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Britannien: Das konservativ-liberale Sparprogramm
Es geht nicht ums Geld, es geht um den Staat
12. Oktober 2010 | Am Mittwoch hat die britische Regierung die Details ihres Sparprogramms bekannt gegeben. Die tiefen Einschnitte zeugen von wenig Sachverstand und viel Ideologie.
Einmal ganz vorne mit dabei sein, einmal so richtig radikal werden. Das mögen sich die Mitglieder des vornehmlich konservativen Grafschaftsrats von Suffolk in Ostengland gedacht haben, als sie Mitte September einen weitreichenden Beschluss trafen: die Privatisierung aller öffentlichen Dienstleistungen. In einem ersten Schritt hat der County Council 65 KindergärtnerInnen entlassen, in den nächsten Wochen steht der Verkauf von sechzehn Pflegeheimen an. Ab April 2011 sollen private Firmen und Sozialeinrichtungen Bibliotheken, Jugendclubs, Beratungszentren, Kindergärten, Parkverwaltungen sowie Standes- und Handelsregisterämter übernehmen. In einer späteren Phase werden sie auch für Kinderschutz, Sozialarbeit, Kranken- und Jugendpflege zuständig sein. 12 000 Beschäftigte leisten derzeit die Arbeit, mit der der Grafschaftsrat künftig nichts mehr zu tun haben will. Von ihnen sollen nur ein paar Hundert übrig bleiben – um die Verträge mit Privatanbietern auszuhandeln.
Der County Council werde künftig dreissig Prozent weniger zahlen müssen, argumentieren die Tories von Suffolk - eine Milchmädchenrechnung, wie man von anderen Privatisierungen weiss. Denn die Privatfirmen bezahlen ihren Lohnabhängigen zwar noch weniger Geld als die öffentliche Hand, aber irgendwo muss ja ihr Profit herkommen. Und dann sind da auch noch die horrenden (Anwalts-)Kosten, die komplexe Outsourcingverträge in der Regel verursachen. In Downing Street 10, dem Amtssitz des britischen Premiers, war den Suffolk-Konservativen der Beifall jedoch gewiss. Denn das, was die im Kleinen tun, verordnet die konservativ-liberale Regierung dem ganzen Land. Das Vereinte Königreich «stehe am Rande des Bankrotts», begründete Schatzkanzler George Osborne am Wochenende in einem Interview das radikale Sparprogramm, mit dem die staatlichen Ausgaben bis 2015 um 128 Milliarden Franken gekürzt werden sollen. Und wie jeder Privathaushalt, der zu viel Geld ausgibt, müsse nun halt auch der Staat drastische Massnahmen ergreifen.
Das ist gleich doppelt gelogen: Erstens ist Britannien nicht mit Griechenland zu vergleichen; das Haushaltsdefizit hat mit zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zwar ein Spitzenniveau erreicht, die britische Gesamtverschuldung (knapp siebzig Prozent des BIP) liegt jedoch weit unter der von Italien, Frankreich oder Deutschland. Und zweitens funktionieren, wie jeder Volkswirtschaftsstudent im ersten Semester erfährt, Staaten – die Steuern erheben und die Einnahmen durch Konjunkturprogramme langfristig wieder steigern können – anders als Privathaushalte.
Dazu kommt, dass für die Verdoppelung der britischen Staatsschuld seit 2007 nicht etwa «zu hohe Sozialausgaben für verwöhnte Anspruchsberechtigte» verantwortlich sind, denen die Zuschüsse nun gekappt werden. Sondern die von den britischen Regierungen seit Jahrzehnten verhätschelten Finanzmärkte, insbesondere die Banken, die ungeschoren davonkommen. All diese Einwände liess die Regierung – wie das neue Sparprogramm zeigt – jedoch genauso wenig gelten wie die vielen Warnungen vor einem Absturz in die nächste Rezession. Wen die Kürzungen in welchem Umfang treffen, war vor Redaktionsschluss dieses Artikels nicht offiziell; die Grundzüge sind aber seit langem bekannt: Die Mehrwertsteuer wird um 2,5 Punkte auf 20 Prozent erhöht, die Ministerien müssen ihre Budgets im Schnitt um ein Viertel reduzieren, rund eine Million Arbeitsplätze (die in der Privatwirtschaft dazugerechnet) werden vernichtet, die Rechtshilfe für Arme wird ebenso eingedampft wie das Wohngeld und die Heizkostenzuschüsse in harten Wintern. Weniger Kindergeld; eine Verdreifachung der Studiengebühren auf durchschnittlich 9000 Pfund im Jahr (für Elite-Unis gibt es keine Obergrenze); Stornierung von Ökoprojekten wie das geplante Gezeitenkraftwerk an der Mündung des Severn, dafür Staatsgelder für acht neue AKWs – all das steht auf der Liste.
Gleichzeitig will die Regierung im Falle des von ihr vorangetriebenen Verkaufs der Post (erhoffter Erlös: 1,2 Milliarden Euro) die Verbindlichkeiten des Royal-Mail-Pensionsfonds übernehmen (derzeitiges Defizit: 10 Milliarden). Ihr geht es also nicht ums Geld, sondern ums Prinzip. Der Staat gehört weg. Der KonsumentInnenschutz, die für die Kontrolle der privaten Sicherheitsindustrie zuständige Kommission, der Film Council, die Naturschutzkomitees, die Gleichstellungseinrichtungen, die Planungsgremien – alles überflüssig.
Die frühere Premierministerin Margaret Thatcher hätte, wenn sie es noch mitkriegen würde, ihre helle Freude daran. Nur mit dem um acht Prozent gekürzten Militäretat wäre sie wohl nicht einverstanden. Die Regierung verschiebt die geplante Modernisierung der mit Atomraketen bestückten U-Boot-Flotte (geschätzte Gesamtkosten: bis zu 120 Milliarden Euro) zwar um fünf Jahre; an dem über sieben Milliarden Euro teuren Bau von zwei Flugzeugträgern hält sie aber fest. Dabei gibt es nicht mal Flugzeuge, die auf diesen Dingern starten oder landen könnten. (pw)