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Nordirland: Unterhauswahl als Randereignis

Die Schicksalswahl des David Trimble

7. Juni 2001 | In der britischen Provinz Nordirland findet an diesem Donnerstag nicht eine, es finden zwei Wahlen statt: eine katholisch-nationalistische und eine protestantisch-unionistische. Und das, was die die beiden Gemeinschaften bewegt, hat wenig mit dem Unterhaus zu tun.

Arg viel hat sich für Geraldine Taylor in den letzten zwanzig Jahren nicht verändert. «Wir leben hier unter einer Besatzungsmacht», sagt sie im neuen Büro von Republican Sinn Féin (RSF) an der Belfaster Falls Road. «Und wir werden weiterkämpfen, bis ganz Irland endlich befreit ist.» Die sechzig Jahre alte Frau mit den vielen Falten im Gesicht trug wahrscheinlich noch nie eine Waffe mit sich herum, aber sie hat viel gelitten in ihrem Leben, hat Kinder in grosser Armut aufgezogen und war in dem langen Krieg gegen «die Briten» häufig Opfer allerlei Schikanen gewesen.

Das hat sie hart gemacht, und entsprechend erbarmungslos ist ihre Analyse der Situation. «So lange haben wir gekämpft, um die Briten loszuwerden», sagt sie, «und jetzt arbeiten Leute, die sich irische Republikaner nennen, mit denen auch noch zusammen.» Damit meint sie die IRA-nahe Partei Sinn Féin (SF), die seit Ende 1999 mit den beiden probritischen unionistischen Parteien Ulster Unionist Party (UUP) und Democratic Unionist Party (DUP) sowie der gemässigten irisch-nationalistischen Social Democratic and Labour Party (SDLP) die nordirische Regionalregierung bildet. Diese Regierung war im Gefolge des Karfreitagsabkommen von 1998 entstanden, das eine Grundlage für dauerhaften Frieden in der Krisenregion bieten soll – allerdings unter der Massgabe, dass Nordirland auf absehbare Zeit Teil des Vereinigten Königreichs bleibt.

Wie damals Bobby Sands?

«Haben wir für dieses Ergebnis gekämpft? Sind dafür unsere Söhne gestorben?» Nichts, sagt Geraldine Taylor, rein gar nichts sei erreicht worden. Also müsse die weiterhin diskriminierte irisch-katholische Bevölkerung für ihre Befreiung kämpfen. Auch militärisch? «Auch militärisch», sagt sie, «die Briten verstehen keine andere Sprache.»

In den letzten Wochen aber war Taylor vor allem in einer politischen Angelegenheit unterwegs. Ihre Partei hatte den Häftling Tommy Crossan zum Kandidaten für die Unterhauswahl nominiert. Crossan, er wurde 1999 wegen Waffenbesitz zu zehn Jahren Haft verurteilt, gehört zu den rund drei Dutzend irisch-republikanischen Gefangenen in irischen und nordirischen Haftanstalten, die das Karfreitagsabkommen nicht akzeptieren und daher auch nicht in den Genuss der Amnestieregelung dieses Abkommens kamen. Die IRA-Häftlinge sind freigelassen worden; Crossan jedoch gehört mutmasslich der Continuity IRA (CIRA) an, die als bewaffneter Flügel von RSF gilt und wie diese das Karfreitagsabkommen als «Verrat» an republikanischen Grundsätzen ablehnt.

Da die wenigen CIRA-Insassen jetzt einem ähnlichen Druck ausgesetzt sind wie früher die IRA-Häftlinge (sie sind nicht als politische Gefangene anerkannt und in den gleichen Flügeln der Haftanstalt Maghaberry untergebracht wie ihre schärfsten Gegner von den protestantisch-loyalistischen Kommandos), kamen Taylor und ihre MitstreiterInnen vor zwei Monaten auf die Idee, Geschichte zu wiederholen. Vor fast genau zwanzig Jahren nämlich hatten RepublikanerInnen den hungerstreikenden Bobby Sands in einer Unterhauswahl nominiert. Sands gewann die Wahl, und im Handumdrehen war der Kampf um den politischen Status für die republikanischen Häftlinge weltweit in allen Schlagzeilen. «Auch heute noch werden sie geschlagen und drangsaliert», sagt Geraldine Taylor.

Taylors Rückgriff auf eine einst erfolgreiche Taktik endete diesmal allerdings im Fiasko. Mitte Mai lehnte das britische Nordirlandministerium Crossans Nominierung ab. Die von der Labour-Partei eingesetzten Beamten bezogen sich dabei auf eine unter Margaret Thatcher verabschiedete Lex Sands: Nach Sands' Wahlsieg hatte das konservativ dominierte Unterhaus in aller Eile verurteilten Gefangenen das passive Wahlrecht entzogen. Schlimmer noch für die RSF-Mitglieder aber war, dass niemand gegen diese Entscheidung protestierte.

Nichts hätte deutlicher zeigen können, wie gering die Unterstützung für die Politik der alten RepublikanerInnen derzeit ist. Trotzdem bleibt Geraldine Taylor optimistisch. «Wir erfahren immer mehr Zuspruch», sagt sie. Ein Blick in das Belfaster RSF-Büro und auf die Veranstaltungen dieser kleinsten aller republikanischen Gruppierungen lässt ihre Hoffnung begreifen – die Hardliner finden bei jungen Leuten offenbar Anklang.

Buhlen um die Mittelschicht

Die grosse Wende von IRA und Sinn Féin hat die republikanische Opposition gegen das Karfreitagsabkommen politisch marginalisiert. Wer will schon – abgesehen von der kleinen Minderheit in RSF/CIRA und den Mitgliedern der «Real IRA» – eine Rückkehr in den Krieg? Und doch musste sich SF-Präsident Gerry Adams während einer Radiodebatte letzte Woche harsche Kritik gefallen lassen. Seine Partei habe alle linken Ziele aufgegeben und buhle nur um die Stimmen wohlbetuchter irischer NationalistInnen, klagte ein Anrufer. Adams wies den Vorwurf zurück – und bestätigte ihn doch einen Halbsatz später: Natürlich sei seine Partei «für jede Stimme dankbar». Und die sucht SF vor allem in mittelständischen Bezirken.

Keine andere Partei betreibe mit so gut gekleideten und so höflichen HelferInnen den Wahlkampf, beschrieb Anfang dieser Woche der sozialdemokratische Kommentator Brian Feeney den Auftritt von Sinn Féin. Die Partei tut alles, um ihrer Konkurrentin SDLP den Rang abzulaufen. Bei der letzten Unterhauswahl hatte SF 16 Prozent aller Stimmen und zwei der insgesamt achtzehn nordirischen Unterhaussitze errungen; die SDLP kam auf 24 Prozent und drei Mandate. Mit etwas Glück – so hofft die IRA-nahe Partei – könnte SF diesmal drei, vielleicht sogar vier Sitze erobern und mit der SDLP gleichziehen, diese sogar überflügeln. Da an diesem Donnerstag auch die Kommunalparlamente neu besetzt werden, waren die smarten SF-AktivistInnen in den vergangenen Wochen erstmals überall in Nordirland unterwegs, also auch in jenen mittelständischen Bezirken, die bisher als Hochburgen der Gegenseite galten. Und warum auch nicht? Die politischen Ziele der beiden Parteien unterscheiden sich nur minimal.

Sinn Féin geht es nicht so sehr um das Ergebnis dieser Wahl (die sie im innernationalistischen Wettbewerb mit der SDLP kaum gewinnen wird), sondern um eine gute Positionierung für künftige Wahlkämpfe. Nach SF-Berechnungen, die allerdings sehr umstritten sind, werden in ein, zwei Jahrzehnten die irischen KatholikInnen eine Mehrheit der nordirischen Bevölkerung bilden. Und dann will SF den Regionalpremier stellen. Völlig abwegig sind solche Planspielereien nicht: Seit dem Waffenstillstand der IRA im Jahre 1994 hat SF bei allen Wahlen zugelegt; vor allem bei jungen KatholikInnen gilt sie als die dynamischere Partei. Ihr Aufstieg ähnelt in mancherlei Hinsicht dem der deutschen Grünen; auch ihren weitgehend inhaltsleeren Wahlkampf haben sie denen (und Tony Blair) abgeguckt.

20.000 Stimmen entscheiden alles

Während die katholischen Parteien längerfristig planen, geht es im zweiten Wahlkampf – dem um die unionistisch-protestantischen Stimmen – um eher kurzfristige Fragen wie die nach der Zukunft der Allparteienregierung unter Vorsitz des Ersten Ministers David Trimble (UUP). Schon beim Referendum über das Karfreitagsabkommen von 1998 hatte nur eine knappe Mehrheit von 55 Prozent aller ProtestantInnen für dieses Modell einer Machtteilung gestimmt. Seither ist die Stimmung gekippt. Die meisten protestantischen UnionistInnen glauben mittlerweile, dass die Freilassung von «IRA-Terroristen», der geplante Umbau ihrer protestantischen Polizei, die vereinbarte Kooperation mit der Regierung in Dublin und die zwei SF-MinisterInnen in der neuen Regierung ihre Sicherheit gefährden. Dass die IRA längst den militärischen Kampf aufgegeben hat, spielt in der Wahrnehmung der meisten ProtestantInnen keine grosse Rolle; sie wittern überall Verrat.

Darin hat sie nicht nur Kirchengründer und DUP-Chef Ian Paisley bestärkt, der immer noch umherzieht und den Teufel an die Wand malt. Wie widrig das Klima inzwischen geworden ist, merkte in den letzten Tagen auch der UUP-Abgeordnete des Wahlkreises Upper Bann. Vor wenigen Jahren noch wurde David Trimble in seinem Bezirk angehimmelt, hatte er damals doch dem protestantischen Oranier-Orden von Portadown zu einem triumphalen Marsch durch die katholische Garvaghy Road verholfen. Als Chef einer Regionalregierung, in der auch «IRA-Leute sitzen», wurde Trimble in den letzten Wochen jedoch arg angefeindet. All seine Wahlplakate in Portadown wurden binnen Stunden abgerissen. Sein Trick mit der hinterlegten Kündigung (vgl. den Randspaltentext) dürfte ihn jedoch retten.

Bis dahin hatte die Vorstellung einer Niederlage des Regionalpremiers im eigenen Wahlkreis für viele schlaflose Nächte gesorgt. In London und Dublin, in den Hauptquartieren von SF und SDLP, in der britischen Armeezentrale von Lisburn und vielleicht sogar in Washington – überall ging die Angst um: Wenn Trimble scheitert, scheitert auch das Friedensabkommen. Das Problem besteht nicht nur in einem möglichen Zugewinn für Paisleys DUP, die bisher drei Sitze hält und dank der allgemeinen Unzufriedenheit der ProtestantInnen mehr erhoffen kann.

Problematisch sind vielmehr jene UUP-KandidatInnen, die gegen den Willen der UUP-Zentrale von der Basis nominiert wurden, weil sie dem Karfreitagsabkommen ablehnend gegenüberstehen. Schon bisher genoss Trimble wenig Unterstützung in den eigenen Reihen. Wenn nun auch noch in entscheidenden unionistischen Wahlkreisen jeweils ein paar Tausend Abstimmende mehr den Nein-KandidatInnen ihr Votum geben, könnte Trimble plötzlich allein dastehen. Von GegnerInnen in der eigenen Partei umzingelt, dürfte er sich kaum halten können. Dann wäre, so die allgemeine Lesart, das Karfreitagsabkommen tot.

Vielleicht aber auch nicht. Letzte Woche umriss Peter Robinson, Paisleys Vize an der DUP-Spitze, die künftige Politik seiner Partei: Man werde im Falle eines Wahlsiegs sicherlich neue Bedingungen stellen sagte Robinson, dessen Frau ebenfalls gute Aussichten auf einen Unterhaussitz hat , aber das Abkommen nicht unbedingt in Frage stellen. Offensichtlich hat auch die DUP Spass am Regieren gefunden. (pw)