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Britannien: Der Dauerdemonstrant
Sechs Jahre am Megafon
31. Mai 2007 | Seit dem 2. Juni 2001 steht Brian Haw vor dem Unterhaus und protestiert gegen die britische Irakpolitik – ein Rekord.
Tony Blair wird vieles vermissen, wenn er in drei Wochen sein Amt aufgibt – aber nicht den Mann, dessen Gegenwart der scheidende Premierminister seit sechs Jahren ertragen muss. Denn auch als einfacher Abgeordneter kommt Blair nicht ins Parlament, ohne Brian Haw zu sehen und vor allem zu hören. Der wird nämlich über den 23. Juni hinaus vor dem Londoner Unterhaus sitzen, «Verurteilt die Kriegsverbrecher! Verurteilt Tony Blair!» ins Megafon rufen und den Abzug der britischen Truppen aus dem Irak verlangen.
Am Freitag dieser Woche wird es genau sechs Jahre her sein, dass der 58-jährige Familienvater mit den vielen Antikriegsbuttons auf dem Stahlhelm seinen Protest auf dem Parliament Square begann. Damals demonstrierte er noch allein gegen die Sanktionen, die die USA und Britannien über die irakische Bevölkerung verhängt hatten. Mit Kriegsbeginn 2003 wurden er und sein Camp aber bald zu einem Symbol der britischen Antikriegsbewegung und im ganzen Land bekannt. Als der Fernsehsender Channel 4 kürzlich die ZuschauerInnen darüber abstimmen liess, welche politische Person sie 2006 am meisten inspiriert habe, votierten 54 Prozent für Haw (und nur 8 Prozent für Blair respektive 6 für den konservativen Oppositionsführer David Cameron).
«So viele Menschen und vor allem so viele unschuldige Kinder sind in den letzten Jahren von Blair und Bush getötet worden», hatte mir Haw vor Jahren gesagt, und da das Morden weitergehe, sei er immer noch da: «Wir alle tragen eine Verantwortung für eine Politik, die Hunderttausende das Leben gekostet hat und immer noch kostet.» Sein Beitrag sei bescheiden. Er wolle nur irgendwann vor seine sieben Kinder treten und sagen können: Ich habs zu verhindern versucht.
Ein bescheidener Beitrag? Seit 2191 Tagen trotzt der bekennende Christ rund um die Uhr Wind und Wetter – brütende Hitze im Sommer, klamme Kälte im Winter und Dauerregen zwischendurch. Er erfährt viel Zuspruch (jeden Tag kommen SympathisantInnen, die mit ihm demonstrieren), aber auch viel Ablehnung. 2003 wurde ihm bei Prügeleien gleich zweimal die Nase eingeschlagen: einmal von einem Mitarbeiter der US-Botschaft in London, das andere Mal von britischen Soldaten und einem Israeli. Am meisten zu schaffen machte ihm aber der britische Staat.
So hat die für den Parliament Square zuständige Stadtverwaltung von Westminster City gleich zu Beginn zwei Verfahren gegen ihn angestrengt: Seine Präsenz auf dem Gehsteig gegenüber dem Unterhaus verstosse gegen die Strassenverkehrsordnung, seine Plakate mit Fotos verhungernder und verstümmelter irakischer Kinder seien «unerlaubte Werbung». Ein High Court verwarf die Anschuldigungen: Haw nehme nur sein Recht auf Meinungsäusserung wahr. Und doch kam immer wieder die Polizei, um ihn festzunehmen oder seine Transparente abzureissen.
Der grösste Angriff aber ging von der Regierung aus. 2005 erweiterte sie das neue «Gesetz gegen das organisierte Verbrechen» (Socpa) um einen Paragrafen, der sich direkt gegen Haw richtete: Es hebt das Demonstrationsrecht vor dem Parlament auf, Proteste in einer Entfernung von bis zu einem Kilometer sind nur unter Auflagen erlaubt. Haw widersetzte sich diesem Passus – und bekam Recht. Für ihn gelte der Socpa-Paragraf nicht, urteilte ein High-Court-Richter, da er seinen Protest vor Inkrafttreten des Gesetzes begonnen habe. Im Mai 2006 obsiegte jedoch das Innenministerium. Das Gesetz könne auch rückwirkend angewandt werden, verkündete ein Appellationsgericht. Daraufhin beschlagnahmte die Polizei in einer Nachtaktion Haws mittlerweile sechzig Meter breite Plakatwand, erlaubte ihm aber (viele PolizistInnen sympathisieren mit ihm) eine Fortsetzung des Protests. Im Januar 2007 verurteilt ein weiteres Gericht die Polizeiaktion jedoch als rechtswidrig – und so steht Brian Haw immer noch da.
Inzwischen ist Haws Protest auch in der Kulturwelt angekommen. Seit Januar zeigt die Tate Gallery eine Installation von Mark Wallinger, der in der Tate Britain – also noch innerhalb des Bannkreises – viele von Haws konfiszierten Postern, Fotos und Friedensfahnen aufgestellt hat. Anfang Mai wurde diese Installation für den Turner Prize nominiert. Wallinger gilt als Favorit für diesen wichtigsten britischen Preis für moderne Kunst. (pw)
PS: Mark Wallinger hat im Dezember 2007 den Turner-Preis für sein Werk «State Britain» mit Haws Plakaten gewonnen.