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Kapital & Arbeit: Infotag zum Mercosur-Abkommen der EU
Gut für die Wirtschaft? Oder Selbstmord auf Raten?
30. Oktober 2023 | Berlin und Brüssel sind sich einig: Noch in diesem Jahr soll das neue Handelsabkommen mit südamerikanischen Staaten unter Dach und Fach kommen. Andernfalls sei unser aller Wohlstand gefährdet. Kritiker:innen sehen jedoch ganz andere Gefahren.
Der Wirtschaft geht es derzeit nicht allzu gut. Besonders die exportorientierte deutsche Industrie ächzt unter den Belastungen durch Kriege, hohe Energiepreise, anhaltende Inflation und den Herausforderungen des Energiewandels. Und plädiert daher entschieden für neue Handelsabkommen, die Einfuhrquoten erhöhen und Zölle senken sollen. Damit würden Arbeitsplätze gesichert, Absatzzahlen erhöht, Investitionen angekurbelt.
Dieser Argumentation folgt die für Handelspolitik zuständige EU seit langem – trotz aller zivilgesellschaftlicher Proteste, bei denen vor Jahren Hunderttausende auf die Straße gingen; damals gegen die geplanten Abkommen mit den USA (Transatlantic Trade and Investment Partnership TTIP) und Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement CETA). Inzwischen steht der Abschluss eines Abkommens mit Neuseeland kurz bevor, an neuen Deals mit Chile und Mexiko wird heftig gearbeitet. Zentral ist derzeit aber eine Vereinbarung mit dem größten lateinamerikanischen Wirtschaftsraum Mercosur, dem Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay angehören.
Dieses Abkommen soll – grob gesagt – den Handel mit europäischen Industrieprodukten wie Autos und Chemikalien sowie südamerikanischen Agrargütern wie Fleisch, Viehfutter und Biosprit erleichtern. Es würde also den Bedürfnissen beider Seiten entsprechen und für Wachstum sorgen. Außerdem, so eine zentrale Argumentation der Befürworter:innen, könnte China einspringen, wenn es zu keinem Deal der Mercosur-Staaten mit der EU käme. Und dann, davon ist die EU überzeugt, käme alles noch schlimmer.
Verbrennermotoren und Gen-Soja
Besonders das (grün geführte) Wirtschaftsministerium plädiert daher für einen baldigen Abschluss. Und ignoriert in seinen Stellungnahmen alle Bedenken, die früher die Grünen noch zu Demos getrieben hätten: Dass unter die Ausweitung von Weidezonen und Planzenanbau der Amazonas-Regenwald leidet, dass ein Wachstum der Agraindustrie die Lebensräume indigener Gemeinschaften gefährdet, dass das vorgesehene Mercosur-Abkommen weiterhin den Export von – in der EU verbotener – Pestizide erlaubt (und auch die langfristige Ausfuhr von Verbrennermotoren).
Es gibt auch EU-Staaten, die den Mercosur-Deal kritisch sehen. Frankreich zum Beispiel, die Niederlande – oder Österreich, dessen Parlament der Regierung eine Unterzeichnung untersagte. Selbst die Vereintan Nationen sprechen sich dagegen aus, wie das Münchner Umweltinstitut kürzlich vermeldete.
Markt & Debatte
Aber welche Argumente stimmen nun? Wie relevant sind die Wohlstandssicherungsprognosen der Ampelparteien? Was bewirkt das Abkommen? Welche klimatischen Folgen hat das auf die Weise erhoffte Wirtschaftswachstum? Was wird aus der kleinbäuerlichen Landwirtschaft hierzulande? Wie könnte eine nachhaltige Handelspolitik aussehen?
Um diese Fragen (und noch viel mehr) zu diskutieren, laden das Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel, der Konstanzer Weltladen und ProAmazonia Konstanz zu einem Informationstag ein: am Samstag, den 4. November, im Bürger(innen)saal Konstanz am Stephansplatz.
Der Tag beginnt um 14:30 Uhr mit einem Markt der Initiativen. Unter dem Motto „nachhaltig, fair, solidarisch“ stellen über ein Dutzend Konstanzer Gruppen und Bündnisse bis 17:30 Uhr ihre Projekte vor. Sie informieren über ihre Arbeit und erläutern Alternativen zur aktuellen Politik.
Um 18:30 Uhr folgt dann die inhaltliche Diskussion über die Auswirkungen der gegenwärtigen EU-Handelspolitik (mit einem besonderen Blick auf das geplante Mercosur-Abkommen). Es referieren
– die inzwischen in Deutschland lebende Politikwissenschaftlerin Blancka Arruda Miranda von der Kooperation Brasilien KoBra
– Bettina Müller von der seit langem handels-, rohstoff- und energiepolitisch aktiven Organisation PowerShift
– Ludwig Essig vom Umweltinstitut München und vom bundesweiten Netzwerk Gerechter Welthandel
– Anneleise Schmeh vom Hagenweilerhof bei Überlingen und Aktivistin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL)
Durch den Abend führen Andrea Didra und Carsten Trost. Eintritt frei. (pw)