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Britannien: Der aufgeheizte Immobilienmarkt

Das Heim, die Burg

12. April 2007 | Immer mehr junge BritInnen kaufen in halb Europa Liegenschaften, weil sie die Preise zu Hause nicht mehr zahlen können.

Für eine kurze Zeit hielten Hunderttausende von WohnungsbesitzerInnen den Atem an. Würde der britische Immobilienmarkt einen ähnlichen Einbruch erleben wie der US-amerikanische? Könnte nun das wahr werden, was ÖkonomInnen seit langem befürchten: ein Kollaps der massiv überteuerten Haus- und Wohnungspreise? Müssten Zigtausende, mit einem Schlag völlig überschuldet, das lieb gewordene Heim den Banken und Bausparkassen überlassen? Ende der achtziger Jahre war das schon einmal passiert, und manche, die damals aus ihrem Reihenhaus flogen, zahlen heute noch ihre Schulden ab.

Mittlerweile haben die meisten ExpertInnen Entwarnung signalisiert. Eine Preiskorrektur werde zwar kommen, sagen sie, aber noch nicht jetzt. Und doch ist die Situation angespannt, denn die sozial zerklüftete britische Gesellschaft spaltet sich auch auf dem Immobiliensektor immer mehr in eine besser gestellte, haus- oder wohnungsbesitzende Schicht – und in Habenichtse, die nicht einmal die unterste Sprosse der sozialen Leiter erreichen können.

Einer der wenigen, die die Aufregung der letzten Wochen gelassen beobachten konnten, ist Mehmet Berker. Der 61-Jährige war vor dreissig Jahren aus der Türkei eingewandert und hatte sich vor rund zwanzig Jahren eine Wohnung gekauft. 40.000 Pfund zahlte er damals für die drei Zimmer; heute ist die Wohnung etwa 330.000 Pfund wert – und das in Kilburn, einem eher durchschnittlichen Londoner Quartier, in dem viele irische ImmigrantInnen leben. «Mir kann ein Preiseinbruch wenig anhaben», sagt Berker, «selbst eine Wertminderung von zwanzig oder dreissig Prozent würde mir beim Verkauf immer noch mehr bringen, als wenn ich das Geld anderswo angelegt hätte.» Aber der Architekt geht mit seiner Hypothek auch anders um als die meisten BritInnen: Er hat sie im Unterschied zum Grossteil der 8,2 Millionen KreditnehmerInnen nur in Notfällen erneut beliehen und mittlerweile fast getilgt.

Konsum auf Pump

Die anderen aber stehen dick in der Kreide. Sie vertrauen darauf, dass der Boom der Immobilienpreise weiter anhält. Und der kann sich sehen lassen. Seit den siebziger Jahren steigen in Britannien die Wohnungspreise fast ununterbrochen. Am Anfang waren es um die dreissig Prozent im Jahr, dann ebbte die Inflation auf dem Wohnungsmarkt ab auf durchschnittlich sieben Prozent (sie lag damit aber immer noch deutlich über den Lohnsteigerungen), zuletzt zog sie wieder merklich an. Im vergangenen Jahr kletterten die Marktpreise für Immobilien um durchschnittlich elf Prozent. In Londons Nobelvierteln wie Kensington und Chelsea – dort lassen sich auch dank der britischen Steuergesetze immer mehr ausländische MillionärInnen nieder – wuchs der Marktwert der Liegenschaften im Jahre 2006 sogar um 31 Prozent.

Diese scheinbar unaufhörliche Wertvermehrung (in manchen Londoner Vororten waren Immobilien im März 2007 bereits um drei Prozent teurer als noch im Februar) hat viele HausbesitzerInnen dazu verleitet, ihre Hypothek zu erhöhen, um – wie es ein Banker formulierte – «Konsumgewohnheiten zu finanzieren». Und das ist überall so, auch auf dem Land. Gale Robinson zum Beispiel, eine Angestellte, und ihr Mann hatten sich in einem Dorf nahe Wigan (bei Manchester) lange um das Haus bemüht, in dem sie wohnen. Als sie es endlich dank eines Bankkredits kaufen konnten, «waren die Sorgen weg, wir hatten wieder Geld. Denn der Wert steigt ja.» Seither kauft sich Robinson alle zwei Jahre ein neues Auto.

Vor allem dieser auf Pump finanzierte Konsumboom hat das britische Bruttoinlandsprodukt in den letzten Jahren wachsen lassen (Zunahme 2006: 2,6 Prozent). Ein Einbruch bei den Immobilienpreisen würde daher weit mehr auslösen als nur den privaten Bankrott von Robinson und Co. Keine europäische Volkswirtschaft weist derzeit ein so hohes Leistungsbilanzdefizit aus wie die britische; das verarbeitende Gewerbe spielt im Land der industriellen Revolution fast keine Rolle mehr; Dienstleistungen werden nur gekauft, wenn Geld dafür da ist; und wenn das fehlt, schrumpft auch dieser Sektor – Finanzplatz London hin oder her.

Günstige Insellage

Aus diesem Grunde haben alle, von der Regierung bis hin zu den FinanzjournalistInnen der grossen Medien, die Unterschiede zwischen dem US-amerikanischen und dem britischen Immobilienmarkt hervorgehoben. Gewiss: Auch im Vereinten Königreich hätten Banken und Bausparkassen Erstkäufer­Innen mit Billigangeboten gelockt, auf die Überprüfung ihrer Kreditwürdigkeit verzichtet und «Subprime»-Verträge abgeschlossen. Aber im Unterschied zu den USA sei der Leitzins hier nicht innerhalb dreier Jahre von rund 1 auf 5,25 Prozent gestiegen, und ausserdem verfüge der Inselstaat schlichtweg nicht über genug Land, um den wachsenden Bedarf nach Wohnraum zu befriedigen. Schon von daher – und dieses Argument überzeugt – sei mit einer drastischen Wertminderung nicht zu rechnen. Eine Kommission kam 2004 zu dem Schluss, dass jährlich 70.000 Wohneinheiten mehr gebaut werden müssten als die von der Regierung geplanten 50.000, wenn man auf Preissteigerungen wie in Kontinentaleuropa (durchschnittlich plus 1,1 Prozent) kommen wolle. Doch das ist schon aufgrund der geografischen Gegebenheiten kaum möglich.

Also dreht sich das Karussell weiter – mit bizarr anmutenden Folgen. Auf der einen Seite suchen die Armen immer verzweifelter nach billigem Wohnraum (der soziale Wohnungsbau wurde seit Margaret Thatchers Zeiten praktisch eingestellt). Auf der anderen wenden sich BerufseinsteigerInnen, junge Familien und Menschen, die an ihre Karriere glauben, zunehmend an international agierende ImmobilienmaklerInnen. Wenn sie sich in Britannien kein Eigenheim leisten können, warum dann nicht in «Übersee» – und darauf hoffen, dass die Wohnung dort ebenso schnell an Wert gewinnt?

Und so kaufen immer mehr junge BritInnen Häuser in Kanada, Rumänien oder Bulgarien (in Frankreich und entlang der spanischen Küste haben bereits die Älteren die Preise in die Höhe getrieben). «My home is my castle», mein Heim ist meine Burg, egal, wo diese steht.

Manche kaufen auch in der Türkei. Dort könnten sie in einigen Jahren vielleicht sogar Mehmet Berker treffen, der irgendwann in Rente gehen, seine Wohnung in Kilburn verkaufen und sich in seinem Heimatland niederlassen wird. Weil er aus dem Markt aussteigen kann, ist er einer der wenigen, die vom Preisboom profitieren – von den Banken natürlich abgesehen. (pw)