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150 Jahre OV Medien Konstanz: Die Veranstaltungen, Teil 1
Prekär hoch drei
8. Mai 2022 | Diese Woche setzt der ver.di-Ortsverein Mieden+Kunst Konstanz die Veranstaltungen des Festivals der Solidarität fort. Es geht um prekäre neue Jobs, um die Lage der Beschäftigten im Gesundheitswesen und um Schmuggel, Flucht und Fluchthilfe früher und heute.
Immer mehr Lohnabhängige sind in ungesicherten Arbeitsverhältnissen unterwegs – als Kurierfahrer, ambulante Altenpflegerinnen, Sicherheitsleute – oder sitzen (als eine:r von rund einer Million Click- und Crowdworker:innen in Deutschland) isoliert zu Hause vor dem Rechner. Sie arbeiten lange, verdienen wenig, kennen keinen Schutz und haben keine Rechte (oder kennen sie nicht). Ihre Lage auf dem Arbeitsmarkt ähnelt jener der Druckereigehilfen, die vor 150 Jahren oft als Wandergesellen von Job zu Job zogen, zwölf oder mehr Stunden am Tag schufteten, früh an den giftigen, bleihaltigen Dämpfen am Arbeitsplatz starben – und sich 1870 zum Ortsverein Konstanz des Verbands der deutschen Buchdrucker zusammenschlossen, um dem Elend zu entkommen.
Ihr proletarischer Widerstand hatte langfristig Erfolg. Aber wie sieht es heute mit den prekär Beschäftigten aus? Wo könnten sie ansetzen? Was hindert sie an der kollektiven Gegenwehr? Welche Ansätze zu widerständischen Aktionen gibt es? Darum geht es auf der Veranstaltung «Vom Proletariat zum Prekariat – Anpassung und Gegenwehr im Job».
Als Referenten hat der OV Medien+Kunst den Soziologen Franz Schutheis gewinnen können. Er hat in Konstanz promoviert, habilitierte bei Pierre Bourdieu in Paris, war danach (als Assistent) wieder an der Uni Konstanz und lehrte anschließend als Professor an den Universitäten Neuchâtel, Genf und St. Gallen. Zu seinen vielen Publikationen gehören die Werke «Gesellschaft mit begrenzter Haftung. Zumutungen und Leiden im deutschen Alltag», «Bourdieus Wege in die Soziologie», «Ein halbes Leben – Biografische Zeugnisse aus einer Arbeitswelt im Umbruch». Montag, 9. Mai, 20 Uhr im Bürgersaal Konstanz (Stephansplatz). Der Eintritt ist frei.
Überlastet und unterbezahlt
Passend zu diesem Thema folgt am Mittwoch eine Diskussionsrunde über die Lage des hiesigen Gesundheitspersonals. Die wesentlichen Fakten sind bekannt: Trotz Balkonapplaus zu Beginn der Corona-Pandemie flüchten zahllose Pflegekräfte aus dem Beruf; Pflegeverbände und Ärztekammern warnen vor einem dramatischen Personalmangel. Krankenpflger:innen verdienen (wie alle Beschäftigten im Gesundheitswesen) bei weitem nicht genug – und mussten zuletzt deutliche Reallohnkürzungen hinnehmen. Trotz Warnstreiks, wie etwa vergangenen November im Zentrum für Psychiatrie Reichenau, hatten die verantwortlichen Politiker:innen kein Einsehen.
Die Lage ist also ernst – und zwar für uns alle. Denn fehlendes oder überlastetes Personal bekommen alle zu spüren, die auf medizinische Betreuung angewiesen sind.
Aber wie sieht es konkret vor Ort aus? Mit welchen Problemen müssen sich die engagierten Klinikbeschäftigten (und die Kolleg:innen beim Roten Kreuz) herumschlagen? Wie geht es ihnen dabei? Welche Perspektiven gibt es für den regionalen Klinikverbund? Und: Was kann der Rest der Bevölkerung tun, damit sich was ändert? Darüber sprechen am Mittwoch, 11. Mai, 20 Uhr (im Bürgersaal, Stephansplatz) Vanessa Solbeck (Praxisanleiterin/Gesundheitsschwester ZfP Reichenau/Stockach), Hannes Hänßler (Intensivpfleger/Personalrat Klinikum Konstanz), Normen Küttner (Personalrat Rotes Kreuz) und Noel Matausch (Azubi Klinikum Konstanz). Alle sind willkommen!
Die rettende Grenze
Noch schlimmer sind allerdings die Bedingungen, die Menschen in die Flucht treiben: Krieg, diktatorische Regimes, Hunger, Dürren und andere Folgen der Klimaerhitzung. Das war auch früher so. Nach der Niederschlagung der demokratischen Erhebung 1848/49 entkamen beispielsweise viele Revolutionär:innen den monarchistischen Schergen durch eine Flucht in die Schweiz. Während der Nazizeit flohen ebenfalls zahlreiche Menschen in die Grenzstadt, um über den Konstanzer Trichter und die grüne Grenze in die anfangs rettende Schweiz zu gelangen. Geholfen haben ihnen sozialdemokratische und kommunistische Genoss:innen und Gewerkschaftsmitglieder, die unter Einsatz ihres Lebens handelten. Später nahmen Flüchtlinge den umgekehrten Weg: aus Chile oder Kurdistan zum Beispiel. Danach aus dem Nahen Osten (Irak, Syrien, Afghanistan), aus Afrika, zuletzt aus der Ukraine.
Sie alle versuchten (und versuchen) – getrieben von Unsicherheit, Verzweiflung, Trauer und ein bisschen Hoffnung –, elendigen Verhältnissen zu entkommen. Aber wie erging und ergeht es ihnen hier? Wer hilft ihnen? Wie sehen die Fluchtwege heute aus? Wie und wo kann man sich engagieren, um der inhumanen Abschottungspolitik der EU und der Bundesrepublik etwas entgegenzusetzen?
Darüber diskutieren unter dem Veranstaltungstitel «Die rettende Grenze – Geschichten von Schmuggel, Flucht und Fluchthilfe» Alexa Best (Flüchtlingshelferin), Musa Cebe (Kurdistan/D), Gabriel Endurance (Nigeria/D), Thomas Nuding (Seenotretter), Jürgen Weber (Filmer, Seebrücke) und Ralph Braun (Buchautor, OV Medien+Kunst Konstanz). Die Gesprächsleitung hat David Tchakoura (Stabsstelle Stadt Konstanz International). Termin: Donnerstag, 12. Mai, 20 Uhr. Ort: Bürgersaal Konstanz, Stephansplatz. Der Eintritt ist frei – aber es wird für das Projekt SARAH Seenotrettung gesammelt.
PS: Und zwischendurch, am Dienstag, den 10. Mai, zeigen das Zebra-Kino und die Mediengewerkschafter:innen den beeindruckenden Film «Sorry We Missed You» des großen britischen Regisseurs Ken Loach. Er passt wunderbar zum Thema der Montagsveranstaltung … (pw)