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Kapital & Arbeit: Tarifstreit in der Metallindustrie

Die Niederlage im Kopf

9. Februar 2018 | Nach kurzen, aber heftigen Warnstreiks hat die IG Metall im Pilotbezirk Baden-Württemberg den Tarifkampf beendet. Was hat sie erreicht?


Bei einem Arbeitskampf können viele Faktoren den Ausschlag geben: Entschlossenheit und Moral der Beschäftigten zum Beispiel. Das Durchhaltevermögen der Unternehmen. Die finanzielle Ausstattung der Gewerkschaft, die ökonomische Gesamtlage, die Stimmung in der Öffentlichkeit. Oder die ideologisch-strategische Ausrichtung der Streikleitung.

Wie wichtig der letzte Faktor ist, hatte etwa der britische Generalstreik 1926 gezeigt: Damals waren Anfang Mai Hunderttausende den 1,2 Millionen Bergarbeitern beigesprungen, die sich gegen Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen wehrten. Der Solidaritätsstreik, zu dem die Führung des gewerkschaftlichen Dachverbands Trade Union Council (TUC) aufgerufen hatte, fand zuerst nur zögerlich Zuspruch; als sich jedoch die konservative Regierung mit Premier James Baldwin und Schatzkanzler Winston Churchill an der Spitze auf die Seite der privaten Grubenbesitzer schlug, weitete sich die Ausstand aus; Millionen Lohnabhängige (vor allem aus der Schwer- und Transportindustrie) beteiligten sich daran, das öffentliche Leben kam zum Stillstand.

Doch nach neun Tagen gab der TUC-Vorstand ohne erkennbaren Anlass klein bei und pfiff die Basis zurück: Die Gewerkschaftsspitze kapitulierte aus Angst vor einem Erfolg. Sie hätte die Regierung stürzen, das System zum Wanken bringen können – wusste aber nicht, was an deren Stelle hätte treten können. Es gab keine Strategie, keine Vision, und so liessen die TUC-Verantwortlichen die kämpfenden Kumpel im Stich. Von dieser selbstverschuldeten Niederlage beim einzigen Generalstreik in der britischen Geschichte hat sich die ArbeiterInnenbewegung jahrzehntelang nicht erholt.

Grosse Ziele, magere Resultate

Das war jetzt beim Arbeitskampf in der deutschen Metallindustrie anders; es gab zumindest eine Vision: Die IG Metall setzte – ein überaus löbliches, dringend gebotenes Unterfangen – das Thema Arbeitszeitverkürzung auf die Tagesordnung. Nicht für alle gleichermassen (wie 1984 bei den wochenlangen Streiks zur Durchsetzung der 35-Stunden-Woche), aber für jene, die eine vorübergehende Reduktion der Wochenarbeitszeit auf 28 Stunden wollten. Beschäftigte, die ihre Arbeitszeit reduzieren, um Kinder zu betreuen oder Familienangehörige zu pflegen, sollten einen Zuschuss von monatlich 200 Euro erhalten. Diese Forderung – sowie eine Lohnerhöhung von sechs Prozent für alle – stand im Zentrum des jüngsten Tarifkonflikts.

Die Voraussetzungen für den Arbeitskampf waren so gut wie selten:

● Die deutsche Metallindustrie steht glänzend da, die Exporte boomen, das Wachstum ist ungebrochen; die AnteilseignerInnen scheffeln Milliarden.

● Selbst unternehmensnahe WirtschaftswissenschaftlerInnen und Forschungsinstitute halten aus gesamtökonomischen Erwägungen kräftige Reallohnerhöhung für dringend geboten.

● Da es zuletzt nur selten zu Arbeitskämpfen kam, sind die Streikkassen der IG Metall gut gefüllt.

● Und die Basis zog mit – wie die ganztägigen Warnstreiks zeigten, an denen sich insgesamt 1,2 Millionen Beschäftigte beteiligten.

Daher überraschte es viele, wie schnell der Konflikt beilegt war. Am 6. Februar einigten sich beide Seiten im Pilotbezirk Baden-Württemberg auf ein Abkommen, das nur schemenhaft der ursprünglichen Forderung ähnelt. Die wichtigsten Punkte:

● Arbeitszeit: Einzelne Beschäftigte können bis zu zwei Jahre lang ihre wöchentliche Arbeitszeit von 35 auf 28 Stunden reduzieren. Ein Anrecht darauf hat aber nur ein Zehntel der Belegschaft; sollten mehr Lohnabhängige die Arbeitszeit verringern wollen, steht es dem Unternehmen frei, dies abzulehnen. Außerdem dürfen künftig Firmen – gewissermassen als Ausgleich für Arbeitszeitreduktion – die Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden anheben. Dies gilt vor allem die Neueingestellte. Man habe «mehr Selbstbestimmung bei der Arbeitszeit» durchsetzen können, feiert die IG Metall das Ergebnis; «Flexibilität» sei «nicht länger ein Privileg der Arbeitgeber». Dafür akzeptierte die IG-Metall-Spitze eine Dreifachspaltung der Belegschaften in jene, die befristet 28 Stunden arbeiten, die neuen, die künftig 40 Stunden schuften müssen, und den Rest der 35-StundlerInnen (plus die befristet Beschäftigten).

● Zusatzleistung: Vom geplanten Lohnausgleich (200 Euro mehr im Monat für Betreuende und Pflegende) ist praktisch nichts übrig geblieben – außer jährlich zwei Tagen Zusatzurlaub, den das Unternehmen alleine bezahlt.

● Lohnerhöhung: Statt der geforderten 6 Prozent mehr Lohn gibt es eine Erhöhung um 4,3 Prozent. Allerdings hatten sich die 6 Prozent auf eine Laufzeit von 12 Monaten bezogen; die jetzt geschlossene Vereinbarung gilt aber für 27 Monate. Das ergibt im Schnitt eine jährliche Lohnerhöhung von gerade mal 2 Prozent; auf dieser Höhe bewegt sich auch die Inflation. Dazu kommen Einmalzahlungen (im Juli nächsten Jahres 400 Euro) sowie ein jährlich auszuzahlendes tarifliches Zusatzgeld in Höhe von 27,5 Prozent des Monatslohns.

Die große Frage: Warum?

Ist das nun ein «Meilenstein auf dem Weg zu einer modernen selbstbestimmten Arbeitszeit», wie IG-Metall-Chef Jörg Hofmann den Abschluss nennt? Wohl kaum. Viel eher stellt sich die Frage, warum die IG Metall den Kampf einstellte, bevor er überhaupt richtig begann. Die Mobilisierung hat gestimmt, an Ressourcen mangelte es der Gewerkschaft nicht, das Interesse der Öffentlichkeit war gerade erst erwacht.

Weshalb ist sie unter ihren Möglichkeiten geblieben? Ein möglicher Systemwechsel wie in Britannien 1926 stand und steht nicht zur Debatte, auch keine Umverteilung von oben nach unten. Höchstens eine kleine Beteiligung derer, die die Werte schaffen, an den Profiten jener, die man früher Couponschneider nannte. Bleibt nur eine Antwort: Die Standortorientierung der IG-Metall-Spitze und die Fixierung der mächtigen Betriebsräte aufs Co-Management sind ungebrochen. Nichts, aber auch gar nichts darf die Wettbewerbsfähigkeit des Kapitals schwächen. Wenn die Gewerkschaft trotz bester Voraussetzungen kaum mehr als eine Bestandswahrung herausholt – dann möchte man nicht wissen, was sie in Krisenzeiten tut. Und die kommen ja wieder.

PS: Die stärkste Gewerkschaft Europas hat es übrigens immer noch nicht geschafft, in den neuen Bundesländern die 35-Stunden-Woche durchzusetzen. Dort war 2003 ihr Kampf für eine Angleichung der Arbeitszeit in Ost und West kläglich gescheitert – am Widerwillen und der mangelnden Solidarität der Betriebsratschefs der westdeutschen Großbetriebe. (pw)