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Irland: Die neue Regierung steht
Die Chance der irischen Linken
10. März 2011 | Noch nie wurde eine westeuropäische Regierungspartei so abgestraft, und noch nie hatte die irische Linke bei Wahlen einen solchen Erfolg. Aber was kommt jetzt?
Nun steht sie also, die neue irische Regierung. Am vergangenen Wochenende einigten sich Fine Gael (FG) und die Labour-Partei – zwei der WahlsiegerInnen vom 25. Februar – auf eine Koalition; am Mittwoch wählte das Parlament den FG-Vorsitzenden Enda Kenny zum Taoiseach, zum Regierungschef. Neu ist das Bündnis des rechtskonservativen «Stamms der Gälen» mit der eher zur Mitte hin orientierten Gewerkschaftspartei nicht: Beide hatten sich in den letzten Jahrzehnten immer dann zusammengetan, wenn – was selten der Fall war – die konservativ-katholische Partei Fianna Fáil («Soldaten des Schicksals») keine Mehrheit erzielen konnte. Doch jetzt, da die von den WählerInnen wegen ihrer korrupten Verstrickung mit Bankern und Immobilienhaien, ihrer Inkompetenz und ihrer devoten Hinnahme des Rettungspakets von Internationalem Währungsfonds (IWF) und EU in Höhe von 85 Milliarden Euro dezimierte Partei weg ist, fragen sich viele: Und was nun?
Fianna Fáil hatte massgeblich zur grössten Staatsverschuldung in der irischen Geschichte beigetragen: Auf rund 110 Milliarden Euro beziffern ExpertInnen die bisherigen Kosten des Bankencrashs für die Bevölkerung, das sind umgerechnet rund 32 000 Franken pro EinwohnerIn, Säuglinge und RentnerInnen inklusive. Und ihre Schätzung ist noch konservativ. Wie diese Schuld abgetragen werden soll, ist selbst bürgerlichen ÖkonomInnen ein Rätsel – Generationen werden dafür zahlen müssen.
Verantwortlich dafür ist auch die neue Koalition, die am Krisenbewältigungskurs der alten Regierung festhält. Sie will zwar mit IWF und EU neue Kreditbedingungen und Zahlungsziele aushandeln, den Zinssatz von derzeit 5,8 Prozent reduzieren und die Neuverschuldung erst 2015 (und nicht schon 2014) auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts drücken. Ansonsten aber folgt die neue Regierung der alten Marschrichtung: Innerhalb der nächsten vier Jahre sollen im öffentlichen Dienst 25 000 Stellen abgebaut werden, jeder siebte Arbeitsplatz im Service public steht damit auf der Kippe. Fine Gael und Labour werden auch, so sieht es ihre Koalitionsvereinbarung vor, an den bisherigen Lohnkürzungen (bis zu zwanzig Prozent im öffentlichen Dienst), am Sozialabbau (jugendliche Arbeitslose bekommen bis zu fünfzig Prozent weniger), an den Steuererhöhungen für Geringverdienende ebenso wenig ändern wie am ungeheuer niedrigen Unternehmenssteuersatz von 12,5 Prozent.
Aber geht ihre Rechnung auf? Übersteht die Koalition mit ihren Plänen – weitere Privatisierungen, weiterer Sozialabbau – die Legislaturperiode? Das hängt weniger vom IWF und der EU ab, deren EmissärInnen seit Dezember die Einhaltung des irischen Sparprogramms überwachen – auch sie wissen, dass Irland die Schuldenlast nicht stemmen kann. Sondern von der linken Opposition, die im Dáil Éireann, dem irischen Parlament, so gut vertreten ist wie nie zuvor. Und von den Gewerkschaften.
«Das Beste für Irland wäre eine Fine-Gael-Labour-Koalition.» Mit diesem Satz hatte Jack O'Connor noch im Wahlkampf die Haltung der irischen Gewerkschaften auf den Punkt gebracht. O'Connor, Vorsitzender der mit 200 000 Mitgliedern grössten Gewerkschaft Siptu, ist wie die meisten irischen Gewerkschaftschefs ein Mann des Ausgleichs – freundlich formuliert. KritikerInnen an der Basis hingegen geben ihm eine Mitschuld an der Krise und am schlechten Ruf, den die Beschäftigtenorganisationen mittlerweile haben. Nicht ganz zu Unrecht. Über viele Jahre hinweg haben die Gewerkschaften mit ihrer Politik der Sozialpartnerschaft die korrupten Herrschaftsstrukturen hingenommen und sich darin eingerichtet: ein Verwaltungsratsposten hier, ein lukratives Nebenamt da.
«Unsere Führer haben immer geglaubt, dass in den Korridoren der Macht auch ein paar Brosamen für uns Mitglieder abfallen», sagt beispielsweise das aktive Siptu-Mitglied Des Derwin. Mit ein Grund für die korporatistische Politik der Gewerkschaftsspitzen ist freilich auch das aggressive Vorgehen der Unternehmen. Vor allem in der von ausländischen Konzernen dominierten Hightechindustrie haben die Trade Unions einen schweren Stand, der Chiphersteller Intel etwa erlaubt keine Gewerkschaften in seinen Fabriken. Auf zwanzig Prozent schätzt Derwin den Organisationsgrad in der Privatindustrie; im öffentlichen Dienst hingegen sind fast alle organisiert. Doch auch dort scheuen die Gewerkschaftsvorstände Auseinandersetzungen und setzen lieber auf sozialpartnerschaftliche Verhandlungsmechanismen. Dabei können sie durchaus mobilisieren, wenn sie wollen: Im Februar 2009 und im November 2010 demonstrierten jeweils über 100 000 Menschen gegen die Kürzungspolitik der Regierung und das IWF-EU-Rettungspaket. Auf diese Massenmanifestationen folgte jedoch nie ein nächster Schritt.
Aber vielleicht ändert sich das ja mit dem Wahlerfolg jener linken KandidatInnen, die als Unabhängige angetreten waren. Bisher hatten sich die Organisationen links der Labour-Partei kaum mit den Gewerkschaften beschäftigt und waren heillos zerstritten. Jetzt aber raufen sie sich zur United Left Alliance zusammen. Für das Dutzend linker Abgeordneter ist die Zeit der theoretischen Sandkastenspiele vorbei, nun müssen sie konkrete Antworten finden. Möglicherweise löst sich im Konflikt mit der neuen Regierung die Schockstarre, die bisher das öffentliche Leben Irlands prägte. (pw)