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Britannien: Labour in Brighton
Wen kümmert schon die nächste Generation?
28. September 2000 | Nicht nur die Konservativen sollen Steuern senken dürfen, sagt New Labour. Und macht schon wieder Fehler.
Am Montag dieser Woche bekam es die Regierung schriftlich. Die von ihr geplante Teilprivatisierung der Londoner U-Bahn sei teuer, unwirtschaftlich, riskant und gefährde die Sicherheit der Passagiere. Labours «öffentlich-private Partnerschaft», nach der Privatunternehmen einen Teil des U-Bahn-Netzes betreiben sollen, könne nur gutgeheissen werden, wenn den Firmen strikte Auflagen gemacht würden.
Doch das Gegenteil sei der Fall, heisst es in dem jetzt veröffentlichten Bericht einer unabhängigen Untersuchungskommission. Die Firmen dürften die ohnehin schon miserablen Standards der Londoner «Tube» sogar noch unterschreiten. Viel vernünftiger als eine Teilprivatisierung sei, die Mittel für die dringend benötigten Investitionen über Anleihen aufzutreiben und das U-Bahn-Netz in öffentlicher Hand zu belassen.
Der vernichtende Bericht hätte für die Labour-Spitze zu keinem dümmeren Zeitpunkt erscheinen können. Er bestätigte im Wesentlichen die Auffassungen des linken Londoner Bürgermeisters Ken Livingstone, der nicht zuletzt wegen seiner Kritik an Labours U-Bahn-Plänen gegen die Parteilinie rebelliert hatte und dafür ausgeschlossen wurde – und er wurde just zu Beginn des Labour-Parteitags publik, der am Montag im britischen Seebad Brighton begann. Der Kongress ist wichtig: Erstens dürfte er der letzte Parteitag vor der Unterhauswahl sein, die aller Wahrscheinlichkeit nach im nächsten Frühjahr stattfindet, und zweitens steckt die Regierungspartei (will man den DemoskopInnen glauben) zum ersten Mal seit ihrem Amtsantritt 1997 in einem Popularitätsloch. Eine ganz neue Erfahrung für den erfolgsgewohnten Premierminister Tony Blair.
Hohe Verbrauchssteuern
Der Missmut schwelt schon lange. Die Regierung, die viele für arrogant und kontrollbesessen halten, hatte sich ganz auf den prosperierenden Süden konzentriert und die früheren Labour-Hochburgen im Norden weitgehend vernachlässigt. Die Warteschlangen vor den Krankenhäusern sind nicht kürzer geworden, und die Armut hat eher noch zugenommen. Die Arbeitslosenzahlen sanken zwar, aber dafür zahlen all jene, die nun zwei oder gar drei Jobs erledigen müssen, da der Lohn einer Arbeitsstelle zum Leben nicht mehr reicht. Dass Britannien nach Irland die geringsten Unternehmens- und Einkommenssteuersätze in ganz Europa hat, nutzt der unteren Hälfte der Gesellschaft nicht viel – hier zahlt man vor allem Verbrauchssteuern, und die gehören längst zu den höchsten der Welt. Der Schatzkanzler dreht jährlich an der Steuerschraube – eine Schachtel Zigaretten kostet beispielsweise über acht Euro – und steigert so das Missverhältnis zwischen direkten und indirekten Steuern. Dieser Umstand erklärt auch, weshalb die vergleichsweise harmlosen Proteste gegen den Benzinpreis (an denen sich nur einige Spediteure und Bauern beteiligten) auf Sympathie stiessen.
Doch an der sozial ungerechten Steuerpolitik, das machten Schatzkanzler Gordon Brown und Premier Blair in ihren Parteitagsreden klar, werde sich nichts ändern. Die Konservativen dürften nicht das Monopol auf niedrige Steuern beanspruchen, sagte Brown in seiner umjubelten Ansprache, und kündigte weitere Steuerkürzungen an.
Die Regierung setzt also auf Kontinuität. Schon im Wahlkampf 1997 hatte «New Labour» versprochen, die von Margaret Thatcher initiierte Privatisierungspolitik weiterzutreiben und die direkten Steuern zu senken. Dabei hatte sich damals schon die Mehrheit der Bevölkerung für Steuererhöhungen ausgesprochen, sofern die zusätzlichen Gelder sozialen Einrichtungen, dem Bildungswesen und dem Gesundheitssystem zugute kommen. An dieser Haltung hat sich nichts geändert.
Pakt mit Murdoch
Dass Blair und Brown diese Stimmung nicht zu einer Kurskorrektur nutzen, liegt auch an dem Pakt, den sie mit Medienmagnaten wie Rupert Murdoch geschlossen haben, der unter anderem die auflagenstarken Boulevardblätter «Sun» und «News of the World» kontrolliert. Die Unterstützung der «Sun» hatte zum Wahlerfolg von «New Labour» beigetragen und der Premierminister dankte, indem er regelmässig Kolumnen für das Revolverblatt verfasste. Nun rächt sich die Abhängigkeit, in die sich Blair begeben hat. Will er die Unterstützung der vorwiegend konservativen Medien behalten, wird er seine Politik fortsetzen müssen.
Dagegen kommt offensichtlich auch die wachsende Opposition in den eigenen Reihen nicht an, die ein Ende der Privatisierungen, vernünftige Eisenbahnen und ein Stopp des Sozialabbaus fordert. Die Labour-Führung hat noch nicht einmal Konsequenzen aus ihrer Niederlage bei der Bürgermeisterwahl in London gezogen.
Nur in einem Punkt gaben Blair und Brown in Brighton nach: Um eine Revolte der Gewerkschaften und RentnerInnen abzuwenden, versprachen sie, die Renten leicht anzuheben. Seit diese nicht mehr an das Lohnniveau gekoppelt sind, hat sich in der älteren Bevölkerung eine Massenarmut breit gemacht. Mindestens vier Millionen Menschen müssen mit der Mindestrente von umgerechnet 850 Franken im Monat auskommen.
PFI for ever
Selbst wer noch eine Betriebsrente in gleicher Höhe bezieht, hat nicht genug zum Leben. Blair lehnte die vor allem von den Gewerkschaten vorgetragene Forderung nach einer Rückkehr zum alten System einer automatischen Anpassung der Altersbezüge an die Einkommensentwicklung kategorisch ab: Das würde kommende Generationen zu sehr belasten.
So ein Heuchler! In einem anderen Bereich wird nämlich genau dies getan. Die Tatsache, dass der britische Staatshaushalt Milliardenüberschüsse aufweist, hat auch mit Labours «Privater Finanzierungs-Initiative» (PFI) zu tun. Dieser Begriff umschreibt die mittlerweile gängige Praxis, öffentliche Investitionen von privater Hand tätigen zu lassen. Krankenhäuser, Schulen und selbst Strassen werden nicht mehr vom Staat, sondern von Privatunternehmen gebaut, die dafür jährlich eine Nutzungsgebühr kassieren. Der Vorteil: Die jeweilige Regierung spart die Anfangsinvestitionen und entlastet so den Haushalt. Der Nachteil: PFI kommt auf Dauer viel teurer, da auch künftige Generationen noch für den Profit der Unternehmen zahlen müssen. (pw)