Kollektive Landwirtschaft auf den Phlilippinen
Brüder, Schwestern, auch Gott liebt diesen Bio-Reis!
7. Mai 2009 | Die grüne Revolution ist gescheitert, Agrartechnoprodukte wie hochleistungsfähige Reissorten haben sich als Desaster erwiesen, der Klimawandel schlägt bereits zu. Aber es gibt Hoffnung – die von unten kommt.
Die Ernährungssituation ist miserabel, das Wetter spielt verrückt, die Multis rücken immer weiter vor – und doch hat Bobby Pagusara ein ganz anderes Problem. «Wir können uns vor Zulauf kaum retten», sagt er, «immer mehr Bauern wollen sich uns anschliessen – und das verkraftet die Organisation schier nicht.» Jedenfalls komme man kaum mit der Ausbildung von Schulungskräften nach, so gross sei mittlerweile die Nachfrage.
Schön, wenn man sich mit solchen Problemen herumschlagen muss in einem Land, in dem immer mehr Menschen hungern. Rund ein Sechstel der philippinischen Bevölkerung geht abends hungrig zu Bett, und der Anstieg des Weltmarktpreises für Reis – das bei weitem wichtigste Grundnahrungsmittel auf den Philippinen – hat die Lage noch verschlimmert. Nur in einem halben Dutzend Staaten ist die Zahl der Unterernährten und Hungrigen grösser als in dem Inselstaat mit seinen rund neunzig Millionen EinwohnerInnen. Vor allem auf dem Land ist die Armut weit verbreitet; rund die Hälfte der ländlichen Bevölkerung leidet Not. Selbst ReisbäuerInnen können den eigenen Bedarf manchmal nicht mehr decken; allein in den Jahren von 1994 bis 2000 hat sich die Zahl der armen Familien auf dem Land verfünffacht.
Bobby Pagusara ist regionaler Koordinator von Masipag (siehe den Kasten am Ende des Textes), einem Netz von KleinbäuerInnen und WissenschaftlerInnen, das Mitte der achtziger Jahre entstanden ist. «Es gibt immer weniger Land für den Reisanbau», sagt der Agronom, der im März auf Einladung des katholischen Hilfswerks Fastenopfer in der Schweiz war. «Die Regierung setzt auf Cash Crops» – auf die exporttauglichen Geldfrüchte.
So sollen demnächst allein auf der südlichen Hauptinsel Mindanao, wo Pagusara arbeitet, 1,6 Millionen Hektar Land dem Anbau der Cavendish-Banane dienen. 300 000 Hektar sind für Ölpalmen vorgesehen, 150 000 Hektar für Maniok, 50 000 für Ananas und weitere 50 000 für die ölhaltige Purgiernuss, die sich – wie die Ölpalme – für die Herstellung von Biotreibstoff eignet. Gleichzeitig werden die Reisanbauflächen immer kleiner.
Das Wunder blieb aus
Um die Ernährung der eigenen Bevölkerung halbwegs zu sichern, führt der Staat Lebensmittel ein (die Philippinen sind das Land mit dem weltweit grössten Reisimport) und pflegt die agrartechnische Spitzenforschung. Das ist keine neue Entwicklung. Bereits 1960 hatte die damalige Regierung dankbar eine Initiative der US-amerikanischen Ford- und der Rockefeller-Stiftung akzeptiert, einst eine Frontorganisationen der CIA, wie man heute weiss. Diese gründeten in Los Baños bei Manila das International Rice Research Institute (IRRI), eine der weltweit wichtigsten Forschungseinrichtungen zur Züchtung neuer, agrar- und gentechnisch modifizierter Reissorten.
Das Institut konnte bald Erfolge vorweisen. So entwickelte es unter anderem die Zuchtlinie IR-8, eine Art «Wunderreis» mit schnellem Wachstum, kurzen Halmen und mehr Rispen. Der IR-8 wurde zur wichtigsten Reissorte; in Form von Weiterzüchtungen findet er sich in rund sechzig Prozent der Weltreisproduktion wieder. Mit der Entwicklung solcher ertragreicher Sorten wurde das IRRI zum Inbegriff der grünen Revolution: Für die Ernährung der Welt würde bald eine Kombination aus zentralisierter Forschung, industrieller Agrarwirtschaft und multinationalen Konzernen sorgen.
Doch es kam anders. Die Böden mergelten aus, die Schädlinge nahmen zu, die Erträge sanken, immer mehr KleinbäuerInnen protestierten. Und so ordnete die philippinische Regierung Anfang der achtziger Jahre eine Untersuchung an. Die unabhängige Stiftung, die damit beauftragt war, studierte lange. «Fünf Jahre hat sie an verschiedenen Orten die Kleinbauern befragt», sagt Pagusara, «das Ergebnis war eindeutig.» Die ExpertInnen seien zu vier wesentlichen Schlussfolgerungen gekommen:
– Die bis in die sechziger Jahre hinein vorhandene Sortenvielfalt hat abgenommen. Vor allem die Verwendung traditioneller Sorten ging durch das aggressive Vermarkten neuer Hybride (Kreuzungen, die mitunter nicht fortpflanzungsfähig sind) zurück.
– Die Neuzüchtungen verlangen einen hohen Einsatz an Düngemitteln und Pestiziden. Dadurch steigen die Kosten für die ProduzentInnen, die sich zunehmend verschulden.
– Die neuen Sorten sind in der Regel nur in den ersten zwei Jahren ertragreich; danach muss bei den Pestiziden nachgerüstet werden, weil die Schädlinge mutieren, sich also anpassen.
– Die neue Technologie führt zur Vereinzelung der ProduzentInnen; aus DorfbewohnerInnen werden Einzelunternehmen, die traditionelle Nachbarschaftshilfe nimmt ab.
Ein verheerendes Resultat, das die Regierung jedoch nicht weiter kümmerte. So manche KleinbäuerInnen und kritische WissenschaftlerInnen jedoch umso mehr. Und so kam es im Juli 1985 zu einer Konferenz, die sich mit den Problemen der Agrotechnologie und den Auswirkungen des Anbaus sogenannt ertragreicher Sorten beschäftigte. «Noch während dieser Konferenz haben Bauern das Saatgut von 47 Reissorten spendiert», sagt Pagusara, «und damit den Grundstock für die Masipag-Samenbank gelegt.» Was die TeilnehmerInnen offenbar besonders empörte, war ein zentrales Argument der Regierung und der IRRI-ExpertInnen: Die Bauern seien zu rückwärts gewandt, würden die moderne Technik verteufeln, sich dem Fortschritt verweigern – und seien ohnehin nicht in der Lage, neue Sorten zu züchten, denn dazu brauche es viel Erfahrung und ein Verständnis für komplexe Zusammenhänge.
Diese Herausforderung nahmen die KleinbäuerInnen an. Nicht unbedingt aus freien Stücken, «und schon gar nicht aus ideologischen Gründen», wie Bobby Pagusara versichert. Ihnen blieb nichts anderes übrig. Und so suchten sie in den Bergregionen nach bisher unbekannten Sorten, machten sich selbst an die Kreuzung widerstandsfähiger Arten und trugen sie zusammen. Aus den vielen kleinen dezentralen Initiativen und Anstrengungen heraus entstand Masipag: keine zentrale Organisation, sondern ein eher lockerer, von unten her strukturierter Verbund, in dem ProduzentInnen und ForscherInnen kooperieren und der das angesammelte Wissen an andere weitergeben will.
Mittlerweile verfügt die Initiative über ein grosses kollektives Wissen: «Das IRRI hat in den letzten Jahrzehnten vielleicht zwei, drei Dutzend neue Züchtungen hervorgebracht», sagt Pagusara, «wir aber haben jetzt 2000 Sorten im Programm. Rund 1500 traditionelle Reissorten konnten die Masipag-Mitglieder vor dem Aussterben bewahren, dazu kommen Neuzüchtungen, die nicht in Labors entstanden sind, sondern durch die Beobachtung in der Natur.»
Hilfreiche Schädlinge
Die Masipag-BäuerInnen – die meisten bearbeiten eine Fläche von gerade mal ein bis zwei Hektar – verzichten auf den Einsatz von industriell hergestelltem Saatgut und auf chemische Hilfsmittel; sie kontrollieren den gesamten Prozess von der Auswahl der Saat bis zur Vermarktung ihrer Ernte.
Doch was macht ein Masipag-Mitglied, das von konventionell produzierenden NachbarInnen umzingelt ist, die ihre Felder mit Chemikalien besprühen? Schliesslich nutzt noch immer die Mehrheit der philippinischen ReisbäuerInnen konfektionierte Sorten und Chemie. «Das haben wir uns ebenfalls gefragt», gibt Pagusara zu. «Aber darauf hat an einem unserer Workshops ein Bauer geantwortet: «No problem.» Kein Problem? «Nein.» Auf einem biologisch bearbeiteten Reisfeld, so Pagusara, leben rund 700 Insektenarten; 100 davon seien Schädlinge, aber nur 7 könnten ernsthaft Schaden anrichten. «Viele dieser Insekten, so erzählte uns der Bauer, sind überhaus nützlich. Sie nehmen die Schadstoffe auf, die aus den Nachbarfeldern herübergeweht werden – sie vertilgen sie sozusagen. Wir haben dann unsere Experten befragt, und die bestätigten die Beobachtung des Bauern.» Die Insekten, so ihr Befund, können bis zu einem bestimmten Grad auch Chemikalien vernichten. Ein massiver Einsatz, ein direktes Besprühen, zerstört jedoch die Vielfalt.
Es wird jedoch nicht alles Schadhafte einfach aufgefressen. 1998 zum Beispiel war ein katastrophales Jahr für die philippinischen ReisbäuerInnen gewesen. Damals schlug die Schwarze Reiswanze zu, die die Halme aussaugt – und für die es nach modern-herkömmlichem Wissen nur eine Lösung gibt: die chemische Keule. «Das war ein schwieriges Jahr für uns, und Gott sei Dank hat sich danach das Fastenopfer-Hilfswerk für uns engagiert», erzählt Bobby Pagusara. Ein grosser Teil der Ernte sei vernichtet worden. Aber das käme nicht mehr vor. Warum nicht? «Wir haben daraus gelernt.» Und was? «Die Schwarze Reiswanze attackiert immer nur zu bestimmten Zeiten. Wir setzen jetzt Reissorten ein, die zu unterschiedlichen Zeiten reifen. Ausserdem haben die Bauern eine neue Methode entwickelt: Sie fluten beizeiten die Felder, zwingen die Wanze dadurch zum Hochklettern und kämmen sie mit einem neu entwickelten Werkzeug ab: Sie fangen sie wie Fische.» Das sei allemal besser als ein Pestizid.
Masipag ist mittlerweile mehr als eine Schutzgemeinschaft von BäuerInnen, die von Marketingkonzernen, Agrofirmen und Wanzen bedrängt werden. Das Bündnis hat auch ein eigenes Biolabel geschaffen, das seinen Mitgliedern den Verkauf ihrer Produkte erleichtert, und lässt für sich werben. Lokale Radiostationen stellen gratis Sendeminuten zur Verfügung, und manchmal empfiehlt ein progressiver Priester die von Masipag-BäuerInnen erzeugten Produkte in seiner Predigt.
Strategien in der Katastrophe
Ein bisschen märchenhaft klingt das schon, was Bobby Pagusara da erzählt; eine Geschichte wie aus einer anderen Welt: zu schön, um wahr zu sein. Es liegt jedoch eine wissenschaftliche Studie vor, die zu ähnlichen Schlüssen kommt. Zugegeben, diese Untersuchung wurde von Masipag initiiert und vom deutschen Hilfswerk Misereor finanziert, das Masipag seit langem unterstützt. Andererseits haben anerkannte ExpertInnen wie Lorenz Bachmann (ein deutscher Agronom), Sarah Wright (von der University Newcastle in Australien) und Elizabeth Cruzada (Philippinen) das Ergebnis zusammengefasst und auf wissenschaftliche Standards geachtet.
Ihre Studie («Food Security and Farmer Empowerment», 2009, erhältlich via info@masipag.org) basiert auf langen Interviews mit 840 philippinischen BäuerInnen und ist wahrscheinlich die ausführlichste Untersuchung über nachhaltige Landwirtschaft, die in Asien je vorgenommen wurde. Jeweils ein Drittel der Befragten (also 280) produziert im Rahmen der Masipag-Vorgaben biologisch, stellt gerade auf organische Erzeugung um oder betreibt konventionellen Landbau. Die Studie kommt, knapp zusammengefasst, zu folgenden Ergebnissen:
– Nahrungsmittelsicherheit: 88 Prozent der befragten BiobäuerInnen sagen, dass sich ihre Ertragslage in den letzten Jahren deutlich stabilisiert hat. Zum selben Schluss kommen nur 39 Prozent der konventionell produzierenden BäuerInnen.
– Gesundheit: 83 Prozent der BiobäuerInnen fühlen sich heute gesünder als vor acht Jahren (bei den konventionellen sind es 29 Prozent).
– Kosten: Der konventionelle Anbau verursacht im Durchschnitt Gesamtkosten in Höhe von 22 900 Pesos pro Jahr und Farm (umgerechnet 570 Franken); die Bioproduktion ist nur halb so teuer (11 860 Pesos). Bei den Erträgen gibt es keinen Unterschied (durchschnittlich 3400 Kilogramm Reis pro Hektar).
– Bodenbeschaffenheit: Laut Einschätzung von 84 Prozent der BiobäuerInnen hat die Fruchtbarkeit des Bodens in den letzten Jahren zugenommen; von den konventionell wirtschaftenden FarmerInnen sind nur 3 Prozent dieser Meinung. 66 Prozent der BioproduzentInnen sagen, dass die Biodiversität zugenommen hat; 57 Prozent der konventionellen haben auf ihrem Land hingegen eine Abnahme festgestellt.
Vor allem der letzte Punkt ist von zentraler Bedeutung, geht es dabei doch auch um die Überlebensfähigkeit der KleinbäuerInnen im Klimawandel. «Das ist eines unserer Hauptprobleme», sagt Bobby Pagusara. Die Zahl der Taifune nimmt zu, es kommt zu mehr Dürreperioden, das Wetter wird instabiler, es regnet in der Trockenzeit, Hänge geraten ins Rutschen, Salzwasser dringt in Süsswasserregionen.
Laut dem von der nichtstaatlichen Organisation Germanwatch geführten Global Climate Risk Index, einer Art Klimahitliste, gehören die Philippinen, eine der artenreichsten Regionen der Welt, zu den am meisten vom Klimawandel betroffenen Staaten. Und während das IRRI heftig nach Reissorten forscht, die hohen Temperaturen widerstehen, informieren erfahrene Masipag-BäuerInnen an Workshops ihre KollegInnen über den Nutzen von Diversifizierung: Statt nur Getreide anzubauen, das auf lange Schönwetterperioden angewiesen ist, empfehlen sie, Obstbäume, Bambus oder Kokospalmen zu pflanzen, die den Wind abhalten und die Bodenerosion verhindern, Wurzelfrüchte und Gemüse in Betracht zu ziehen, neben Reis auch Mais anzubauen. Kurzum: die Biodiversität zu pflegen.
«Wir vermeiden klimaschädliche Stoffe, wo wir nur können», sagt Pagusara, «aber verhindern können wir den Klimawandel nicht. Das müssen andere tun. Wir können uns nur anpassen.» Auf die Anpassung sind die Masipag-Mitglieder allerdings besser vorbereitet als die konventionell wirtschaftenden BäuerInnen. «Wir haben das Wissen, wir kennen uns aus. Die anderen stehen allein da.» Und weil sich das allmählich herumspricht, kann sich Masipag vor Anfragen kaum retten. (pw)
Vielfalt von unten
Es gibt Namen, die kann sich hierzulande niemand merken. Magsasaka at Siyentitipiko para sa Pag-unlad ng Agrikultura ist so ein Name, zu Deutsch etwa: Partnerschaft von Bauern und Wissenschaftlern für die landwirtschaftliche Entwicklung. Die Kurzform ist einprägsamer: Masipag. 1986 entstanden, umfasst dieses von KleinbäuerInnen angeführte Netz mittlerweile 672 «people's organisations» genannte Gemeinschaften, in denen sich derzeit rund 35 000 Bauern und Bäuerinnen zusammengeschlossen haben; eine ganze Reihe von kritischen WissenschaftlerInnen, BäuerInnenorganisationen und etwa sechzig nichtstaatliche Organisationen gehören ebenfalls dazu.
Masipag ist basisdemokratisch organisiert, es gibt kein Direktorium. Oberstes Organ ist die Generalversammlung, zu der sich Delegierte der People's Organisations treffen und die die strategischen Entscheidungen trifft. Ein nationaler und drei regionale KoordinatorInnen auf den philippinischen Hauptinseln Luzon (im Norden), Mindanao (im Süden) und der Inselgruppe Visayas setzen die Beschlüsse um; rund vierzig AktivistInnen sind angestellt. Zweck des Projekts ist die Selbsthilfe: Die Umsetzung der vielen Ideen der BäuerInnen, Vernetzung und Weiterbildung, Unabhängigkeit von Konzernen, Schutz der Biodiversität, Sicherung der Lebensverhältnisse, Solidarität. «Hunger ist kein Naturphänomen», sagt Bobby Pagusara, Masipag-Koordinator auf Mindanao, «Hunger ist ein soziales Problem. Deshalb sind die Schulungen wichtig, deshalb fördern wir die Nachbarschaftshilfe.»
Masipag unterhält derzeit drei grosse Farmen für die Entwicklung neuer Sorten, zehn regionale Saatgutzentren und 272 Versuchsfarmen in 40 der 81 philippinischen Provinzen. Finanziert wird das Netz durch die Beiträge der Mitglieder. JedeR BäuerIn zahlt bei Eintritt in die Gemeinschaft eine Gebühr von 300 philippinischen Pesos (umgerechnet Fr. 7.50) und später für die Schulungsprogramme und Workshops einen kleinen Prozentsatz ihres Einkommens. Unterstützt wird das KleinbäuerInnenprojekt unter anderem von Misereor, dem deutschen Hilfswerk der katholischen Kirche, und seit 1999 auch vom katholischen Hilfswerk Fastenopfer in der Schweiz. Derzeit überweist die Organisation, so deren Philippinen-Verantwortliche Helena Jeppesen, rund 50 000 Franken im Jahr an Masipag. (pw)