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Deutschland: Streiks im öffentlichen Dienst
Mit StreikbrecherInnen gegen die bessere Einsicht
20. Februar 2006 | Mit so viel Kampfbereitschaft hatten die Provinzfürsten in den Länderregierungen nicht gerechnet: Die Beschäftigten lehnen längere Arbeitszeiten ab.
Im sonst so auf Sauberkeit bedachten Schwabenland türmt sich der Müll: Seit Anfang letzter Woche streiken in Stuttgart und anderen Grossstädten des Landes Baden-Württemberg die Beschäftigten der Müllabfuhr. Auch die Angestellten der Stadtreinigung, der Kindergärten, der Friedhofsämter, der städtischen Spitäler haben unbefristet oder tageweise die Arbeit niedergelegt. Seit Anfang dieser Woche rollt nun eine zweite Streikwelle an. In gleich neun Bundesländern streiken die Bediensteten von Kliniken, Staatstheatern, Universitäten, Strassenmeistereien und Landesämtern. Seit vierzehn Jahren hat es im deutschen Service public keinen so grossen Arbeitskampf gegeben. Die Streikenden wehren sich gegen längere Wochenarbeitszeiten und weiteren Arbeitsplatzabbau.
Dass die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi nun an allen Ecken und Enden kämpfen muss, liegt auch an ihren Versäumnissen. Letztes Jahr hatte Verdi einen Gesamtarbeitsvertrag für den öffentlichen Dienst unterschrieben, in dem sie den staatlichen Behörden kampflos weitgehende Zugeständnisse machten. Sie akzeptierte die Einführung neuer Niedriglöhne und das Leistungslohnprinzip, nahm für nächsten zwei Jahre bei den Löhnen eine Nullrunde hin und bewilligte eine Klausel, derzufolge jederzeit die Arbeitszeitvereinbarungen bekündigt werden können. Die Bundesverwaltung und die Kommunen unterschrieben diesen Tarifvertrag.
Nur die Länder wollten noch mehr. Autoritäre Provinzfürsten wie Edmund Stoiber (Bayern), Roland Koch (Hessen) und Günther Oettinger (Baden-Württemberg), die ihre BeamtInnen per Dienstanweisung zu längeren Arbeitszeiten verdonnert hatten, verlangten auch von den anderen Beschäftigten wöchentliche Arbeitszeiten von bis zu 42 Stunden (bisher sind 38,5 Stunden die Regel) – und scherten aus der Tarifgemeinschaft von Bund, Ländern und Kommunen aus. Seither herrscht auf Landesebene ein tarifloser Zustand mit der Folge, dass alle Neueingestellten und alle, die sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten hangeln (darunter fast alle Uni-Angestellte), nun 42 Stunden arbeiten müssen. Verdi nahm dies hin. Die bei den Landesbeschäftigten weniger stark verankerte Gewerkschaft wollte einen Arbeitskampf partout vermeiden. Nun muss sie ihn doch führen.
Das ist die eine Konfliktebene. Die andere hat damit zu tun, dass die Kommunalen Arbeitgeberverbände von Baden-Württemberg, Niedersachsen und Hamburg die ihnen von Verdi vertraglich eingeräumte Öffnungsklausel nutzten und die 38,5-Stunden-Regelung zum erstbesten Zeitpunkt kündigten. Sie wollen in ihren Gemeinden die 40-Stunden-Woche durchsetzen. Die Kommunen seien fast pleite, argumentieren die BürgermeisterInnen. Das stimmt auch. Aber erstens gehören die Städte und Gemeinden im konservativen Südwesten nicht zu den ärmsten der Republik, und zweitens könnte selbst eine 50-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich die von Berlin kurz gehaltenen und von den vielen Steuerreformen (zugunsten der Reichen) gebeutelten Kommunen nicht sanieren.
Die Konfliktbereitschaft der Beschäftigten hat alle überrascht – auch viele Hauptamtliche von Verdi. Sie alle hatten gedacht, dass das mediale Trommelfeuer («der Staats muss sparen») in den Köpfen angekommen sei. Zeigen nicht alle Umfragewerte eine hohe Zustimmung zur schwarz-roten Koalition in Berlin, die getragen wird von den Parteien, die auch in den Ländern und den Gemeinden den Ton angeben? Ist nicht die Sozialabbau-Kanzlerin Angela Merkel die populärste Politfigur seit langem? Jenseits der Medien gibt es offenbar auch eine andere Wahrnehmung: In allen Urabstimmungen votierten bisher rund 95 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für Streik. Die Basis weiss, worum es geht: Um den Service public und um die Zukunft der Arbeitslosen und der Jugend. Allein im letzten Jahr sank die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst bundesweit um über 100.000. In den baden-württembergischen Kommunen verschwand in den letzten zehn Jahren jeder vierte Arbeitsplatz. Gleichzeitig hat das Arbeitsvolumen zugenommen. Ein Arbeitszeitverlängerung würde noch mehr Stellen kosten.
Der Kampf wird mit harte Bandagen geführt. In Karlsruhe hat die Stadtverwaltung Ein-Euro-Jobber als Streikbrecher angeheuert. Das sind zwangsverpflichtete Langzeitarbeitslose, die seit letztem Jahr für ihre Arbeit «zugunsten des Gemeinwohls»ein bis maximal anderthalb Euro pro Stunde hinzuverdienen können. Wenn sie sich weigern, verlieren sie ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld. In grün regierten Freiburg/Breisgau will die Verwaltung Privatfirmen mit der Müllabfuhr beauftragen. Auch andernorts drohen BürgermeisterInnen unverhohlen mit einer weiteren Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Die Streikkasse sei gut gefüllt, sagt Verdi, die einen langen Kampf erwartet. Das kann's auch werden – wenn die Gewerkschaft am Verhandlungstisch nicht wieder einknickt wie im letzten Jahr. (pw)