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Britannien: Nachruf auf Jack Jones (1913–2009)
Working Class Hero
30. April 2009 | Kaum ein Gewerkschafter in der britischen Geschichte hatte so viel Einfluss wie er, und keiner blieb sich selbst so treu.
Mit seinen Nachfolgern war er nicht immer einverstanden, schon gar nicht mit Bill Morris. «Eine Schande ist das», sagte Jack Jones, als er auf dem Weg zu seinem Büro immer wieder Türen aufschliessen musste. «Wir sperren die Mitglieder regelrecht aus, dabei finanzieren sie das Gebäude. Es ist ihr Gewerkschaftshaus, und sie haben kaum mehr Zutritt» (der Wortlaut des Interviews steht hier).
Zu seiner Zeit als Generalsekretär der Transport and General Workers' Union (TGWU) wäre das nicht passiert. Aber damals war die Gewerkschaftszentrale auch nicht im Londoner Stadtteil Holborn gewesen, sondern dort, wo die Einflussreichen sitzen: in unmittelbarer Nähe zum Unterhaus und den Regierungsgebäuden und direkt gegenüber dem Hauptquartier der Konservativen Partei. Denen da oben auf Augenhöhe zu begegnen, das konnte Jack Jones – weil er nie werden wollte wie sie.
Auf der schwarzen Liste
Jack Jones war 1913 in Garston, im Süden von Liverpool, zur Welt gekommen. Sein Vater, ein Hafenarbeiter, taufte ihn auf den Namen des grossen irischen Sozialisten und Liverpooler Streikführers James Larkin, doch bald kannten ihn alle nur als Jack – im kleinen Betrieb, wo er eine Lehre begann, und in den Docks, wo er bald arbeitete. Geprägt vom Generalstreik 1926, bei dem der dreizehnjährige Jack als Kurier von Streikposten zu Streikposten gesaust war, trat er – kaum hatte er die Schule verlassen – mit vierzehn Jahren der TGWU bei. Er wurde zum Shop Steward (eine Art gewerkschaftlicher Vertrauensmann) gewählt und sass bereits im Alter von siebzehn Jahren im Shop Stewards Committee, der Belegschaftsvertretung in den Liverpooler Docks.
1934 organisierte Jones einen Arbeitslosenmarsch nach London, 1936 wurde er in den Liverpooler Gemeinderat gewählt, 1937 ging er als Freiwilliger nach Spanien und kämpfte dort in den internationalen Brigaden. Bei der Ebro-Schlacht, die im Juni 1938 begann, starben viele seiner Freunde; er selbst wurde schwer verwundet und kehrte nach Liverpool zurück. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs bewarb er sich um den Posten eines TGWU-Hauptamtlichen und wurde in der Industriestadt Coventry eingesetzt.
Dort entwickelte Jones die Politik der «shop floor power»: Die Gewerkschaft ist nur so stark wie ihre Basisorganisationen, sagte er noch Jahrzehnte später in einem WOZ-Interview 2002. «Wir streikten oft auch ohne Zustimmung der Gewerkschaftsspitze und setzten gute Verträge durch». Die Vierzig-Stunden-Woche, bezahlte Ferien, Kündigungsschutz, Mindestlohn in der Metallindustrie: All das hatten er und die Shop Stewards in den Midlands erreicht – sehr zum Missvergnügen der damals autokratischen TGWU-Führung um Arthur Deakin, die das Labour-Party-Mitglied Jones als vermeintlichen Kommunisten auf die schwarze Liste setzte. Erst als die Rechten in der Gewerkschaft an Einfluss verloren, wurde der landesweit bekannte Aktivist in den nationalen Vorstand (1963) und schliesslich zum Vorsitzenden (1969) gewählt. Unter ihm wurde die TGWU zur grössten Gewerkschaft Britanniens – sie zählte damals zwei Millionen Mitglieder, mehr als jede andere ArbeiterInnenorganisation in Westeuropa – und zu einer der demokratischsten im Land.
Neun Jahre lang (bis 1978) war er an der Spitze, und auch als Generalsekretär blieb er dem Basisgedanken treu: Die Shop Stewards sind wichtiger als der Apparat. In den siebziger Jahren galt er laut Meinungsumfragen als der «mächtigste Mann Britanniens» – eine Einschätzung, der er stets widersprach. Und doch spielte er immer eine wichtige Rolle. 1976 zum Beispiel, als die Labourregierung von Premierminister James Callaghan den Gang zum Internationalen Währungsfonds antreten musste, weil die Wirtschaft kurz vor dem Kollaps stand, setzte er gegen den Willen der Facharbeitergewerkschaften eine Politik der moderaten Lohnerhöhungen durch (Anhebung der Löhne nur in den unteren Lohngruppen). Jack Jones wollte damals verhindern, dass die konservative Oppositionsführerin an die Macht kommt, denn er kannte Margaret Thatcher.
Bei seinem vielleicht wichtigsten Projekt erlitt er jedoch eine Niederlage. Als Vorsitzender einer Regierungskommission hatte der vehemente Befürworter von Arbeiterkontrolle dem Labour-Kabinett ein Mitbestimmungsmodell vorgeschlagen, das weit über das deutsche Betriebsverfassungsgesetz hinausging. Die Regierung war nicht abgeneigt, doch es gab Opposition – von der Kapitalseite, vor allem aber von den kommunistisch geführten Gewerkschaften und einem Teil seiner eigenen Basis. Die wollte lieber weiterhin die Bosse bekämpfen, als Delegierte in die Direktorien der Grossunternehmen zu wählen. Wäre Jones' Vorschlag damals durchgekommen, hätte Thatcher die Gewerkschaften nicht so leicht schwächen können.
Adelstitel? Nein danke!
Auch nach seiner Pensionierung setzte sich Jack Jones, der Thatcher hasste und Tony Blair verachtete, für die Belange der Arbeiterklasse ein. Er behielt ein Büro in der TGWU-Zentrale, arbeitete dort für die Interessen der pensionierten Mitglieder, gründete später den Nationalen Rentnerkongress und brachte 2001 dem damaligen Premier Blair die erste grosse Niederlage bei, als die PensionärInnen eine Rentenerhöhung durchsetzten. Bei all dem blieb er bescheiden: Auch als TGWU-Chef bezog er ein kleines Gehalt und lebte mit seiner Frau und den beiden Söhnen in einer kleinen Dreizimmerwohnung. Anders als die meisten britischen Gewerkschaftsführer lehnte er Orden, Adelstitel und einen Sitz im Oberhaus ab. Jack Jones starb am 21. April; seine Gewerkschaft hat mittlerweile die meisten seiner Grundsätze vergessen. (pw)