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Britannien: Spitzel und Agents Provocateurs
Der Staat in deinem Bett
12. Februar 2014 | Seit Jahrzehnten unterwandern verdeckte ErmittlerInnen in Britannien politische Initiativen, soziale Bewegungen und Ökogruppen – mit einigem Erfolg.
Allzu lange wird es den Polizeidirektionen von England und Wales wohl nicht mehr gelingen, eine öffentliche Untersuchung zu verhindern. Denn in den letzten Wochen sind drei ihrer -Operationen erneut ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. So hob am 21. Januar ein Londoner Appellationsgericht die Verurteilung von 29 UmweltaktivistInnen auf, die 2008 einen Güterzug gekapert hatten, der Kohle zur Drax Power Station, dem grössten britischen Kraftwerk, transportieren wollte. Der Anstoss zur Wiederaufnahme des Verfahrens kam vom Chef der Generalstaatsanwaltschaft: Er hatte den Verurteilten geraten, Widerspruch einzulegen.
Eine Woche später verhandelte der High Court von Southwark in einer ähnlichen Sache: Der in einem früheren Prozess verurteilte Kunstlehrer John Jordan und drei Medienorgane wollten wissen, warum die Anklagebehörden ihre früheren Vorwürfe stillschweigend hatten fallen lassen. Und Anfang Februar kam heraus, dass der Carnival against Capitalism 1999 – er hatte friedlich begonnen, artete aber bald in Strassenschlachten mit vielen Verletzten aus – nicht von selbst aus dem Ruder gelaufen war.
In all diesen Fällen spielten verdeckte Ermittler eine Hauptrolle. An der Zugaktion war massgeblich der Polizeibeamte Mark Kennedy beteiligt, der unter dem Namen Mark Stone sieben Jahre lang die Climate-Camp-Initiative unterwandert hatte, die vor allem gegen fossile Kraftwerke protestierte. Zu Jordans Verurteilung hatte eine Besetzung und eine Velodemonstration der Gruppe Reclaim the Streets 1997 geführt, an der auch der Polizeispitzel Jim Boyling teilnahm, Deckname Jim Sutton. Und dieser Boyling war es auch, der 1999 als Agent Provocateur dafür sorgte, dass der Karneval gegen den Kapitalismus entgleiste.
Richtige Namen von toten Kindern
All das ist inzwischen aktenkundig. Bekannt ist auch, dass die englische Polizei seit 1968 rund 150 Undercover-Cops einsetzte. Dank der hartnäckigen Recherche von zwei «Guardian»-Journalisten weiss man zudem, wie die verdeckten ErmittlerInnen vorgingen: Sie nahmen neue Identitäten an (zumeist die Namen und Geburtsdaten verstorbener Kinder), legten sich ein etwas verlottertes Aussehen zu, gebärdeten sich als besonders eifrige Verfechter der Sache, liessen sich auch verhaften und vor Gericht stellen, wo sie unter Eid ihre falsche Identität angaben; sie hörten an, was die Mitbeschuldigten mit ihren AnwältInnen besprachen – und gingen enge Beziehungen ein, vor allem zu Aktivistinnen. Mitunter verschwanden sie auch, oft für kurze Zeit, manchmal für immer.
Mark Kennedy war der erste, der 2010 enttarnt wurde; eine der Gruppen, die er ausspionierte, hatte Verdacht geschöpft. Dann folgten weitere. Mittlerweile haben elf PolizeiagentInnen (darunter eine Frau) ihre Spitzeltätigkeit zugegeben – teilweise freiwillig. Peter Francis zum Beispiel war von der Londoner Polizei auf die Familie von Stephen Lawrence angesetzt worden, den 1993 Rassisten erstochen hatten. Weil sich die Familie über die miserablen Ermittlungen einer «institutionell rassistischen» Polizei (so der Befund einer späteren Untersuchungskommission) beschwerte, sollte er in deren Umfeld «Dreck» aufwühlen, wie Francis heute sagt. Überhaupt liessen die Polizeiverantwortlichen niemanden aussen vor. Die frühere Kampagne gegen die südafrikanische Apartheid gehörte ebenso zum Ziel ihrer AgentInnen wie die Friedensbewegung, die Proteste gegen den Klimawandel, antikapitalistische Gruppierungen und engagierte GewerkschafterInnen, deren Namen auf einer Schwarzen Liste zu Händen der Unternehmerverbände auftauchten.
Aber war deren Vorgehen – das mittlerweile zum Freispruch in 56 Fällen führte – jeweils abgestimmt? Hatten die Vorgesetzten ihren Spionen empfohlen, auch sexuell die Nähe zu bespitzelten Aktivistinnen zu suchen? Dazu gibt es von den Polizeichefs widersprüchliche Aussagen. Sicher ist, dass aus mehreren Beziehungen Kinder hervorgingen (von denen sich die Väter bald verabschiedeten) und dass sich inzwischen acht Frauen anwaltschaftlich vertreten lassen, weil sie sich vom Staat betrogen fühlen. Sicher ist auch, dass viele im Staat nicht mehr jene verteidigungswerte Instanz sehen, für deren Erhalt – etwa in seiner sozialen Form – sie einst kämpften. Der Staat hat eben auch eine andere Seite: Er ist nicht zuletzt eine Gewalt ausübende Formation der besitzenden Klasse.
Das Vertrauen ist weg
Als sicher gelten kann zudem, dass die Bespitzelei durch Agents Provocateurs Protestbewegungen den Schnauf nahm. Viele radikale Initiativen wie Climate Camp, Reclaim the Streets oder Plane Stupid gegen den zunehmenden Flugverkehr haben in den letzten Jahren aufgegeben. Wer von unten her die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern will, darf sich nicht an jeden Buchstaben der Gesetze halten, muss aber gewaltfrei bleiben. Darin waren sich die meisten einig. Und: Wer rechtliche Grenzen überschreitet, muss zusammen halten können. Dieses Vertrauen ist jetzt weg.
Es kommt erst wieder, wenn die staatlichen Übergriffe offenliegen. Dagegen wehren sich die Polizeibehörden, die zwar selber siebzehn Ermittlungsverfahren eingeleitet haben – allerdings nur intern, damit sie nicht preisgeben müssen, wer da sonst noch wen ausforscht. Doch allmählich wächst der öffentliche Druck. (pw)