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Arbeitskampf im öffentlichen Diens
Streiken für die Katz?
24. April 2025 | Der Tarifkonflikt war einer der härtesten der letzten Jahre. Aber hat sich das große Engagement der Basis gelohnt? Skepsis ist angebracht.
Es ist seit Jahren dasselbe alberne Spiel: Vor Ablauf eines Tarifvertrags beschließen die Mitglieder der gewerkschaftlichen Tarifkommissionen neue Lohnforderungen fürs nächste Jahr. Sie berücksichtigen dabei die Geldentwertung der letzten Zeit, den Zuwachs an Produktivität und/oder Stress, die Attraktivität der Arbeitsbedingungen für den Nachwuchs – und kommen so zu konkreten Zahlen.
In der Regel verlangen sie ein höheres Entgelt in Prozenten, meist noch eine Mindesterhöhung, vielleicht eine kleine Arbeitszeitverkürzung, hier und da noch einen Zuschlag für Sonderschichten und natürlich auch mehr Lohn für die Azubis. Dann beginnt auf der Gegenseite das Gestöhne über die «unverantwortlich hohen Forderungen», die erste Verhandlungsrunde scheitert, weil die Unternehmen oder der Staat kein Gegenangebot vorlegen, auch das zweite und das dritte Gespräch bringt nichts, dann nähern sich die Tarifparteien allmählich an oder lassen eine Schlichtung entscheiden.
Heraus kommt dann meist dasselbe: Oft halbieren sich die scheinbar hohen Forderungen der Gewerkschaften. So verlangte die IG Metall im letzten Herbst sieben Prozent mehr Lohn, bezogen auf ein Jahr; und auch die Mitglieder der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gingen für acht Prozent innerhalb eines Jahres auf die Straße. Am Ende steht dann aber viel weniger in den Tabellen. Die IG Metall akzeptierte nach zahlreichen Warnstreiks, die das Engagement der Metaller:innen zeigten, im November eine Lohnerhöhung von 2 Prozent im April 2025 und von 3,1 Prozent im April 2026 – weit entfernt von den ursprünglich erhofften 7 Prozent sofort. Auch wenn eine Einmalzahlung in Höhe von 600 Euro dabei war (die sich aber nicht auf den Tariflohn auswirkt): Ein Erfolg sieht anders aus.
«Es hat Kraft gekostet»
Auch die ver.di-Gremien akzeptierten in der laufenden Auseinandersetzung eine Vertragsdauer von 27 Monaten statt der 12 Monate, von denen während des Tarifkonflikts immer die Rede war. Konkret einigten sich die Unterhändler:innen auf eine vorsichtige Anhebung über einen langen Zeitraum hinweg: zuerst 3 Prozent, im Mai 2026 nochmals 2,8 Prozent.
Ein eher mageres Ergebnis für die rund 2,6 Millionen Beschäftigten beim Bund und den Kommunen. In der Tarifrunde zuvor hatte es immerhin ein Inflationsausgleichsgeld in Höhe von 3000 Euro und im letzten Schritt eine Entgelterhöhung um rund elf Prozent gegeben.
Dass jetzt nicht mehr herauskam, lag zum einen an der harten Haltung der Arbeitgeberverbände von Bund und den Kommunen und der unnachgiebigen Verhandlungsführung von Innenministerin Nancy Faeser und der Städtevertreterin Karin Welge (beide SPD). Und zum anderen an der Visionslosigkeit der Gewerkschaftsführung. Der Abschluss «hat Kraft gekostet», klagt beispielsweise die aktuelle Ausgabe von ver.di-News, Informationen für Aktive – und meint damit nicht die Kraft der aktiven Basismitglieder, die Streikposten standen, Kolleg:innen zur Arbeitsniederlegung überredeten, für einen Beitritt zu Gewerkschaft warben. Sondern die Anstrengung des Verhandlungsteam, das «vier intensive Runden, eine neuntägige Schlichtung und viele durchverhandelte Nächte» hinter sich brachte.
Reallohnschwund und fehlender Nachwuchs
Aber was sagen nun die Mitglieder dazu? Das oben skizzierte Ergebnis stieß selbst bei der Bundestarifkommission auf Kritik: Presseinformationen zufolge stimmten zwar 51 von 99 Mitgliedern für den Abschluss, aber 37 votierten dagegen, ein bemerkenswert hoher Anteil. Endgültig entscheiden wird die zentrale Tarifkommission von ver.di am 12. Mai, wenn die Ergebnisse der Mitgliederbefragung vorliegen.
Vielleicht lehnt ja eine Mehrheit das Verhandlungsergebnis ab. Denn unter dem Strich haben die Beschäftigen in den letzten Jahren verloren: Der Reallohn sank laut offizieller Statistik 2020 im Bundesdurchschnitt um 1,2 Prozent, blieb 2021 auf demselben Niveau, büßte 2022 gleich 4 Prozent ein, erhöhte sich im darauffolgenden Jahr nur um 0,1 Prozent – und ging erst 2024 (auch dank der Lohnerhöhung im öffentlichen Dienst) um 3,1 Prozent noch oben.
Unter dem Strich verdienen Lohnabhängige heute weniger als vor fünf Jahren. Und das auf Basis offizieller Erhebungen, die Preis- und Mieterhöhungen – unter denen die ärmeren Teile der Bevölkerung besonders leidet – nur ungenügend berücksichtigen. Aber immerhin habe man «jetzt Erhöhungen, die oberhalb der zu erwartenden Preissteigerungsrate liegen», sagte kürzlich ver.di-Chef Frank Werneke.
Tatsächlich? Bleibt die Inflation angesichts der aktuellen Krisen, Kriege und Zollstreits weiter auf demselben Niveau (2,9 Prozent waren es im März)? Höheren Abgaben auf Ein- und Ausfuhren haben auch inflationäre Folgen. Und was ist mit der gerade im öffentlichen Dienst vielfach betonten Sorge um die Zukunft des Personalbestands? Vor allem im sozialen Bereich mangelt es an Beschäftigten, über eine halbe Million Stellen sind unbesetzt. Nachwuchs, so hieß es auf vielen Streikversammlungen (auch in Konstanz), sei nur durch bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne zu gewinnen – ein wichtiges Argument, das inzwischen aber offenbar keine Rolle mehr spielt.
Geld ist genug da
Es sei halt kein Geld da, argumentieren die politisch Verantwortlichen. Und das stimmt ja auch, solange die Regierungen (die früheren, die aktuelle und auch die künftige) die Finanzeliten verhätscheln. Während in den letzten Jahren der Reallohn sank, stiegen die Einkünfte der Superreichen ins Unermessliche.
Allein in den letzten Jahren haben sich ihre Vermögen um Hunderte von Millionen und Milliarden Euro oder Dollar erhöht – und niemand traut sich, einen Teil der obszön großen Reichtümer für das Wohl der Allgemeinheit einzukassieren. Dabei sind die Wohlhabenden schon längst nicht mehr darauf angewiesen. Ihnen geht es nicht um materielle Sicherheit, sondern um Macht, die sich mit Geld ausspielen lässt – eine Macht, mit der sie sich ihr von jeher ramponiertes Ego aufpolieren.
Doch warum setzen sich die Gewerkschaftsvorstände dem nicht entgegen? Weshalb begnügen sie sich mit der Akzeptanz von angeblichen Sachzwängen wie mangelnden Steuereinnahmen, die leider, leider keine höheren Löhne und Gehälter erlauben? Zivilgesellschaftliche Initiativen engagieren sich seit langem für eine Reduktion der zunehmenden sozialen Ungleichheit und für eine angemessene Besteuerung der Oligarchen – doch von Gewerkschaften wie ver.di ist dazu kaum etwas zu hören.
Längere Arbeitszeiten und politische Überprüfung
Eingebettet in das Konzept einer längst überkommenden Sozialpartnerschaft und in das politische System integriert, hat die ver.di-Führung nicht nur klein beigegeben, sondern mit dem Tarifergebnis sogar Grenzen überschritten: Statt sich – wie früher – für Arbeitszeitverkürzung einzusetzen, akzeptiert die Tarifkommission der Gewerkschaft eine freiwillige Ausweitung der persönlichen Arbeitszeit auf bis zu 42 bezahlte Wochenstunden (mit entsprechenden Zuschlägen). Kapital und Arbeitgeberverbände verlangen seit Jahren eine Verlängerung der Arbeitszeit. Warum jetzt dieses Zugeständnis, das Personalchefs sicherlich zu nutzen wissen?
Und weshalb nimmt der ver.di-Vorstand – auch das steht im Tarifergebnis – einen Passus hin, demzufolge Auszubildende nur dann in den öffentlichen Dienst übernommen werden, wenn sie sich durch ihr «gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen»? Das klingt nach «Brandmauer» gegen rechts, richtet sich aber in der Regel – da die Deutungshoheit beim Verfassungsschutz liegt – meist gegen andere.
Der Tarifvertrag der Länder (TdL) enthält schon länger einen Passus (Paragraph 3, Absatz 1), der von den Beschäftigten ein Bekenntnis «zur freiheitlich demokratischen Grundordnung» verlangt. Mit ihm werden nicht etwa Rechtsextremisten, sondern – wie in den 1970er und 1980er Jahren – immer wieder Linke mit Berufsverboten belegt. So etwa der Geoinformatiker Benjamin Ruß, dem mit Verweis auf den TdL eine Stelle an einer bayerischen Universität verwehrt wurde. Vorgeworfen wurden ihm unter anderem kritische Artikel. In einem kommentierte er einen seiner Meinung nach vorschnell abgeschlossenen Tarifvertrag mit den Worten: «Streiks müssen konsequent bis zum Ende geführt werden und nicht nach drei Warnstreiks in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber enden.» (pw)