↑ home
zur Übersicht ↑ Irland & Nordirland
Nordirland: Abstimmung über Karfreitagsabkommen
Mit Ach und Krach über Hürden?
21. Mai 1998 | Viel hängt davon ab, wie die nordirischen ProtestantInnen das Friedensabkommen vom Karfreitag beurteilen.
An grossartigen Auftritten hat es nicht gemangelt in letzter Zeit. Der britische Premierminister Tony Blair fuhr fast wöchentlich in die Provinz, die IRA-Partei Sinn Féin veranstaltete einen sorgfältig inszenierten Sonderkongress (mit viel Lob für die Beteiligten am «Friedensprozess»), militante Loyalisten feierten ebenfalls ihren «Sieg», US- Präsident Bill Clinton sprach am G8-Gipfel in Birmingham via TV-Interview zur nordirischen Bevölkerung, und am Dienstag kletterten David Trimble und John Hume – die Führer der beiden grössten nordirischen Parteien – auf die Bühne eines Rockkonzerts mit der Gruppe U2. Nur einer der bekannteren Politiker Nordirlands musste sich mit kleineren Versammlungen zufrieden geben – der Religionsführer und Parteigründer Ian Paisley zog durch die Dörfer, um wieder einmal vor drohendem Unheil zu warnen. Und wieder einmal könnte er gewinnen.
An diesem Freitag entscheiden die Iren und Irinnen in zwei Referenden über die Zukunft Irlands. Im Zentrum der Abstimmung steht das Abkommen vom Karfreitag: Vor sechs Wochen hatten die Regierungen von Britannien und Irland und die meisten grossen Parteien Nordirlands eine Vereinbarung beschlossen, die ein nordirisches Regionalparlament, einen Rat der Inseln und einen Nord-Süd-Ministerrat vorsieht – falls die Bevölkerung im Norden wie im Süden Irlands zustimmt.
Das Ergebnis im Süden steht fest – alle Parteien haben den BürgerInnen die Verfassungsänderung empfohlen, mit der die Republik den Anspruch auf das gesamte Gebiet der Insel aufgibt. Auch beim EU-Vertrag von Amsterdam, über den praktischerweise gleichzeitig abgestimmt wird, ist eine Zustimmung sicher.
Im Norden wird das Karfreitagsabkommens wohl ebenfalls genehmigt. Eine überwältigende Mehrheit der katholischen NationalistInnen (sie machen rund 41 Prozent der Bevölkerung aus) begrüsst die Vereinbarung – zu einer Gesamtmehrheit fehlt da nicht mehr viel. Doch die allein reicht nicht aus.
Entscheidend ist, ob auch eine Mehrheit der protestantischen UnionistInnen zustimmt. Die aber könnte ausbleiben – allen Anstrengungen der britischen Regierung zum Trotz. Viele UnionistInnen wollen keinerlei Änderung – oder nur, wenn die IRA restlos kapituliert, wenn alle Gefangenen ihre Strafe bis zum Ende absitzen müssen, wenn Südirland jede «Einmischung» unterlässt und wenn das neue Parlament ohne Rücksicht auf die (nationalistische) Minderheit operieren darf. Dass das Abkommen die britische Herrschaft in Nordirland festigt, reicht ihnen nicht; sie wollen den ganzen Sieg.
Ian Paisley und seine Democratic Unionist Party (DUP) argumentieren für diese Position – und die halbe Ulster Unionist Party von David Trimble steht an Paisleys Seite. Trimble kämpft deshalb um sein politisches Überleben. Wenn Paisleys Front im Referendum besteht, könnte seine DUP bei den Wahlen zum Regionalparlament am 25. Juni stärkste Partei werden und damit den Ersten Minister der nordirischen Regionalregierung stellen. Man kann sich gut vorstellen, was dann aus der Machtteilung im Norden und was aus dem grenzüberschreitenden Ministerrat wird, auf den Sinn Féin so viel Hoffnungen setzt: nicht viel.
Wenn die UnionistInnen mehrheitlich ablehnen, sei die Vereinbarung so gut wie tot, sagt die britische Regierung. Doch die eigentlichen Probleme liegen im Abkommen selber. Es ist ein gutes Abkommen – vorausgesetzt, die IRA war Ursache aller Probleme. Aber stimmt diese Analyse? Und stimmt die Haltung der britischen Regierung, die es wieder einmal geschafft hat, sich als ehrliche Maklerin darzustellen? Ist London tatsächlich eine neutrale Kraft, die keine anderen Interessen verfolgt ausser der ernsthaften Absicht, die beiden kriegerischen irischen Stämme auseinanderzuhalten?
Sinn Féin hat im Laufe der Verhandlungen alle früheren Positionen aufgegeben in der Hoffnung, einen Krieg zu beenden, den die IRA letztlich nur verlieren konnte. Inzwischen steht die IRA faktisch auf der anderen Seite: Nur so ist zu erklären, dass bisher sämtliche Anschläge der republikanischen DissidentInnen bereits in der Vorbereitungsphase aufflogen oder rechtzeitig vereitelt werden konnten. Diese Polizeifunktion der IRA ist durchaus sinnvoll: Die politische Diskussion der letzten Jahre lief (unter Beteiligung von Sinn Féin und IRA) auf nur eine Alternative zu – entweder dieses Abkommen oder Krieg. Eine Fortsetzung der Gewalt hätte fürchterliche Folgen. Doch die Konzentration auf diese eine Alternative hat eine dritte Position völlig verdrängt: Ende des Militarismus auf allen Seiten, dafür eine breite Mobilisierung für weitreichende Veränderungen im Norden wie im Süden.
Es ist schon seltsam: Wieder einmal haben politische Verschiebungen innerhalb der republikanischen Bewegung dafür gesorgt, dass ausser nationalistischen Traditionalisten nur eine verschwindend kleine Minderheit weiterhin die Vereinigung Irlands fordert: die Linke. Auf die könnte demnächst ein Problem zukommen, wenn – wie absehbar – die bei der katholischen Bevölkerung völlig diskreditierte nordirische Polizei nicht grundlegend reformiert wird. Sie könnten ihre Polizei behalten, hat Blair den UnionistInnen versprochen. Kurz darauf ernannte er den konservativen Chris Patton (Ex-Gouverneur von Hongkong) zum Vorsitzenden der Polizei-Reformkommission.
Er bat auch einen früheren US-Präsidenten um Hilfe: Jetzt soll George Bush ausländische Investoren ins befriedete Nordirland locken. Dort knüppelt dann eine weiterhin protestantische Polizei so lange auf arbeitslose katholische Jugendliche ein, die das Investitionsklima gefährden, bis diese sich fragen, in welchem Staat sie eigentlich leben. Das ist die langfristige Perspektive. Es gibt jedoch eine Abkürzung. Anfang Juli werden die probritischen LoyalistInnen von Portadown wieder durch das irisch-nationalistische Viertel an der Garvaghy Road marschieren wollen. In den letzten drei Jahren hat die britische Nordirlandverwaltung den Marsch mit Gewalt durchgesetzt. Wenn sie das 1998 wieder tut, kündigen auch NationalistInnen den Konsens, den sie heute befürworten. (pw)
Nachtrag: Die nordrischen ProtestantInnen haben dann doch mit einer äusserst knappen Mehrheit von rund 52 Prozent dem Abkommen zugestimmt; die irisch-nationalistische Seite votierte mit 97 Prozent mit Ja. Kurze Zeit später löste die DUP die lange Zeit tonangebende UUP als stärkste Kraft der UnionistInnen ab.