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Irland: Die Fischer von Killybegs
Allein auf einem Meer von Sorgen
2. Juni 2011 | Seit Jahren steckt die irische Fischerei in einer Krise, aus der es kaum ein Entrinnen gibt. Die Fischer blicken zwar auf reiche Fischgründe, doch die werden von anderen Fangflotten leer geräumt. Kein Wunder, ist die EU hier so unbeliebt.
Er ist übernächtigt, seine Augen blicken müde, und doch hat er noch Kraft für Wutausbrüche. Zehn Tage lang war Denis Carbery mit seinem Trawler unterwegs gewesen, war 150 Seemeilen in den Nordatlantik hinausgefahren und hatte kaum eine ruhige Minute gehabt. Als Skipper kann man sich auf hoher See nur stundenweise ausruhen. Trotzdem würde er am liebsten sofort wieder raus. «Ich habe die Nase gestrichen voll», knurrt er im Steuerstand der «Atlantic Quest» und feuert ein paar Briefe auf den Tisch. «Noch mehr Regeln, noch mehr Vorschriften aus Brüssel, dieser verdammte Bullshit macht mich noch verrückt.» Die harte Arbeit auf dem Meer sei ein Zuckerschlecken im Vergleich zu dem, womit er sich an Land herumschlagen müsse. «Alles Bürokratenschikane», schimpft Carbery, der seit 27 Jahren Fische fängt. «Irgendwer sollte mal Brüssel in die Luft sprengen.»
So wie er denken viele der rund sechzig Kapitäne von Killybegs, dem grössten Fischereihafen Irlands. Die meisten von ihnen – sie besitzen in der Regel nur ein Schiff – hatten vor Jahren grosse Summen investiert. Doch das Geschäft lohnt sich nicht mehr. Die tiefen Fischpreise setzen ihnen ebenso zu wie die Fangquoten, die die EU-Kommission jährlich den EU-Mitgliedsstaaten zuteilt. «In den letzten zwei Jahren sind die Preise für Dorsch, Wittling, Schellfisch und Seelachs um vierzig Prozent gesunken», sagt Carbery, «und für Makrelen bekommt man eh nicht viel.» Schuld daran hätten die unkontrollierten Billigimporte aus Nicht-EU-Staaten. «Und dann reduziert Brüssel auch noch über die Jahre hinweg unsere Fangmengen.»
Die Grossen und die Kleinen
Und so wird es allmählich eng für Carbery, der mit seinem Bruder vor fünf Jahren die «Atlantic Quest» kaufte, mit zwölf Metern Länge eines der kleinsten Boote im Hafen. 2,5 Millionen Euro haben die beiden dafür gezahlt, die Fanglizenz hat ihn noch mal eine Million gekostet, und für jedes Netz, das vielleicht zwei Jahre hält, aber schon bei der nächsten Fahrt reissen kann, muss er 15 000 Euro hinlegen.
Solange die Preise und die Quoten stimmten, habe er die Kosten stemmen können, sagt Carbery. Er konnte auch problemlos seine Crew bezahlen, sechs Männer, die seit langem für ihn arbeiten. Doch jetzt drücken ihn die Schulden. Und die Banken, die vor der irischen Finanzkrise noch grosszügig Kredite vergaben, pochen jetzt gnadenlos auf pünktliche Rückzahlung. Ein Jahr hält er vielleicht noch durch, höchstens zwei. Dann ist Schluss. Killybegs ist eine Kleinstadt am Südwestende von Donegal, der nördlichsten Grafschaft von Irland. Etwa 2500 Menschen leben in dieser unscheinbaren Ortschaft an einer geschützten Bucht der Donegal Bay. Es gibt eine kleine Kirche, etliche Pubs und Hotels und ein winziges Museum, in dem der vielleicht grösste Teppichwebstuhl der Welt zu sehen ist (die hier gefertigten Donegal Carpets wurden einst an den Vatikan, ans Weisse Haus und an den Buckingham-Palast geliefert). Spektakulärer ist jedoch der Hafen: Nirgendwo in Irland sind so viele Trawler registriert wie hier; sie fangen über sechzig Prozent der in Irland vermarkteten Fische. Das sagt jedenfalls Sean O'Donoghue, und er kennt sich aus. Er ist Vorsitzender der Killybegs Fishermen's Organisation (KFO), die grösste Lobbyvereinigung und der grösste Produzentenverband der irischen Fischer.
Und nirgendwo auf der Insel gibt es so viele fischverarbeitende Fabriken und Grosshändler: Hier filetieren und verpacken knapp tausend Beschäftigte die angelandeten Fische und liefern sie an die Supermärkte. Die Ware kommt zum Teil von den zwanzig grossen Trawlern der Hochseeflotte, die vor allem hinter sogenannten pelagischen Arten wie Hering, Makrelen oder Stöcker her sind, Fische, die im offenen Meer leben. Die Skipper dieser Trawler fahren weit hinaus, zuweilen bis in die Gewässer von Marokko und Mauretanien und manchmal sogar bis vor Senegal. Sie sind die Reichen unter den Fischern von Killybegs. Ihnen geht es immer noch recht passabel, obwohl ihre Schiffe (die bis zu zwölf Millionen Euro kosten) mittlerweile von April bis September im Hafen liegen. «Vor ein paar Jahren noch waren sie neun Monate unterwegs», sagt O'Donoghue, «aber wegen der Quotenbeschränkung sitzen sie jetzt ein halbes Jahr fest.»
Ganz anders sieht es bei Fischern wie Denis Carbery aus, die bei ihren Fangzügen auf einen Radius von 100, vielleicht 150 Meilen beschränkt sind und deren Schiffe etwa vierzig Prozent der Killybegs-Flotte ausmachen. Sie fangen vor allem Whitefish, wie sie das nennen: Wittling, Schellfisch oder Seelachs, manchmal auch Makrelen. Vor allem sie hat der Preisverfall getroffen. Aber sie sind nicht nur deswegen wütend. Was sie ebenfalls ärgert, ist die Konkurrenz, die vor ihren Augen die Fischbestände vor ihrer Küste abräumt. Spanische, französische, dänische, britische, holländische und deutsche Flotten, manchmal auch portugiesische und norwegische, hochmodern ausgerüstet und mit gigantischen Kähnen. «Da draussen fahren Fischfabriken herum, die mit enorm hohen Quoten ausgestattet sind», sagt Carbery, «und wir Kleinen haben das Nachsehen.» Erst heute Morgen sei er einem holländischen Schiff mit holländischer Crew begegnet, das aber unter deutscher Flagge fuhr. «Die haben offenbar einem deutschen Unternehmen die Quote abgekauft», so sei das halt, wenn die Fischerei durchkommerzialisiert werde. «Das sind alles Konzerne, während wir hier noch selber Hand anlegen.»
Er habe nichts gegen eine Quotierung. «Natürlich müssen Regeln sein», sagt Carbery. «Ich selber habe doch das grösste Interesse daran, dass die Bestände nicht leer gefischt werden», er wolle ja auch noch in zwanzig Jahren damit seinen Unterhalt verdienen. Doch wer bestimmt die Regeln? Wer setzt sie in wessen Interesse durch? Und welche Instanzen kontrollieren, ob sie auch eingehalten werden?
Keine Tradition, kein Interesse
«Die EU hat uns von Anfang an über den Tisch gezogen – und unsere Politiker haben nicht gemerkt, was da ablief. Sie waren ja auch nicht interessiert.» Der 43-jährige Lokalpolitiker Thomas Pringle gerät schnell in Fahrt, wenn er von den Beitrittsverhandlungen Irlands mit der EU erzählt. Die waren Anfang der siebziger Jahre geführt worden, als die EU noch Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) hiess. In den EWG-Gründungsverträgen von Rom sei die Ressource Fisch noch mit keinem Wort erwähnt gewesen, erläutert er. «Die Fischerei wurde für die Gemeinschaft erst interessant, als Irland, das Vereinigte Königreich und Dänemark beitraten. Denn diese Staaten hatten reiche Fischgründe zu bieten.»
Mit deren Beitritt im Januar 1973 erklärte die EWG die Fanggründe zur Allmende, die von allen Mitgliedsstaaten genutzt werden darf. 1977 weitete sie die Fischereizone von 12 auf 200 Meilen aus und führte 1982 Fangquoten ein. Berechnet wurde die Zuteilung auf Basis der bisherigen Flotten- und Fangkapazitäten. Dieses System benachteiligte Irland in besonderem Masse – zu jener Zeit spielte die irische Fischindustrie nur eine untergeordnete Rolle.
Über Jahrhunderte hinweg hatten die britischen Kolonialherren und Grossgrundbesitzer in Irland nur die Agrarwirtschaft gefördert und die Fischerei eher behindert – die irischen LandarbeiterInnen mussten die Ernährung des britischen Proletariats sicherstellen. Selbst während der Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts, als eine Million IrInnen verhungerten, wurden Lebensmittel nach Britannien exportiert; die reichhaltigen Fischgründe konnten die Armen schon deswegen nicht nutzen, weil ihnen die Mittel für Boote und Ausrüstung fehlten.
Weil es keine Fischfangtradition gab, habe sich die irische Regierung während der Beitrittsverhandlungen kaum für die irischen Fischer eingesetzt. Ausserdem sei sie unter grossem Druck gestanden. «Garret FitzGerald, der damals in der irischen Verhandlungskommission sass, hat mir schriftlich bestätigt, dass Brüssel ein Ultimatum stellte», erzählt Thomas Pringle: «Wenn Irland seine Fanggründe nicht freigebe, werde es nichts mit dem Beitritt.» FitzGerald, in den achtziger Jahren zweimal Ministerpräsident Irlands, mag übertrieben haben. Sicher aber ist: Bei den damaligen wie allen nachfolgenden Verhandlungen mit Brüssel kümmerte sich die irische Regierung mehr um die europäischen Subventionen aus dem Strukturfonds und um die Landwirtschaft. Das sieht auch KFO-Chef Sean O'Donoghue so, der sonst ganz andere Ansichten vertritt als der Linke Pringle. «Die Verhandlungen wurden von unserer Seite nicht optimal geführt», sagt der Gremienstratege, der lange Zeit im Dubliner Fischereiministerium tätig war, «es mangelte oft an Sachverstand und Engagement.» Doch das sei jetzt anders: «Wir sitzen in vielen internationalen Gremien und können professionell mitreden.» Aber ist das genug? Pringle, der seit der letzten Wahl Ende Februar als unabhängiger Abgeordneter im Dáil Éireann sitzt, dem irischen Parlament, bezweifelt das. «Uns gehören vierzehn Prozent der EU-Gewässer, in denen knapp die Hälfte des gemeinschaftlichen Fischbestands lebt», sagt der neue Abgeordnete, der in Killybegs aufgewachsen ist. «Aber die irischen Fischer haben nur einen Quotenanteil von vier Prozent. Ist das gerecht?» Müsste man nicht das gesamte System ändern?
Eine Frage der Demokratie
Dass die bestehende Quotenregelung ihr Ziel – eine nachhaltige Bewirtschaftung der Fischbestände – verfehlt, bezweifelt nicht einmal die EU-Kommission. In ihrem Grünbuch 2009 für eine neue Fischereipolitik hält sie fest, dass knapp neunzig Prozent der Bestände in EU-Gewässern übernutzt sind und sich rund dreissig Prozent ausserhalb «sicherer biologischer Grenzen» befinden, mithin vom Aussterben bedroht sind. Ein einfaches Mittel gegen diesen Raubbau ist der EU bisher nicht eingefallen. Die politischen Prozesse sind komplex, die LobbyistInnen haben grossen Einfluss – und so läuft die aktuelle Debatte (die 2013 in eine neue Gemeinsame Fischereipolitik münden soll) wohl darauf hinaus, dass das Prinzip der «relativen Stabilität» beibehalten wird. Mit anderen Worten: Wenn überhaupt, dann müssen sich alle nationalen Fangflotten gleichermassen beschränken.
Für Kevin McCorry ist das keine sinnvolle Strategie. Der ehemalige Anwalt, der in den sechziger Jahren aktives Mitglied der nordirischen Bürgerrechtsbewegung war und jetzt für die EU-kritische Bewegung People's Movement Papiere schreibt und Stellungnahmen verfasst (auch zur Fischereipolitik der EU), beschäftigt sich seit langem mit den Problemen der irischen Kleinfischer. Er engagiert sich nicht, weil er persönliche Interessen hätte, sondern weil darin «all die Defizite des EU-Zentralismus» zutage treten, wie er es formuliert. «Die Leute, die die Gewässer und die Fanggründe am besten kennen, haben doch nichts zu sagen», kritisiert er. Solange ihnen kein Mitspracherecht eingeräumt werde, «werden alle neuen Ansätze scheitern», sagt McCorry und erinnert an den Osteraufstand 1916, als IrInnen gegen die britische Kolonialmacht rebellierten. Auch damals sei es um das Recht gegangen, «über das Schicksal selber zu bestimmen», zitiert er die Unabhängigkeitserklärung von 1916. «Damals wurden die Gesetze in London gemacht, heute kommen die Verordnungen aus Brüssel.» Anders als im Unabhängigkeitskrieg, der bald nach 1916 begann, sei der Feind aber nicht mehr so leicht zu identifizieren. «Seinerzeit marschierte er in Uniform durch Irlands Strassen.» Mittlerweile aber seien die Machtstrukturen anonymer, eingebettet in ein Regelwerk, das die herrschenden Verhältnisse widerspiegele und das grosse Kapital systematisch begünstige. Und das von den konservativen Parteien des Landes mitgetragen werde. «Es geht um die Demokratie», sagt McCorry. Also um die Frage: Wer entscheidet?
Einmal Nein, einmal Ja
Zweimal hat die irische Bevölkerung in den letzten beiden Jahren entschieden. Das erste Mal im Juni 2008, als eine Mehrheit den Vertrag von Lissabon ablehnte, der eine noch weitergehende Marktliberalisierung festschrieb. Und dann noch mal in einem zweiten Referendum im Oktober 2009, das aber bereits unter dem Vorzeichen der Finanzmarktkrise stand und das zu dem von Brüssel und den anderen EU-Regierungen (die selber keine Volksabstimmungen riskierten) erhofften Ergebnis führte.
Wie McCorry hatte sich auch Thomas Pringle entschieden für ein Nein eingesetzt. «In Killybegs», sagt er, «lag der Nein-Stimmen-Anteil im ersten Referendum bei nahezu hundert Prozent, und bei der zweiten Abstimmung bekamen wir immer noch rund achtzig Prozent.» Donegal sei die einzige Grafschaft Irlands gewesen, die all den Versprechungen und Drohungen («Wir werden aus der EU geworfen!») trotzte. Es war auch ein Votum der Fischergemeinschaft gegen die eigene Regierung.
Denn die irische Regierung nimmt bisher stets fraglos die Fangquoten hin, die der EU-Ministerrat jeden Dezember fürs nächste Jahr beschliesst, und teilt sie monatlich den Skippern mit. «Ich weiss nicht, ob ich im Mai überhaupt hinausfahren kann», sagt Denis Carbery im April. Überhaupt bezweifelt Carbery den Sinn der zentralistisch verordneten Massnahmen. Denn die tragen seiner Erfahrung nach kaum zum Erhalt der Bestände bei. Seine Kritik teilt auch der KFO-Funktionär Sean O'Donoghue. «Die Quoten basieren vor allem auf Schätzungen wissenschaftlicher Institute, und die irren sich oft», sagt er. «Vor fünf Jahren haben unsere Mitglieder zum Beispiel grosse Makrelenbestände vor der Küste registriert, trotzdem hat die Kommission unsere Quote im folgenden Jahr um zwanzig Prozent reduziert.»
Die EU, bemängelt er, folge allein sogenannt wissenschaftlich erhobenen Daten, die aber den aktuellen Erkenntnissen der Fischer nicht entsprächen. «Zwei, drei Jahre später bekommen wir immer Recht.» Mitunter trete übrigens auch der umgekehrte Fall ein: «Immer wieder warnen wir, wenn der Bestand der einen oder anderen Spezies dramatisch abnimmt. Dann reduzieren die Fischer von selber ihre Fangmengen.» Aber niemand höre hin.
Neunzig Prozent gehen tot über Bord
Ein Grundproblem des Quotensystems ist der Beifang. Denn gezählt wird nur, was die Fischer anlanden. Das Dumme dabei ist: Ihnen gehen ja nicht nur die erlaubten Sorten und Mengen ins Netz, dessen Maschengrösse strikt reguliert ist. Sondern meist viel mehr. Vor kurzem habe er in einem Zug fünfzehn Tonnen Blauen Wittling herausgeholt, sagt Carbery. «Aber ich hatte nur die Bewilligung für eine halbe Tonne.» Also musste seine Crew die nicht erlaubte Menge wieder über Bord werfen – und dazu alle die anderen Fische, die den Schwarm begleitet hatten. Fast alle waren da schon tot. Dass der Beifang ein Problem ist, hat mittlerweile auch die EU-Kommission erkannt: Rund neunzig Prozent aller Fische, die in den EU-Gewässern gefangen werden, würden nutzlos vernichtet, konstatiert ihr Grünbuch von 2009.
«Eine einfache Lösung für dieses Problem gibt es nicht, solange die Fangquoten zentralistisch verordnet und monatlich zugeteilt werden», argumentieren die Fischer von Killybegs. Eine Beschränkung aber müsse sein, das sehen auch sie. Ohne Einschnitte wären die Gründe schnell leer gefischt, und noch mehr Fische auf dem Markt würden die Preise weiter nach unten treiben – jedenfalls so lange, wie die EU den Import von Billigfisch aus Entwicklungsländern erlaube, der unter meist fragwürdigen sozialen und ökologischen Bedingungen gezüchtet oder gefangen wird. Andererseits hätten die irischen Kleinfischer auch nichts gegen ein Ende der EU-Abkommen mit Drittstaaten, das den grossen EU-Flotten eine Plünderung der Fanggründe von Entwicklungsländern erlaubt: «Die Piraten, über die alle klagen, sind doch hauptsächlich Fischer, denen die EU mit ihren Abkommen die Lebensgrundlage weggenommen hat», sagt Kevin McCorry, der linke Anwalt.
Sie plädieren also auch für mehr Kontrolle. Aber nur zu gleichen Bedingungen. In Killybegs, sagt Manus O'Boyle, «gibt es mehr Inspektoren als an der gesamten spanischen Küste». Nicht nur dort schauen die staatlichen Behörden weg: «Die ganze Überwachung ist doch ein Witz.» Er spricht damit ein weiteres strukturelles Defizit der EU-Fischereipolitik an: Die Quoten werden in Brüssel festgelegt; ob sie eingehalten werden, müssen hingegen die einzelnen Staaten überprüfen. Und die nehmen es mitunter nicht so genau.
Nur langfristige Lösungen
Manus O'Boyle ist kein Fischer, aber er kennt die Industrie. 22 Jahre lang hatte der Vater von vier Kindern Netze hergestellt und dabei ordentlich Geld verdient. Er war an der Entwicklung neuer Netzformen beteiligt (das inzwischen europaweit verwendete Midwater-Schwimmschleppnetz mit dem Fluchtfenster für kleinere Fische wurde in Killybegs erfunden), hatte in Norwegen, Dänemark, Frankreich und Britannien die bis zu 1500 Meter langen Netze repariert – und wurde vor zwei Jahren entlassen. Früher hätten die NetzmacherInnen die Aufträge kaum bewältigen können und Überstunden ohne Ende absolviert. Aber da viele Skipper aufgegeben hätten, weil die Kosten steigen und die Erträge sinken, und die anderen inzwischen ihre Crews das Geflecht selber flicken lassen oder mit verschlissenen Netzen ausfahren, sei das Gewerbe zusammengebrochen.
«Vor ein paar Jahren zählte die Netzindustrie noch 125 Beschäftigte, heute sind es vielleicht noch 40», sagt O'Boyle, der sich jetzt als selbständiger Zimmermann durchschlägt. Aber vor ein paar Jahren hätten auch noch alle in Killybegs an eine Zukunft geglaubt: «Der Hafen hat für Beschäftigung gesorgt, etwa 7000 Leute konnten davon leben, von Glencolumbkille im Westen bis aus Donegal Town im Osten kamen sie hierher», erinnert er sich. Aber heute? «Heute findest du keinen Jugendlichen mehr, der sich für Fische interessiert.» Wie früher. «Die Jungen hauen alle ab», sagt O'Boyle, der in seiner Freizeit vier Fussballteams betreut: «Sie wandern lieber aus.» Wie früher.
Geht also alles bachab? Sean O'Donoghue ist nicht so pessimistisch. Der KFO-Manager setzt auf Marketingstrategien: «Wir müssen Nischen finden, auf Qualität setzen und endlich ein Label entwickeln, das dem Konsumenten signalisiert: Hier gibt es guten, frischen irischen Fisch.» Kevin McCorry schlägt eine andere Strategie vor, auch wenn er nicht so recht an eine Reformierbarkeit der EU glauben mag: mehr Druck von unten. Er und seine MitstreiterInnen an der irischen Südostküste – dort geht es den Fischern noch schlechter als denen in Killybegs – haben vor ein paar Jahren eine Initiative gestartet. Der Reclaim Our Seas Alliance (Rosa) gehören mittlerweile viele Kleinfischer aus Frankreich, Schottland, Belgien und Irland an. Sie ruft immer wieder zu Demonstrationen in Brüssel auf und findet dort allmählich Gehör. Rosa-Mitglied Thomas Pringle setzt ebenfalls auf Bündnisse: «Auch die kleinen EU-Staaten können eine Lobby bilden, wenn sie sich zusammenschliessen.»
Für verschuldete Skipper wie Denis Carbery kommen solche Langfristprojekte wahrscheinlich zu spät. Und möglicherweise auch für den sozialen Zusammenhalt. «Seit ich denken kann, hatten wir immer ausländische Crews in Killybegs: französische, spanische, holländische, selbst russische und afrikanische», sagt O'Boyle, «und es gab nie Konflikte. Killybegs war immer ein bisschen kosmopolitisch. Aber das kann sich schnell ändern.» (pw)