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Britannien: Widerspruch von unten
Eine Lektion für New Labour
6. September 2001 | Neues Personal, neue Politik: Die britischen Gewerkschaften widersetzen sich erstmals der Politik von Tony Blair.
Es war eine feine, aber etwas traurige Gesellschaft, die sich vor ein paar Tagen im Dockers Club von Liverpool versammelt hatte: Man feierte Eddie Roberts, der lange Zeit Vorsitzender der Liverpooler TransportarbeiterInnen gewesen war, dann aber degradiert wurde und nun vorzeitig seinen Abschied nahm.
Ihm zu Ehren kamen an diesem Abend viele altgediente GewerkschafterInnen zusammen – ehemalige Bergarbeiter zum Beispiel, die während ihres grossen Streiks gegen die Privatisierung der Zechen (1984-85) von den meisten Gewerkschaften im Stich gelassen worden waren, aber bei der hiesigen Ortsgruppe der Transportarbeitergewerkschaft TGWU viel Unterstützung erfahren hatten. Oder die Liverpooler Docker, die sich zweieinhalb Jahre lang (1995-98) der Einführung des Taglohns im Hafen widersetzten, die Auseinandersetzung aber verloren, weil die nationale TGWU-Führung von ihrem Kampf nichts wissen wollte.
Auch die TGWU-Sekretäre, die aus Irland angereist waren, waren von Niederlagen gezeichnet – besiegt nicht von GegnerInnen im Unternehmerlager, sondern gescheitert an ihrer eigenen Organisation, die sie wegen ihrer Konfliktbereitschaft abgemahnt, suspendiert oder gar entlassen hat. Wie Eddie Roberts, den TGWU-Chef Bill Morris absetzte, weil er Arbeitslose organisierte, Beschäftigte in prekären Verhältnissen rekrutierte, die lokale Labour-Linke förderte, auch wilde Streiks unterstützte und – als Sprecher des TGWU-Bezirks Liverpool – beharrlich auf eine engagiertere Interessenvertretung der Lohnabhängigen drängte.
Einfach strafversetzt
Das kam beim TGWU-Vorstand schlecht an. Der hatte sich nämlich spätestens mit der Wahl von Bill Morris – dem ersten schwarzen Gewerkschafter an der Spitze einer britischen Trade Union – ideologisch auf die Seite der zunehmend unternehmerfreundlich agierenden Labour-Partei geschlagen. Leute wie Roberts störten da nur. Ein paar haltlose Verdächtigungen, etliche geschickt platzierte Falschmeldungen, ein regelwidriges Anhörungsverfahren – und schon war der aufsässige Chef der grössten Liverpooler Gewerkschaft in die Provinz versetzt.
Während Organisationen wie die TGWU weiter Selbstverstümmelung betreiben, um Tony Blairs Sponsoren und die Medien nicht zu verärgern, bahnt sich in den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes ein Generationen- und Politikwechsel an. Wie weit der Wandel geht, wird die Jahreshauptversammlung des Dachverbandes TUC zeigen, die am kommenden Montag beginnt. Schon vor Wochen hatte TUC-Generalsekretär John Monks, gewiss kein Radikaler, die Labour-Regierung vor heftigen Auseinandersetzungen gewarnt: Das Treffen könnte zur «politischsten Konferenz seit Jahren» werden. In der Tat haben sich letzte Woche neunzehn Gewerkschaften unter Federführung des Verbands der Feuerwehrleute auf einen Resolutionsentwurf geeinigt, der Blair Massendemonstrationen und Streiks in Aussicht stellt, sollte die Regierung an der geplanten Privatisierung des Gesundheits- und Bildungswesens festhalten.
Weiter Geld von den Trade Unions?
Das Blatt wendet sich. Vor kurzem noch distanzierte sich Blair mit grossem Getöse von den Gewerkschaften, die die Labour-Partei vor über hundert Jahren überhaupt erst gegründet und stets finanziert hatte. Nun setzen sich die Trade Unions von New Labour ab. Die Gewerkschaft GMB beschloss erst vor wenigen Wochen, ihre jährlichen Zuschüsse an die Partei in Höhe von 1,7 Millionen Euro um ein Viertel zu kürzen. Und der Vorstand von Unison – sie ist mit 1,3 Millionen Mitgliedern derzeit die grösste britische Gewerkschaft – konnte nur mit Mühe einen Beschluss zur Streichung aller Zahlungen an Labour verhindern.
Demnächst soll aber erneut darüber beraten werden. (Und die eher Labour-freundliche Unison-Führung kam nicht umhin, gleichzeitig Streikpläne in allen Krankenhäusern abzusegnen, die derzeit teilprivatisiert werden.) Noch weitreichendere Folgen dürften die Personalentscheidungen der letzten Monate haben. So wählten beispielsweise die Mitglieder der Dienstleistungsgewerkschaft PCS (die unter anderem Regierungsbeamte organisiert) nicht den Wunschkandidaten der Gewerkschaftsrechten zum Generalsekretär, sondern einen Aktivisten, der energischen Widerstand gegen die Regierungspolitik versprach. Auch die Basis der Kommunikationsgewerkschaft CWU, die derzeit gegen die Privatisierung der Post kämpft, votierte für einen Kandidaten der Linken. Bei den Eisenbahnern dürfte Bob Crow in die Fussstapfen des gerade verstorbenen Jimmy Knapp treten. Crow ist wie der Vorsitzende der LebensmittelarbeiterInnen Joe Marino Mitglied der Socialist Labour Party (SLP) des Bergarbeiterchefs Arthur Scargill. Auch Mick Rix, der neue Generalsekretär der Lokführergewerkschaft ASLEF, gehörte vor kurzem noch der SLP an.
Unternehmensberater bei der TGWU
Von diesen Gewerkschaftern sind plötzlich ganz neue Töne zu hören. Sie fordern von der Labour-Regierung nicht nur einen Stopp der angekündigten Privatisierung von Schulen und Spitälern und der bereits beschlossenen Teilprivatisierung der Londoner U-Bahn, sondern auch die Wiederverstaatlichung der Eisenbahnen, eine Abschaffung des Gutscheinsystems für Asylsuchende und Widerstand gegen die US-Raketenpläne. Noch ist der TUC bemüht, eine grosse Konfrontation während der Konferenz zu vermeiden. Aber die wachsende Konfliktbereitschaft wird er kaum stoppen können.
Im Unterschied zu den anderen Gewerkschaften, die ihre Strategien überdenken, wird die einst mächtige TGWU die wachsende Frustration der Basis kaum auffangen können. Denn dazu müsste nicht nur der Vorsitzende, sondern der gesamte Vorstand ausgewechselt werden, in dem seit langem ein Unternehmensberater den Ton angibt, der Entlassungen für ein probates Mittel zur Modernisierung aller Organisationen hält. Während die anderen Gewerkschaften wieder Zulauf erfahren, sinkt die Zahl der TGWU-Mitglieder beständig. Eddie Roberts aber wird auch nach seiner Pensionierung weiter agieren. Schliesslich kämpfen die Liverpooler Docker seit Jahren gegen die Globalisierung der Hafenindustrie.
PS: Drei Jahre nach Erscheinen dieses Artikels wurde Eddie Roberts von der TGWU-Spitze rehabilitiert. (pw)