home
zur Übersicht ↑ Britannien

Britannien: Schlechte Antwort auf gute Erfahrungen

Wieder staatliche Bahnen, aber keine britischen

29. Oktober 2013 | Das britische Parlament diskutiert über ein prestigeträchtiges Schnellbahnprojekt. Dabei gibt es anderswo viel grössere Probleme.

An diesem Donnerstag, dem 31. Oktober, fällt im Londoner Unterhaus möglicherweise eine Vorentscheidung mit weitreichenden Folgen. Genehmigt das Parlament die Kosten für weitere Untersuchungen, könnte die seit langem debattierte und umstrittene Westküsten-Schnellzugstrecke London-Birmingham- Manchester-Glasgow «High Speed 2» (HS2) vielleicht in zwanzig Jahren zur Hälfte fertig sein.

Doch sicher ist die Zustimmung nicht. Konservative Abgeordnete fürchten, dass ihre ländlichen Wahlkreise nordwestlich der Hauptstadtzerschnitten werden, Labour-ParlamentarierInnen monieren die hohen Kosten von rund 42 Milliarden Pfund (Tendenz: steigend), und Umweltorganisationen halten andere Fragen für weitaus wichtiger als den Bau einer Prestigestrecke. Die schwindelerrengenden Ticketpreise zum Beispiel, oder die Zukunft der Ostküstenlinie zwischen London und Edinburgh.

Doch da sind die Würfel fast schon gefallen. Wie alle britischen Bahnstrecken war auch die East Coast Mail Line über Jahre hinweg von privaten, profitorientierten Gesellschaften betrieben worden. 2006 jedoch verlor die Betreibergesellschaft GNER ihre Lizenz, weil die Muttergesellschaft mit Sitz auf den Bermudas bankrott gegangen war. Drei Jahre später musste die Busgesellschaft National Express die Betriebsgenehmigung zurückgeben, weil sie vertraglich vereinbarte Lizenzgebühren nicht entrichtete.

Daraufhin gründete 2008 die damalige Labour-Regierung das öffentlich-rechtliche Nonprofit-Unternehmen Directly Operated Railways (DOR). Und siehe da: Plötzlich klappte es. DOR zahlte in den vergangenen vier Jahren 602 Millionen Pfund an den Staat (deutlich mehr als alle anderen Bahngesellschaften), beanspruchte nur ein Siebtel der sonst üblichen Subventionen, erreichte eine bis dahin kaum möglich geglaubte Pünktlichkeit und schaffte es, die Zahl der Unfälle um achtzig Prozent zu senken.

Das durfte natürlich nicht sein. Und so beschloss die konservativ-liberale Regierung vor kurzem eine erneute Privatisierung des Ostküstenbahnbetriebs. Unter den BewerberInnen ist ein Konsortium, das der französischen Staatsbahn SNCF gehört, und Arriva, eine britische Tochter der staatseigenen Deutschen Bahn AG. Überhaupt kontrollieren ausländische Staatsunternehmen mittlerweile einen grossen Teil der britischen Infrastruktur: Kraftwerke, Häfen, Airports, Busunternehmen, die Wasserversorgung. Staatsfirmen sind schon okay, sagen sich offenbar die britischen Marktradikalen – so lange es keine britischen sind.

Für den Fall, dass HS2 – bezahlt von den britischen SteuerzahlerInnen – gebaut wird, stehen bereits ausländische Staatskonzerne parat: Für sie ist der von London subventionierte Bahnbetrieb rentabel und weitgehend risikolos. Und deshalb haben auch zwei von der chinesischen Regierung kontrollierte Unternehmen bereits ein grosses Interesse bekundet. (pw)