitiker:innen das Vorgehen der SPD ein paar Jahre früher, über das sich der grüne Bundesvorstand damals noch fürchterlich aufgeregt hatte. Auf Druck der Basis hatte die Bundes-SPD im Dezember 2015 einen Sonderparteitag zu TTIP und CETA einberufen, auf der klare „rote Linien“ festgezurrt wurden. Über die dann der damalige SPD-Außenminister Sigmar Gabriel gemütlich hinwegspaziert ist. Jetzt sind es Robert Habeck, Annalena Baerbock und Konsort:innen, die ähnlich souverän grüne Parteitagsbeschlüsse (und Wahlversprechen) ignorieren.
Düstere Zukunft
Für den ehemals breiten Protest gegen CETA hatte es ja gute Gründe gegeben – und die sind immer noch gültig:
– CETA schadet dem Klima, weil es den Handel mit fossilen Energien fördert. Nirgendwo wird so viel Ölschiefer abgebaut wie in Kanada, wo inzwischen Land in der Größe von England für die Ölgewinnung umgegraben wird. Seit dem vorläufigen Inkrafttreten von CETA stiegen die kanadischen Rohölexporte in die EU um das Doppelte. Die Schäden für die Landschaft, das Wasser, die Ureinwohner:innen und das Klima sind enorm.
– CETA ignoriert internationale Verträge, weil es keine verbindlichen Regeln zur Um- und Durchsetzung des Klimaschutzes im Rahmen des Pariser Klimaabkommens von 2015 enthält.
– CETA erlaubt internationalen Konzernen, Staaten auf sog. Investitionsschutz zu verklagen, die Maßnahmen zum Schutz der Natur und der Menschen ergreifen. Dieses Sonderklagerecht schränkt die demokratische Gerichtsbarkeit ein.
– CETA fördert die Liberalisierung (also den Verkauf) öffentlicher Einrichtungen an profitorientierte Unternehmen und verbietet die Wiedervergesellschaftung privatisierter Betriebe. Außerdem untergräbt es soziale Standards.
– CETA ist undemokratisch, weil es als „living agreement“ – und an den Parlamenten vorbei – von ungewählten Expertengremien weiterentwickelt werden darf.
– CETA bedroht die bäuerliche Landwirtschaft, weil er sich an der Agrarindustrie orientiert.
Unterstützung auch für Mercosur
Trotz dieser schwer wiegenden Vorbehalte verabschiedeten die EU-Kommission, der Europäische Rat und das EU-Parlament der gefährliche Abkommen. Es trat im September 2017 vorläufig und teilweise in Kraft, muss aber noch, da der Investitiosschutz in nationale Rechte eingreift, von allen EU-Parlamenten abgesegnet werden. Das haben bisher 15 der 27 EU-Staaten getan.
In Deutschland weiterhin abgelehnt wurde das Abkommen von zahlreichen Organisationen der Zivilgesellschaft, von der Partei Die Linke und von großen Teilen der grünen Basis; bis vor kurzem, bis zur Bundestagswahl im September 2021 und der nachfolgenden Regierungsbildung, war auch der grüne Bundesvorstand dagegen. Seither jedoch ist alles anders.
In letzter Zeit verschärfte die Regierung noch ihr Tempo. Sie vereinbarte am 23. Juni unter Federführung des Bundeskanzleramts und des grün geführten Wirtschaftsministeriums eine «Handelsagenda der Ampel», in der sie die Ratifizierung von CETA und ihre Unterstützung für das international umstrittene Mercosur-Abkommen bekannt gab. Fünf Tage später (am 28. Juni) verschickte Habecks Ministerium den Gesetzentwurf an Umweltschutz- und andere Verbände – und gab ihnen für eine Stellungnahme nicht einmal 24 Stunden Zeit, wie Campact, Foodwatch, das Netzwerk Gerechter Welthandel, PowerShift, Transparency International Deutschland und das Umweltinstitut München kritisierten. Am 1. Juli folgte eine Pressemitteilung des Ministeriums, derzufolge sich die Regierung auch für die Ratifizierung des Handelsabkommens mit den Mercosur-Staaten einsetzen werde. Und am 6. Juli kam es bereits zur erste Lesung im Bundestag. Den Protest am selben Tag vor dem Reichstagsgebäude ignorierten die Politiker:innen.
25 Jahre Frackinggas?
Warum diese Eile? Wahrscheinlich wollte die Regierungskoalition die Aufregung um andere Krisen (Corona, Krieg, Inflation, Energiesicherheit undsoweiter) nicht ungenutzt verstreichen lassen und boxt nun im Windschatten anderer Maßnahmen CETA durch.
Zudem sucht der Wirtschaftsminister händeringend nach neuen fossilen Energiequellen, und da bietet sich neben korrupten Autokratien wie Katar oder Aserbaidschan eben auch Kanada mit seinem Frackinggas an, das in flüssiger Form (LNG) künftig nach Europa gelangen soll. Dafür will die Regierung gleich mehrere Terminals bauen, die aber ein Vierteljahrhundert in Betrieb sein müssten, wenn sich das investierte Kapital amortisieren soll. 25 Jahre höchst energieaufwendig erzeugtes LNG, wo doch Deutschland demnächst klimaneutral werden soll?
Aber möglicherweise spielte ja auch der bevorstehende Kanada-Besuch des Bundeskanzlers eine Rolle: Olaf Scholz, das hat man beim G7-Gipfel gesehen, lässt sich gerne von anderen Staatsmännern loben. Warum also nicht auch in Ottawa?
Wie auch immer: Angesichts der vielen Schwenks wieder hin zu fossilen Energien, sind die klimavernichtenden Folgen von CETA vielleicht sekundär. Die Sonderjustiz für Großprofiteure aber, der Abbau der öffentlichen Daseinsvorsorge, das Vergesellschaftungsverbot und die Aushöhlung der Demokratie sidn weiterhin fatal. Und so will die CETA-Opposition nicht locker lassen. Auf einer digitalen Strategie- und Aktionskonferenz debattieren Aktive an diesem Freiag (22. Juli), was zu tun ist. Alle Interessierten sind willkommen. Beginn: 16 Uhr. Hier die Einwahldaten: https://us02web.zoom.us/j/7954295667 (Meeting-ID: 795 429 5667) (pw)