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Interview mit dem Linken-Kandidaten Lars Hofmann

«Da war ein Aufruhr, viele heulten»

18. Februar 2025 | Schafft die Partei Die Linke wieder den Einzug in den Bundestag? So manches spricht dafür – beispielsweise die vielen Beitritte vor allem junger Bürger:innen. Einer, der selber noch nicht lange dabei ist, erklärt den Grund dafür.

Das Gespräch im Konstanzer seemoz-Büro geht deutlich länger als gedacht: Lars Hofmann, 35 Jahre, hat viel zu berichten. Wie er in Konstanz aufgewachsen ist, warum er so spät der Linken beitrat, weshalb ihm die Gewerkschaft wichtig ist. Und dann muss er ja auch noch fotografiert werden. Leider hat er diesmal nicht das T-Shirt an, das er bei der Podiumsdiskussion der Bundestagskandidat:innen Mitte Januar in Hegne trug, an der auch der AfD-Kandidat teilnahm: «Liberté, Egalité, FCK AfD».

 

Frage:Hat sich die Linke schon bei Friedrich Merz bedankt?

Lars Hofmann:Wir haben darüber schon gesprochen, dass wir aufgrund der Zusammenarbeit von Friedrich Merz mit der AfD viel Zulauf bekommen. Wir haben jetzt im linken Kreisverband jede Menge neue Leute. Das wäre vermutlich auch ohne Merz passiert, weil vor einer Bundestagswahl immer Menschen beitreten.

Aber nicht immer 11.000 innerhalb von zwei Wochen.

Die Linke hat in Baden-Württemberg 1600 neue Mitglieder gewonnen, da passiert also einiges. Dahinter steckt aber auch viel Social-Media-Arbeit, was gerade junge Leute anspricht – Heidi Reichinnek zum Beispiel engagiert sich da besonders.

Spielt der allgemeine Rechtsruck eine Rolle?

Auf jeden Fall. Der Rechtsruck, der durch die ganze Parteienlandschaft geht, bringt die Leute tatsächlich zur Linken, weil sie wahrscheinlich merken: Okay, egal wie es die Grünen oder die SPD verpacken – am Ende bleibt nur die Linke, die konsequent ihre Linie verfolgt.

Wenn man Olaf Scholz im Gespräch mit Merz sagen hört: Wir machen eigentlich das Gleiche, nur im rechtsstaatlichen Rahmen und konform mit der EU, dann ist das kein anderer Weg. Er sagt: Wir tun doch das, was ihr von uns fordert.

Und da ist die Empörung dann irgendwie kleiner oder gar nicht da. Das ist, was ich nicht verstehe.

Und das merken die Jungen? Du triffst ja vielleicht ab und zu welche beim Wahlkampf.

Teilweise. Klar, jeder Mensch hat da irgendwie eine andere Einstellung dazu. Wenn ich jetzt hier zum Beispiel auf eine Gegen-rechts-Demo gehe und dann, wie jetzt am Samstag, Andreas Jung mitläuft und eine SPD mitvertreten ist … Das Problem hatten wir letztes Jahr schon bei diesen großen Gegen-rechts-Demonstrationen, da war im Herbst zuvor Scholz auf dem Spiegel-Cover mit seinen konsequenten Abschiebereien gewesen, und das erste, was ich sah, war ein Meer aus Fahnen aus der SPD und Jusos. Da dachte ich mir: So, das ist schon ein bisschen heuchlerisch, was sucht ihr hier? 

Glaubst du, dass die Demos gegen rechts was bewirken?

Erst einmal muss man ja das Positive sehen. Wir Linke haben noch mal eine andere Einstellung gegen rechts als die anderen. Die sehen ja rechts als legitime Form der Politik, wobei ich natürlich rechts komplett ablehne – wobei, wir reden hier nicht von rechts, sondern von rechtsextrem. Gut ist: Die Leute gehen raus, sie gehen gegen die AfD auf die Straße. Und dann, wenn man dann tiefer reinschaut, kann man natürlich sagen: Okay, SPD, CDU, FDP sind in der Abschiebedebatte auch nicht unbedingt die Unschuldslämmer, auch wenn sie manches anders verpacken. Wobei FDP und CDU es nicht mal anders verpacken.

Kommen wir nochmal zu den Jungen und zu dir zurück. Du bist doch auch erst vor einem Jahr eingetreten. Warum? Was hat dich bewogen?

Ich war von Jugend auf links eingestellt, das liegt vermutlich an meiner Kindheit. Und dann bin ich jetzt auch nicht in einem Job, in dem ich Parteien wählen könnte, die mir absolut gar nichts bringen. Was sollte ich bei der FDP, bei der CDU oder was weiß ich?

Das gilt aber nicht für alle Einzelhandelsangestellten, oder?

Leider nein. Teilweise sind sogar unter ver.di-Mitgliedern und Streikenden AfD-Wähler. Bei den Bauernprotesten vor einem Jahr war es ganz schlimm.

Aber was hat dich in deiner Jugend dazu gebracht? Waren es die Eltern, war es etwas, das du auf der Straße erlebt hast?

Meine Eltern auf jeden Fall: Meine Mutter hat viele Freunde aus aller Welt, ist mit einer Familie aus Trinidad und Tobago wirklich richtig gut befreundet und wir hatten immer viele Menschen aus aller Herren Ländern bei uns zu Hause. In der Gebhardschule, die ich besucht habe, war meine Klasse bunt gemischt, da hattest du natürlich auch Freunde aus allen Ländern.

Und mit denen warst du unterwegs?

Nicht nur. Ich habe auch viel Zeit bei denen zu Hause verbracht, so wie man das halt so macht: Kommst du zu mir nach Hause oder gehen wir zu dir? Ich hatte auch Freunde in der Flüchtlingsunterkunft, die damals in der Gustav-Schwab-Straße war. Da habe ich gesehen, wie es ist, wenn man dort wohnt. Als ich Freunde besuchte, habe ich gesehen, wie in einem Raum fünf Geschwister auf einer Matratze schlafen mussten. Oder mitbekommen, dass Familien abgeschoben wurden. Am Vorabend waren wir noch beim Fußballtraining, und als ich am nächsten Tag zur Schule kam, war einer von den Jungs einfach abgeschoben.

So hautnah hast du das erlebt?

Ja. Du kamst morgens zur Schule, da war ein Aufruhr, viele heulten, und dann hörst du, dass der Staat bei Nacht und Nebel sechs Kinder in den Kosovo abgeschoben hatte. Die älteste Schwester war in der Abschlussklasse und stand kurz vor dem Schulabschluss. So Sachen prägen natürlich. Schon damals ist man auf diese Weise mit den Leuten umgesprungen, daran hat sich absolut nichts geändert, es ist noch schlimmer geworden. Deshalb habe ich mich auch immer vor die Leute gestellt, wenn es mal wieder hieß: Scheiß Ausländer oder so. Das konnte ich nicht ab. Es waren meine Freunde, und die habe ich verteidigt. Im Endeffekt hat mich das irgendwann zur Linken hingeschoben.

Es war also eine Kombination der Faktoren Zuwanderung, Menschenrechte, Lohnabhängigkeit?

Als Lohnabhängiger sieht man, welche Partei die Beschäftigten und deren Gewerkschaften unterstützt, Tarifverträge stärkt und überhaupt Arbeitsthemen anpackt. Das macht nur die Linke. Wer hat sich denn bei den letzten großen Streiks gezeigt? Von der Sozialdemokratie war niemand da. In Singen fand vor drei Wochen eine ver.di-Kundgebung zum Tarifvertrag des öffentlichen Diensts statt, am selben Tag gab es einen Empfang der IHK. Da haben wir uns zu den Beschäftigten gestellt, sonst war da niemand.

Kaufland hat als einer der wenigen Einzelhandelsbetriebe im Landkreis einen Betriebsrat. Bist du da Mitglied?

Nein. Es gab in letzter Zeit immer wieder Austritte aus der Gewerkschaft; Leute sagen, der Betriebsrat sei bloß der verlängerte Arm der Geschäftsleitung. Und da haben einige ihre Probleme damit.

Das ist verständlich.

Vor ein paar Jahren wollte der Kaufland-Regionalverkaufsleiter mit dem Hausleiter durchsetzen, dass wir bis Mitternacht offen haben. Das musste natürlich durch den Betriebsrat – und der hat unentschieden abgestimmt. Eine Enthaltung hat dann dafür gesorgt, dass der Antrag nicht durchkam. Das Krasse daran: Ich habe danach gehört, dass alle Betriebsräte, die für die Verlängerung stimmten, gar nicht in der Spätschicht arbeiten.

Auch ver.di-Mitglieder?

Ja.

Nochmals zu den Jungen, die jetzt der Linken beitreten. Was bewegt die?

Hauptsächlich, dass sich die Parteilandschaft nach rechts bewegt. Und die AfD. Und wie gesagt: Es gibt einige, die haben schon auf dem Schirm, dass SPD, Grüne und so weiter keine Unschuldslämmer sind. Aber es ist hauptsächlich die AfD.

Sind es vor allem Studierende?

Ich würde sagen: gemischt.

Du bist einer der wenigen in der Politik, der keine Uni besucht oder ein Studium absolviert hat. Macht das für dich einen Unterschied?

Es ist zum Teil schwierig, weil man manches Wissen nicht hat. Andererseits kann ich als jemand, der in einem Betrieb Lohnarbeit leistet und ackern muss, über Dinge sprechen, von denen andere keine Ahnung haben. Dafür haben einige von ihnen Einblicke, die mir bisher verwehrt waren – durch ihre Tätigkeit in Ausschüssen zum Beispiel. Ich muss einen großen Aufwand betreiben, wenn ich an entsprechende Informationen kommen will.

Die Kandidatur zur Bundestagswahl ist deine erste politische Funktion. EIne steile Karriere …

Auf jeden Fall. Letztes Jahr, als ich eingetreten bin, ging es am Anfang erstmal darum, die Listen für die Kommunal- und Kreistagswahlen zu füllen. Da war ich auf einem der hinteren Plätze. Von Platz 15 auf der Kreistagswahlliste zur Bundestagskandidatur ist schon ein steiler Anstieg …

Kannst du dir vorstellen, mal in den Kreistag oder in den Gemeinderat zu gehen?

Ja, es ist ja noch mal ein bisschen Zeit, bis es wieder an die Kommunalwahlen geht. Aber rein theoretisch ja – ich könnte es mir eher vorstellen, hier im Kleineren mitzuwirken als auf der ganz großen Bühne.

Auf welchem Platz stehst du auf der Landesliste der Linken?

Die Landeslistenwahl fand an einem Samstag, drei Tage vor Heiligabend, statt, und ich arbeite im Handel. Ich habe versucht, mir für diesen Tag frei zu nehmen, aber uns steht nur ein freier Samstag im Monat zu. Diesen hatte ich im Dezember bereits für meine Wahl zum Kandidaten genutzt. Deshalb konnte ich leider nicht persönlich an der Landeslistenwahl teilnehmen und mich vor Ort bewerben beziehungsweise selbst vorstellen. Das mindert natürlich die Chancen enorm. Vermutlich habe ich es auch deshalb nicht auf die Landesliste geschafft.

Es gibt für sowas keine Freistellung?

Nein. Ich hab’s versucht, auch über den Betriebsrat. Aber das gilt nur für Mandatsträger.

Behindert dich das jetzt im Wahlkampf? Bei der Konstanzer Gegen-rechts-Demo konntest du auch nicht dabei sein, weil du arbeiten musstest …

Es macht den Wahlkampf schwierig. Je nachdem, wie ich arbeiten muss, stehe ich morgens auf, checke meine E-Mails schnell zwischen Tür und Angel, schreibe vielleicht Mails, die weg müssen, und düse dann zur Arbeit. Während der Arbeit kann ich natürlich gar nichts machen – und abends muss ich schauen, dass ich noch irgendwie was hinbekomme. Lohnarbeit und Wahlkampf, das ist schon eine Hausnummer.

Vor allem, wenn man bedenkt, wie viele Reden du in letzter Zeit auf Kundgebungen gegen rechts gehalten hast. Und jetzt bespielst du auch noch täglich Instagram. Machst du das selber? 

Ich habe das Format «14 Tage – 14 Gründe» zwei Wochen vor der Wahl gestartet und mache es alleine. Ansonsten haben wir in der Partei einen sehr fleißigen Menschen, der hauptsächlich die restliche Social-Media-Arbeit übernimmt.

Dir stehen also nicht ein Kameramann, zwei Texterinnen und ein Sekretär zur Seite?

Meine Freundin möchte mir helfen. Aber irgendwie dachte ich: in Ruhe mit mir allein ist das irgendwie einfacher.

Du schreibst auch deine Reden selbst?

Die entwerfen wir teilweise zusammen: Jemand schreibt einen Entwurf, die anderen gucken drüber. Die Kundgebung Ende Januar im Pfalzgarten war ja sehr kurzfristig anberaumt. Ich war eigentlich schon auf dem Weg ins Bett, als es hieß: Setz dich hin, schreib eine Rede. Es war schon 23 Uhr, ich musste am nächsten Morgen um 6 Uhr aufstehen, und da dachte ich: Jetzt irgendwie so eine Rede da hinhauen, uff. Aber wir haben das zusammen hinbekommen. Ich bin dann morgens zur Arbeit, danach zurück nach Hause, hatte eine halbe Stunde, dann wieder los zum Münster, um dort die Rede halten. Es war schon ein paar Mal so: rauf aufs Fahrrad, nach Hause, einen Kaffee trinken, die Zähne putzen, das Gesicht waschen und los geht’s.

Wow.

Und je nachdem, wann die Rede geschrieben wurde, noch schnell den Drucker rauskramen, die Rede ausdrucken, noch drei-, viermal durchlesen, dass es auch ein bissle sitzt. Und dann geht’s wieder los. Ja, es ist intensiv.

Was ist dir am Wahlkampf wichtig?

Dass man die Leute erreicht. Allerdings sind unsere Möglichkeiten aufgrund der Größe unseres Kreisverbands und des Etats limitiert

Macht ihr Hausbesuche?

Ja. Da kann ich leider selten teilnehmen, weil wir das natürlich samstags machen. Da bin ich meistens bei der Arbeit. Wir begeben uns dorthin, wo man bei den Menschen punkten kann, also eher nicht ins Konstanzer Musikerviertel. Bei den Haustürgesprächen geht es vor allem darum, die Menschen sprechen zu lassen; sie erzählen dann allein von ihren Problemen.

Auf die Menschen zugehen, hören, was sie umtreibt – was sonst noch?

Das ist ein ganz großes Feld. Was wir leider nicht ganz so gut ausfüllen, ist Social Media. Da müsste man viel mehr machen, das sieht man an den Erfolgen, die die Rechten mit ihrem Bullshit-Content, den faktenfreien Aussagen, haben.

Dafür habt ihr Heidi Reichinnek.

Die macht das ganz gut, auch andere tun da mehr. Bisher haben wir da etwas gepennt, inzwischen läuft es aber besser; wir verzeichnen auf Social Media großen Zulauf. Andererseits haben wir unsere Wahlstände, obwohl wir inzwischen begriffen haben, dass Infostände auf dem Wochenmarkt nicht unsere Klientel erreichen. Weil die nicht das Geld hat, um auf dem Wochenmarkt einzukaufen.

Hat die Linke nicht auch ein Angebot für jene, die etwa am Freitag mit den Fridays for Future demonstrieren gingen und von der Klima- und Biodiversitätspolitik der Grünen enttäuscht sind?

Natürlich. Wir bieten eine politische Alternative für alle, die mit Fridays for Future demonstrieren und von der Klima- und Biodiversitätspolitik der Grünen enttäuscht sind. Die Linke verbindet konsequenten Umweltschutz mit sozialer Gerechtigkeit. Zentral sind der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, der Ausstieg aus fossilen Energien und der Schutz der Biodiversität durch eine ökologische Agrarwende. Außerdem fordert die Linke eine Energiewende in öffentlicher Hand, um Profite großer Konzerne zu verhindern, und kämpft gegen Massentierhaltung sowie den Einsatz schädlicher Pestizide. Bewegungen wie Fridays for Future unterstützt sie aktiv und setzt sich dafür ein, deren Forderungen ins Parlament zu tragen.

Es ist also weiterhin wichtig, dass sich Bewegungen auf der Straße zeigen?

Ja. Und zwar nicht nur vor den Wahlen.

Gilt das auch für die Linke?

Während des Wahlkampfs findet da einiges statt, aber es besteht die Gefahr, dass man danach aus dem Blickfeld verschwindet, dass anschließend einfach nur Ruhe herrscht. Das darf diesmal nicht sein. Aber jetzt wächst ja unser Kreisverband.

Woran sieht man das?

Ich kam vorletzten Donnerstag zur Sitzung, und da sah ich zehn neue Gesichter von Leuten, die direkt nach ihrem Beitritt zu uns gekommen sind. Normalerweise braucht es erst einmal Überwindung, bis man zu einer Sitzung geht: Du weißt ja nicht, was dich erwartet. Und jetzt plötzlich zehn Neue. Das war schon krass. Die haben sich direkt eingebracht und sind flyern gegangen. Jemand anderer hat sich über Instagram gemeldet und gleich einen ganzen Karton mit Flyern geholt, die er auf der Höri verteilen wollte. Da tut sich schon was.

Und was ist inhaltlich an diesem Wahlkampf wichtig?

Wir sind gegen die Rechten, wir sind nicht wie die Union, die FDP, die SPD, die  Grünen, wie das BSW. Und dann gibt es da die Themen, für die ich selber stehe.

Zum Beispiel?

Das Thema Mieten- und Wohnraumpolitik gehört deutschlandweit ganz nach oben, besonders natürlich in Konstanz. Dann habe ich als Einzelhandelsbeschäftigter mit Lebensmitteln zu tun und weiß, wie sehr die Preise da gestiegen sind. Beides belastet die Menschen und lässt sie verarmen. Wie soll man sich noch gesund ernähren, wenn die Preise für Obst und Gemüse hochschießen? Also greifen viele zu billigeren, ungesünderen Lebensmitteln. Und dann ist da noch die Lebensmittelverschwendung.

Inwiefern?

Wir hatten früher ein kleines Regal, das hieß «Ich bin noch gut». Da haben wir die Ware, die morgens raus musste, in Beutel abgepackt, einen Aufkleber draufgepäppt – und die Leute haben sich auf das Zeug gestürzt, weil sie günstige Obst und Gemüse haben möchten. Aber derzeit haben wir einen solchen Abbau an Mitarbeitern, dass das nicht mehr machbar ist.

Es wird also wieder weggeschmissen?

Nein. Wir arbeiten jetzt (nach einer Pause) wieder mit der «Tafel» zusammen. Aber die picken sich heraus, was sie wollen, und lassen extrem viel liegen, das noch gut ist. Das ist ein Problem; vielleicht haben auch sie die Kapazität nicht. Viele Menschen sind enttäuscht, dass es unser Regal nicht mehr gibt. Aber wenn derart an Personal gespart wird …

Was ist dir noch wichtig?

Der öffentliche Nahverkehr. Da ich ohne Auto unterwegs bin, ist für mich der ÖPNV ganz wichtig – wie für andere Menschen auch. Ausbau des Schienenverkehrs, Beibehaltung des Deutschlandtickets (wenn’s geht billiger)  mal wieder. Das Deutschlandticket sollte natürlich beibehalten werden.

Auf der Kundgebung gegen rechts hat die Pfarrerin Christine Holtzhausen gesagt, dass wir nicht mehr weiterleben können wie bisher. Das heißt aber auch, dass ein Gesellschaftsmodell, das auf Wachstum setzt, nicht funktioniert. Wie kommen wir da raus?

Das ist eine zentrale Frage: Wie können wir eine Gesellschaft aufbauen, dass sie ohne Wachstum auskommt – und gleichzeitig vermeiden, dass die Armen noch ärmer werden. Umverteilung ist sicher ein Mittel, es gibt ja viel Reichtum, außerdem Abschaffung des Kapitalismus, der ohne Wachstum ja nicht auskommt. Und natürlich ein anderes Steuermodell. Mit dem Argument habe ich teilweise auch Leute bekommen. Viele glauben ja immer noch, dass Honig und Milch in grauen Mengen fließt, wenn ab morgen die AfD an der Macht ist. Das sage ich auch immer wieder den Leuten im Handel, die zu zweit ungefähr 40.000 Euro im Jahr verdienen. Wieso möchtet du die Leute wählen? Die sind ja zum Teil noch schlimmer als die FDP.

Momentan sind alle ganz fasziniert von den Großdemos. Du hast zu Beginn unseres Gesprächs deine Skepsis geäußert. Hast du die Befürchtung, dass mit diesen Demos gegen rechts genau das Gleiche passiert wie mit den Klimastreiks von Fridays for Future, die vor Jahren auch riesig waren und dann immer kleiner wurden?

Das Problem ist: Bewegungen kommen und gehen – je nachdem, wie sehr ein Thema die Leute beschäftigt. Wenn etwas in aller Munde ist, du überall damit konfrontiert wirst, die Leute nichts mehr anderes hören und sehen, dann strömen sie zu Demos. Zumindest in der Stadt. Hier waren es 10.000 oder 12.000, in Stockach am Tag danach 300. Da merkst du dann, es geht raus aufs Land, da sind dann nicht mehr so viele dabei. Am 19. Februar ist das Gedenken an fünf Jahre Hanau, da werden vermutlich auch nur paar Leute kommen. Und da denke ich: hey, wenn ihr zu Tausenden zur einen Demo kommt, dann geht doch bitte auch dahin.

Um so wichtiger ist es, dass man all jene, die man jetzt mobilisieren konnte, auch nach der Wahl behält. Dazu braucht es Strukturen, die länger bestehen bleiben.

Ja, das ist richtig. Wie bindet man die Leute? Wie sorgen wir dafür, dass sie nicht einfach verschwinden und man dann per E-Mail eine Austrittserklärung bekommt. Aber jetzt haben wir eine andere Dynamik. Die Spaltung ist überwunden …

Welche?

Habe ich das gar nicht erzählt? Der Austritt von Sarah Wagenknecht war der ausschlaggebende Grund, warum ich überhaupt dazugestoßen bin. Ich war bestimmt zwei Monate bei den Sitzungen, ohne Mitglied zu sein. «Willst du nicht mal unterschreiben?», haben sie mich gefragt. Aber da war Wagenknecht noch dabei. Erst als die ausgetreten ist, habe ich die Beitrittserklärung unterzeichnet. Es war wie eine Befreiung.

Wie geht die Wahl aus?

Wir werden deutlich über die Fünfprozent-Hürde kommen.

Interview: Ralph-Raymond Braun, Pit Wuhrer für seemoz.de