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Nordirland: Was Polizisten denken

Immer diese verdammten Katholiken

8. November 1996 | Die nordirische Polizei hat einen neuen Chef. Auch der kann ihren Ruf kaum retten.

«Von denen gibt es viel zu viele hier. Wo ich arbeite, ist jetzt jeder Sergeant oder Inspektor ein verdammter Rebell. Die geben hier den Ton an, die übernehmen die Macht. Und jede Menge Protestanten wird aufgrund ihrer Religion nicht befördert.» So wie dieser Polizist haben viele andere Angehörige der nordirischen Polizei Royal Ulster Constabulary (RUC) über ihre katholisch-nationalistischen KollegInnen gesprochen.

Ihre Aussagen hat Graham Ellison, Student an der University of Ulster, für seine Dissertation protokolliert. Darin sind solche Sprüche zu lesen wie: «Ich habe nichts gegen die Katholiken, aber kann man ihnen trauen? Da gibt es die sanften Katholiken, die vorn herum immer nett sind, aber von denen man nie weiss, was sie hintenherum treiben. Vor allem diese Sanften muss man im Auge behalten.» In den katholisch-nationalistischen Bezirken von Belfast gehe es selbstverständlich viel schmutziger zu als in den protestantisch-unionistischen Quartieren, sagen andere, katholische KollegInnen dürften nach Belieben krankfeiern, würden ohne Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten befördert, und überhaupt nehme man viel zu viel Rücksicht auf «die Katholiken», obwohl sie doch «uns bei der nächsten Gelegenheit ein Messer in den Rücken rammen».

Er selber, zitiert die «Irish Times» den Doktoranden Ellison, hätte mit einem anderen Taufschein die Befragung nicht vornehmen können: «Viele hätten sich nicht interviewen lassen, wenn ich nicht Protestant wäre.» Nur sieben Prozent der etwa 14.000 RUC-Angehörigen sind katholisch, zu Beginn des Konflikts waren es über zehn Prozent.

Verhörzentrum Castlereagh

Diese katholischen PolizistInnen vermeiden – so das Ergebnis der Untersuchung – jede politische Diskussion, sie ordnen sich dem offenen Protestantismus der Polizei unter und beklagen eine Entfremdung innerhalb ihrer Gemeinschaft. Die RUC ist eine der am stärksten aufgerüsteten Polizeistreitkräfte der Welt, sie gilt als äusserst erfahren in der Aufstandsbekämpfung, ihre Verhörmethoden im RUC-Zentrum an der Belfaster Castlereagh Road wurden schon mehrfach vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt.

Aufgrund ihres oft rücksichtslosen Vorgehens zum Schutz des protestantischen Staates Nordirland (die Todesschusspolitik der RUC wurde von Menschenrechtsorganisationen wiederholt kritisiert) fordern die nordirisch-katholischen RepublikanerInnen seit langem die Auflšösung der RUC. Nach der Waffenruhe im Herbst 1994 drängte Sinn Féin, die Partei der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), auf die Gründung einer neutralen Polizei. Dass die britische Regierung sich weigerte, eine Umstrukturierung der RUC auch nur in Erwägung zu ziehen, war einer der Gründe für die Aufkündigung des IRA-Waffenstillstandes im Februar dieses Jahres gewesen.

Nun hofft das britische Nordirlandministerium auf einen Imagewandel; der soll mit Ron Flanagan kommen, welcher am Montag sein Amt als neuer RUC-Kommandant angetreten hat. Flanagan, der die Abteilung der Politischen Polizei leitete, bevor er letztes Jahr stellvertretender Polizeichef wurde, gilt als «neutraler Mann». Er will die Glaubwürdigkeit der RUC in der irisch-nationalistischen Bevölkerung herstellen und den Anteil der katholischen RUC-Angehörigen erhöhen. Das wurde freilich schon mehrfach versucht, immer mit dem gleichen Ergebnis.

Belagerung von Drumcree

Die Tatsache, dass die Menschen in den Ghettos bei Straftaten nicht die Polizei, sondern die IRA holen, zeigt, wie nachhaltig ramponiert der Ruf der RUC ist. Das ist nicht nur auf die grosse Freude zurückzuführen, mit der die RUC Verhaftungen und Hausdurchsuchungen vornimmt – allzu oft ist es auch vorgekommen, dass die Polizei Verdächtige wieder laufen liess, wenn diese dafür Spitzeldienste übernahmen. Die andauernden Versuche der Polizei, die Gemeinschaften zu spalten, und ihre fortwährenden Schikanen haben überhaupt erst die paramilitärische Selbstjustiz hervorgebracht, die von Amnesty International und anderen Menschenrechtsorganisationen immer wieder angeprangert wird.

Wo die RUC steht, hat die nationalistische Bevölkerung im Juli dieses Jahres in schöner Deutlichkeit erfahren können. Damals versperrten PolizistInnen unionistischen Verbänden den Weg, die partout durch ein katholisches Quartier ziehen wollten. Es folgte die «Belagerung von Drumcree», bei der sich protestantische Marschierer und protestantische Polizei gegenüberstanden. Nach mehreren Tagen gab die RUC den Weg frei und verprügelte nationalistische DemonstrantInnen.

Diesen Kurswechsel, dem die heftigsten Auseinandersetzungen seit 1969 folgten, hatte – wie jetzt bekannt wurde – die Polizeibasis erzwungen. Das bestätigt auch Ellisons Untersuchung. Viele Polizeioffiziere hätten die ursprüngliche RUC-Entscheidung (Schutz der nationalistischen Bevölkerung vor unionistischen Märschen) «völlig abgelehnt»; eine «Massen-Desertion» sei absehbar gewesen. Es gibt wahrscheinlich nicht viele Polizeikorps in der Welt, in denen so offen und auch noch erfolgreich mit Befehlsverweigerung und Meuterei gedroht werden kann. Aber andererseits verteidigte die RUC-Basis damit nur die protestantische Vorherrschaft, und zu ebendiesem Zweck ist ja auch der Staat da, dem sie zu dienen haben. (pw)