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Britannien: Atempause für Gordon Brown

Talfahrt mit dem Prinz der Finsternis

9. Oktober 2008 | Der Finanzcrash rettet den angeschlagenen Premierminister – vorerst zumindest.

Die Bankvorstände waren vorbereitet, der Aktienmarkt hatte schon reagiert – aber dann wurde doch nichts aus der erwarteten Teilprivatisierung der britischen Banken: Der britische Schatzkanzler Alistair Darling krebste zurück und verkündete nur ein paar Allgemeinheiten. Das war am Montag dieser Woche. Am Dienstag rutschten die Bankenkurse weiter in die Tiefe. Die HBOS, die eigentlich von der Konkurrentin Lloyds TSB hätte übernommen werden sollen, verlor über 41 Prozent ihres Buchwerts, die Royal Bank of Scotland – Hauptfinancier der internationalen Schifffahrt - büsste nach dem Sturz am Montag (minus 20 Prozent) nochmals 39 Prozent ein. Erst nach einem weiteren Krisentreffen mit den Chefs der Londoner City lenkte Premier Gordon Brown am Mittwochmorgen ein und versprach in allerletzter Minute ein Rettungspaket, das auf eine De-facto-Nationalisierung des Bankensystems hinausläuft.

Brown war schon immer vorsichtig gewesen. Schon letzten Herbst, als die ins Immobiliengeschäft verstrickte Northern Rock auf Grund lief, hatte er lange gezögert, bis er die Notbremse zog und die Bank verstaatlichte. Der Markt werde es schon regeln, war er überzeugt – und ist es im Prinzip immer noch – trotz des dramatischen Verfalls der britischen Grundstücks- und Gebäudepreise, trotz der Notverstaatlichung der Bank Bradford and Bingley, trotz des Runs der SparerInnen auf die verstaatlichte Northern Rock, die öffentliche Sparkasse National Savings and Investments, die britische Postbank (die der durch eine Generalgarantie Irlands geschützten Bank of Ireland gehört) und trotz der Schlangen vor den Juweliergeschäften, in denen selbst weniger Betuchte ihr Papiergeld gegen Schmuck, Gold und Münzen eintauschen.

Browns Zögern hat nicht nur mit seiner Nähe zum Neoliberalismus zu tun, sondern auch mit der Geschichte des Finanzplatzes Britannien. Seit rund einem Jahrhundert ist die britische Ökonomie vom Gegensatz zwischen Finanz- und Industriekapital geprägt, der nach dem Zweiten Weltkrieg schärfer wurde. Das in den Finanzhäusern der Londoner City (und damit im ehemaligen Kolonialreich) angelegte Geld erzielte weitaus höhere Renditen als das in der Industrie investierte Kapital: Die Ausbeutung der Dritten Welt war von jeher lukrativer als der Maschinenbau. Die Manufaktur blutete aus, die Industriebetriebe verschwanden. Verstärkt wurde diese Entwicklung noch von Margaret Thatcher, die an ihrem ersten Arbeitstag in Downing Street 10 im Mai 1979 die staatliche Kontrolle des Kapitalverkehrs aufhob, später den Geldhandel völlig liberalisierte und Staatsfirmen an der Börse verhökern liess.

Dieses Erbe macht den Konservativen nun schwer zu schaffen. Ausgerechnet Thatcher, von vielen Tories wie eine Heilige verehrt, verdarb dem hoffnungsfrohen Oppositionsführer David Cameron die grosse Party, die am konservativen Parteitag vergangene Woche hätte steigen sollen. Da lagen die Konservativen in den Meinungsumfragen noch zwanzig Prozentpunkte vor der angeschlagenen Labourpartei. In seiner mit Spannung erwarteten Grundsatzrede sprach Cameron jedoch von allem Möglichen – nur den Crash erwähnte er nicht. Was hätte er auch sagen sollen? Und so schmolz sein Vorsprung auf rund die Hälfte.

In einem Krieg hat die Opposition nun mal die Arschkarte. Das war im Zweiten Weltkrieg so und bei Thatchers Falklandkrieg 1982 nicht anders. Wer nicht mitmacht, ist draussen. Deshalb stimmt Cameron nun fast allem zu, was Brown vorschlägt - auch wenn er vor drei Tagen noch ganz anderer Meinung war. Dass die Regierung die Finanzkrise als Ausnahmezustand begreift, gab der Premierminister Ende letzter Woche zu erkennen, als er ein regelmässig tagendes Sonderkabinett bildete: eine Massnahme, die bisher nur in Kriegszeiten ergriffen wurde. Und indem er Peter Mandelson als neuen Business Minister in seinen Bunker holte.

Mandelson ist wohl die schillerndste Figur, die New Labour hervorgebracht hat. Er war einer der Hauptarchitekten des Rechtsschwenks der alten Gewerkschaftspartei gewesen, verhalf als Kampagnenverantwortlicher der Partei 1997 zum Wahlsieg, amtierte zweimal als Minister in Tony Blairs Kabinett, wurde beide Male wegen Skandalen geschasst und bekam wegen seiner Intrigen und Manipulationen den Beinamen «Prinz der Finsternis» verpasst. Bis Ende letzter Woche war er in der EU-Kommission für die Liberalisierung des Handels zuständig; in diesen wohl wichtigsten EU-Job hatte ihn Blair gehievt.

Noch rätseln viele, warum Brown diesen Erz-Blairisten und ehemaligen Intimfeind in seine Regierung holte. Wegen dessen Verbandelung mit der Finanzwelt? Oder weil er sich so den Rücken freihält in einer Partei, deren an Blair orientierter Flügel seit langem die Messer gegen ihn wetzt? Eine Verschnaufpause hat sich der Premier auf jeden Fall verschafft. Durch die Einbindung von Mandelson kann Brown noch ein Jahr durchhalten. Die Lohnabhängigen, die im Zuge des Crashs ihre Jobs und ihre Wohnung verlieren, können das nicht. (pw)