Deutschland: Berlin schweigt zu TTIP-Kritik
Endspurt mit Webseite
2. September 2015 | In rund einem Monat endet die europaweite Unterschriftenkampagne. Doch damit sind die Auseinandersetzungen um die Freihandelsabkommen nicht vorbei – es steht zu viel auf dem Spiel.
Die selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative (EBI) gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA geht in die letzte Runde. Noch bis 6. Oktober werden Unterschriften gesammelt und gezählt, dann ist Schluss. Schon heute aber steht fest: Mit bisher über 2,5 Millionen Unterzeichnenden ist die EBI eine der erfolgreichsten europäischen Kampagnen überhaupt. Und selten zuvor hat es ein so breites Bündnis gegeben: In der EU unterstützen mittlerweile weit über 450 NGOs die Unterschriftenaktion, die von der EU-Kommission aus fadenscheinigen Gründen nicht zugelassen wurde. Über die Rechtmässigkeit dieser Entscheidung entscheidet möglicherweise noch in diesem Jahr der Europäische Gerichtshof.
In Deutschland lehnen zahllose Verbände, Organisationen und Initiativen die geplanten Freihandelsabkommen ab. Zu den KritikerInnen gehören der Deutsche Städtetag ebenso wie die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft; der Deutsche Kulturrat wie die üblichen Verdächtigen von attac, Greenpeace, BUND oder Mehr Demokratie e.V.; die Grünen genauso wie Die Linke, viele Mitglieder der SPD, der Paritätische Wohlfahrtsverband und seit einiger Zeit auch der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB. An der Basis arbeiten seit langem viele lokale Initiativen – wie beispielsweise das Konstanzer Bündnis gegen TTIP, CETA und TiSA (das geplante Handelsabkommen über Dienstleistungen TiSA wird derzeit in Genf verhandelt, ebenfalls hinter verschlossenen Türen).
Mitglieder des lokalen Anti-TTIP-Bündnisses werden an den kommenden Wochenenden Stände aufbauen, Infoblätter verteilen, Unterschriften sammeln und für die zentrale Demonstration am 10. Oktober in Berlin mobilisieren. Ausserdem organisiert es eine Reihe von Veranstaltungen – darunter einen Vortrag des WOZ- und taz-Korrespondenten Andreas Zumach (Genf) über TiSA und ein Podiumsgespräch zum Thema Freihandel und Kultur (unter anderen mit Stadttheater-Intendant Christoph Nix und dem Schriftsteller Jochen Kelter).
Bis über 2016 hinaus
Die Kampf gegen die Freihandelsabkommen erreicht mit Abschluss der EBI und der Demo in Berlin eine Zwischenetappe auf einem langen Weg. Vieles deutet darauf hin, dass sich die TTIP-Verhandlungen zwischen den USA und der EU-Kommission – auch aufgrund der grossen und bunten Opposition – bis weit ins Jahr 2016 ziehen werden, und wahrscheinlich darüber hinaus. Daran ändert auch der Wunsch von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nichts, die auf einen Abschluss der Gespräche bis Ende 2015 drängt.
Dass nichts so schnell geht wie anfangs gedacht, zeigt der bereits ausverhandelte CETA-Vertrag mit Kanada: Er hätte bereits im November 2014 unterschrieben werden sollen. Dass er noch immer nicht den Ratifizierungsprozess durchläuft, ist den Bewegungen zu verdanken. Und der Tatsache, dass Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) in einem Dilemma steckt: Investitionsschutzverfahren vor geheimen Privattribunalen kämen bei TTIP nicht in Betracht, hatte der Vizekanzler Ende 2014 die SPD-Basis und die Gewerkschaften beruhigt.
Genau das steht aber im CETA-Abkommen. Nähme er also seine Versicherung ernst, müsste die Regierung in Berlin den EU-Kanada-Vertrag ablehnen. Doch das will die Grosse Koalition nicht: Die Verhandlungen über CETA, das als Blaupause für TTIP gilt, hatten fünf Jahre in Anspruch genommen. Würde alles neu aufgerollt, wäre der Vertrag tot. Wahrscheinlicher ist, dass CETA im Hauruck-Verfahren durchs Parlament gebracht werden soll.
Rückschläge für TTIP-Fans
Da die Verhandlungen zu TTIP (und auch zum mindestens genau gefährlichen Dienstleistungsabkommen TiSA) im Geheimen geführt werden, kommen Details nur bruchstückhaft an die Öffentlichkeit. Und immer wieder ändert sich auch die Lage. So hat im Frühsommer EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström aufgrund der anhaltenden Kritik mehr Transparenz versprochen.
Kurze Zeit später jedoch passierte genau das Gegenteil: Die Protokolle der Handelsgespräche werden nicht einmal mehr Mitgliedern der EU-Regierungen überlassen. Und vergangene Woche kam ein besonders schönes Beispiel für Malmströms neue Transparenz ans Licht: Über längerer Zeit hinweg hatte sich die Brüsseler NGO Corporate Europe Observatory bemüht, Einblick in die TTIP-Korrespondenz zwischen der Tabak-Lobby und der EU-Kommission zu erhalten. Das gelang den KonzernkritikerInnen auch. Doch die Dokumente, die ihnen schliesslich zugeschickt wurden, waren zu 95 Prozent geschwärzt, seitenweise konnte kein einziger Satz gelesen werden.
Auch in anderen Bereichen stecken die TTIP-BefürworterInnen in Erklärungsnot. So hat Gabriel immer wieder betont, dass an die Stelle der umstrittenen Privattribunale bei Investitionsstreitigkeiten (ISDS) ein internationaler Handelsgerichtshof treten müsse – mit transparenten Verfahren, öffentlich bestallten RichterInnen und Berufungsmöglichkeiten. Selbst diese Beruhigungspille erwies sich jedoch als Placebo: Anfang August liess die US-amerikanische Verhandlungsseite durchblicken, dass für sie ein internationales Gericht nicht in Frage kommt. Seither hat sich der SPD-Vorsitzende nicht mehr zu diesem Thema geäussert.
Ein «lebendiges» Abkommen
Auch zu anderen Entwicklungen schweigt die Regierung. So kam im Sommer durch die Analyse geheimer Protokolle heraus, dass mit TTIP ein «lebendiges» Abkommen geplant ist. Das heisst: Der Vertragsinhalt steht nach seiner Ratifizierung nicht fest, sondern kann später je nach Bedarf noch verändert werden – und zwar an den Parlamenten vorbei.
Das Instrument dafür ist der geplante Rat für regulatorische Kooperation. Diesem Gremium – es besteht aus RegierungsvertreterInnen – sollen nach Inkrafttreten der Abkommen TTIP und CETA alle Gesetzesvorhaben zur Begutachtung vorgelegt werden. Die Rat überprüft dann, ob geplanten Gesetze mit den Freihandelsdeals vereinbar sind. Das heisst: Die ungewählten Mitglieder dieses Rats entscheiden darüber, welche Entwürfe die gewählten Mitglieder der 28 EU-Parlamente und des US-Kongresses zu sehen bekommen. Und welche nicht.
Derselbe Regulationsrat soll auch über die Vertragsunterzeichnung hinaus TTIP verändern können – einseitig und ohne Bewilligung der Parlamente. Das legt die Vermutung nahe, dass kontroverse Punkte aufgrund der starken Opposition erst einmal nicht Bestandteil des Vertragswerks sein werden. Aber später dann – das befürchten offenbar auch Berliner Ministerialbeamte – in den sogenannten Anhängen auftauchen.
Termine mit Klick
Die Auseinandersetzungen werden also weitergehen. Zu unvereinbar sind ja auch die Gegensätze: Hier die antidemokratische Logik des globalisierten Kapitalismus – dort die Hoffnungen der Menschen. Hier die Mauscheleien – dort demokratische Grundregel. Hier ein Wachstums- und Wettbewerbsmodell, das Machtkonzentration und Ausbeutung noch steigern will – und dort ein Planet, der kollabiert.
Über die aktuellen Entwicklungen rund um die Freihandelsabkommen (und den Widerstand dagegen) informiert seit kurzem die Webseite des Konstanzer Bündnisses gegen TTIP, CETA und TiSA. Sie erläutert, warum gerade jetzt die grösste Wirtschaftszone der Welt entstehen soll, welche imperialen Ziele eine Rolle spielen und wer dabei gewinnt. Sie stellt zahlreiche Studien zu den drei Abkommen vor, dokumentiert die Beschlüsse der regionalen Gemeinderäte und erlaubt einen Blick auf die bisherigen Aktionen der Bündnismitglieder im Landkreis Konstanz. Trickfilme zeigen, worum es bei den Abkommen geht. Und wer erfahren will, wo der nächste Infostand steht, wann sich das Bündnis trifft, über was debattiert wird und wer auf den Veranstaltungen referiert, findet unter der Rubrik Termine alle nötigen Informationen. (pw)