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Britannien: Globale Solidarität mit Liverpool
Ein Jahr einig gegen Tagelohn
4. Oktober 1996 | Letztes Wochenende feierten die Liverpooler Docker den 1. Jahrestag ihres Kampfes – mit Stil und ganz so, wie sich das gehört.
So viel Polizei habe er sein ganzes Leben lang noch nicht gesehen, sagt Bobby Morton. Am Montag hätten sich 1500 Uniformierte vor der Einfahrt zum Liverpooler Containerhafen aufgebaut, auch berittene Polizisten und Hundeführer seien dabeigewesen, und doch konnten sie nicht die Besetzung von drei Containerkränen und des Dachs der Firmenzentrale verhindern. Die Polizei nahm über drei Dutzend DemonstrantInnen fest – dennoch war im Hafen ein Normalbetrieb nicht möglich: Noch bevor die Docker auf die Kräne kletterten, hatten die Schlepperbesatzungen einen 24-stündigen Solidaritätsstreik begonnen. Kein Schiff gelangte in den Hafen, keines lief aus.
So also (und mit einer Demonstration, an der 15.000 LiverpoolerInnen teilnahmen) begeht man den ersten Jahrestag eines Kampfes, der noch lange dauern könnte. Am 29. September 1995 hatte die vor fünf Jahren privatwirtschaftlich organisierte Liverpooler Hafenverwaltung ihre gesamte Belegschaft gefeuert, weil diese die Wiedereinführung des Tagelohns nicht akzeptieren wollte. Was Tagelohn bedeutet, können die Alten noch erzählen: Ist ein Schiff da, gibt es Arbeit, ist keines da, haben die Docker Pech gehabt.
Zuvor hatten die 500 Liverpooler Docker einen langen Streik gegen die Deregulierung der britischen Häfen überstanden und ihre Rechte verteidigen können – allerdings als einzige. Überall sonst wurden die Gewerkschaften vertrieben, die Arbeitsbedingungen verschlechtert, die Löhne erheblich gesenkt – nur in Liverpool nicht. Mit der fristlosen Kündigung standen die Docker plötzlich auf der Strasse, ohne Lohn, ohne Abfindung, aber nicht bereit, diese Frechheit hinzunehmen.
Per Internet und E-Mail informierten sie über ihren Kampf um Wiedereinstellung. Hafenarbeiter in Australien erfuhren davon, dann reagierten die Docker an der US-amerikanischen Ost- und Westküste, schliesslich die Schauerleute in den europäischen Häfen. Egal ob in Bilbao, Los Angeles, Le Havre, Sydney, Stockholm oder Montreal – wo immer Ladungen gelöscht werden sollen, die in Liverpool von Streikbrechern verstaut wurden, bekommen die Reeder Schwierigkeiten. Denn überall stehen die Hafenarbeiter vor dem gleichen Problem – den Tagelohn wollen alle einführen, nicht nur die Mersey Docks and Harbour Company.
Dann liegen die Schiffe still, so wie allwöchentlich in Göteborg. Dort streiken seit drei Monaten jeweils montags die Hafenarbeiter – jeden Montag trifft dort ein Schiff der Atlantic Container Line (ACL) ein, und jeden Montag legen die Göteborger Docker für zwölf Stunden die Arbeit nieder. Im Anschluss daran verweigern sie Überstunden. So stellen die schwedischen Schauerleute sicher, dass die ACL-Frachter nicht im vor- gegebenen Zeitraum abgefertigt werden können. Das ist teuer.
ACL ist die grösste Reederei, die noch die Liverpooler Docks anlaufen lässt. Zwei Reedereien, die Liverpool regelmässig nutzten, wechselten zu anderen Häfen; eine dritte hat den Boykott australischer Docker nicht über- standen. Im Sommer hatte das ACL-Management aufgrund der Aktionen von US-amerikanischen und schwedischen Dockern kurzfristig den Liverpooler Hafen verlassen, war dann aber wieder zurückgekehrt. Seit Ende letzter Woche verdichten sich jedoch Gerüchte, dass die Firma ab 1. Januar Liverpool aus ihrer Routenplanung nehmen und dafür Felixstowe an der englischen Ostküste anlaufen will. An der Börse wurden entsprechende Hinweise bereits notiert – am Freitag und Montag gab die Hafenaktie um acht Prozent nach; sie hat damit seit Beginn der Auseinandersetzung ein Fünftel ihres Werts verloren.
Es gibt sie also noch, die internationale Solidarität. Ohne diese Unterstützung und die Spenden, sagt Bobby Morton, wäre ihr Kampf schon lange vorbei. So aber wollen sie noch lange ausharren und weiterhin ihre fliegenden Streikposten ins Flugzeug setzen. Mittlerweile haben Docker aus acht Ländern ein internationales Koordinationskomitee gebildet, das die Aktionen wie Boykotts oder Bummelstreiks auf die Häfen im östlichen Mittelmeer ausweiten will. Eine immer wichtigere Rolle spielen die selbständig agierenden Frauen, die sich zu den Women of the Waterfront (WoW) zusammengeschlossen haben. Diese Woche haben sie sich nach Blackpool aufgemacht, um am Rande der Jahreshauptversammlung der Labour-Partei für ihre Sache zu werben. Nur am Rande natürlich. Denn auf dem Parteitag selber darf vom Kampf der Liverpooler nicht die Rede sein, dafür hat die Labour-Führung unter Tony Blair gesorgt. (pw)