Deutschland: Das Wahlergebnis und Europa
Merkel über alles?
25. September 2013 | Der Triumph der Union bei der Bundestagswahl ist schlecht für Europa. Denn jetzt geht es nicht nur den Südländern an den Kragen.
Wenn, wie oft behauptet, jedes Land die Regierung wählt, die es verdient hat – wie sieht es dann mit grösseren Einheiten aus, in denen ein Land die bei weitem wichtigste Stimme hat? Oder anders gefragt: Haben die Europäische Union und besonders die Staaten der Eurozone die alles und alle überragende Wahlsiegerin vom Wochenende verdient?
So blöd, wie sie klingt, ist diese Frage nicht. Denn eines steht seit Sonntag fest: In der undemokratisch strukturierten EU, in der nicht ein Parlament entscheidet, sondern die Regierenden, hat jetzt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel noch mehr zu sagen. Schliesslich hat eine grosser Teil der deutschen Bevölkerung die Domina der europäischen Fiskalpolitik auf eindrucksvolle Weise wiedergewählt, während die WählerInnen aller anderen europäischen Staaten seit Ausbruch der Eurokrise 2010 ihre Regierungen und Präsidenten austauschten.
Merkel verlor zwar bei ihrem Wahlerfolg die Koalitionspartnerin, die MarktfundamentalistInnen von der FDP. Aber ihr Einfluss in Brüssel, da sind sich die internationalen Medien einig, hat weiter zugenommen. «Merkel, Merkel über alles», titelte «El Mundo» in Spanien, «ein Triumph für die Königin der Austerität», kommentierte die griechische Zeitung «Ta Nea», zur «Kaiserin von Europa» gar erhob sie das niederländische Blatt «De Volkskrant», allerdings zur «Kaiserin einer Union von Buchhaltern».
Königin der Buchhalter
Merkels Machtzuwachs wird Folgen haben. In den vergangenen Monaten hatten sich viele Regierungen der Eurozone eine Lockerung des rigiden Spardiktats der Troika von Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und EU erhofft. Daraus wird nun nichts. Vor allem für die Menschen im Süden ist Merkels deutlicher Wahlsieg eine Katastrophe. Und nicht nur für sie.
Denn die alte und neue Bundeskanzlerin, das liess sie schon am Wahlabend erkennen, wird jetzt erst recht auf die Durchsetzung ihrer Europapolitik pochen. Daran ändert auch eine Koalition mit SPD oder den Grünen nichts: Beide Parteien hatten im Bundestag Merkels Entscheidungen zur Rettung der internationalen Banken auf Kosten der BürgerInnen mitgetragen. Und weil die reaktionäre neue Partei Alternative für Deutschland mit ihrem stupid-eurokritischen Programm fast fünf Prozent erreichte, dürfte Merkel noch entschiedener auftreten: Rechts von der Union, das sagen CDU und CSU seit langem, darf es keinen Raum geben.
Also wird unter Deutschlands Druck die Troika weiterhin auf Ausgabenkürzungen und finanzieller Selbstkasteiung bestehen – als könnten Staaten ihre Schulden reduzieren, indem sie die Wirtschaft abwürgen, den Sozialstaat abbauen, Löhne kürzen, die Arbeitslosigkeit anheben, das soziale Gefüge sprengen. Seit deutsche Sparkommissare die Einhaltung des Troika-Diktats überwachen, stiegen die griechischen Staatsschulden von 120 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung zu Beginn der Krise auf jetzt 175 Prozent.
Nach dem Fiskal- der Wettbewerbspakt
Und es kommt noch schlimmer. Da die konservativen Neoliberalen gemeinsam mit ihren sozialdemokratischen Pendants (etwa in Frankreich) aufgrund einer grandiosen Fehldiagnose noch immer glauben, dass mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Staaten die Hauptursache aller Probleme ist, drängt Merkel nun auf einen Wettbewerbspakt. Ähnlich dem von Deutschland durchgesetzten Fiskalpakt, der allen Euro-Staaten eine Schuldenbremse überstülpte, hat auch dieses Vertragswerk weitreichende Konsequenzen.
Der Wettbewerbspakt – er soll an einem EU-Gipfel im Dezember oder Anfang 2014 beschlossen werden – verpflichtet alle Euro-Staaten, künftig auf «investitionshemmende» und «wettbewerbsfeindliche» Regeln und Vereinbarungen zu verzichten – und bereits beschlossene zu revidieren. Dazu gehören Arbeitsrechte, Kollektivverträge, Umweltauflagen, soziale Sicherungssysteme. Ausserdem sollen staatliche Einrichtungen (besonders die Schulen) privatisiert werden. Geschrieben hat den Entwurf eine einflussreiche Lobby der europäischen Wirtschaft. Kommt er durch, heisst das: Austerität für alle. Und für immer.
Gut möglich also, dass die Troika künftig nicht nur Griechenland, Spanien, Portugal oder Irland heimsucht, sondern auch jene, die sich bislang auf der sicheren Seite wähnten. Merkels WählerInnnen zum Beispiel. (pw)