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Protest gegen den «Remigrations»-Propagandisten Sellner

Lohnende Spontaneität

21. Oktober 2024 | Am Samstagvormittag verhinderten über hundert Konstanzer Antifaschist:innen eine angekündigte Pressekonferenz von Martin Sellner aus Österreich. Und sorgten mit dafür, dass der Neonazi von der Thurgauer Polizei weggeschafft wurde.

Irgendwann am Freitagabend war Mitgliedern des Bündnisses «Konstanz für Demokratie» eine Medienmeldung der rechtsextremen Schweizer Gruppe «Junge Tat» aufgefallen. Darin wurde für Samstag, den 19. Oktober, 10.30 Uhr, zu einer «Pressekonferenz an der Landesgrenze in Konstanz» eingeladen. Thema: «Das Einreiseverbot für Martin Sellner in die Schweiz».

Sellner, ein Exponent der österreichischen Identitären Bewegung, war weitherum bekannt geworden, nachdem die Investigativ-Journalist:innen von Correctiv über ein Treffen von Rechtsextremisten in Potsdam berichtet hatten. Auf diesem hatte der Wiener für sein Konzept der «Remigration» geworben. Daraufhin war es überall in Deutschland – auch in Konstanz, Radolfzell und Singen – zu Protestdemonstrationen gekommen.

An diesem Samstag nun wollte Sellner abends im Kanton Zürich erneut über dieses Konzept referieren, das, wie es in der Medienmitteilung hieß, «offenbar für gewisse Kreise so beängstigend ist, dass man glaubt, es mit Bürokratie und Repression verhindern zu müssen». Diesen Vortrag verhinderten die Schweizer Behörden mit einem zeitweiligen Einreiseverbot, das – im Unterschied zu einer ähnlichen Verfügung in Deutschland – sofort in Kraft getreten war. An der deutsch-Schweizer Grenze in Konstanz wollte Sellner – so die Info in der «Junge Tat»-Meldung – seine Sicht auf das schweizerische Einreiseverbot schildern und «über die unverhältnismässigen Repressionen gegen ihn» sprechen.

«Schleich dich, du Furz!»

«Aufruf zur Spontanaktion, Samstag, 9.45 Uhr, Haupteingang Lago Konstanz», lautete deshalb die mehrere social-media-Kanäle verschickte Botschaft des Konstanzer Bündnisses gegen rechts. Und so fanden sich an diesem Samstagmorgen rund 120 Menschen vor dem Einkaufszentrum ein. Am Rand des Platzes standen auch ein paar Polizist:innen, denn die Kundgebung war trotz der kurzen Zeitspanne angemeldet worden.

Eine Choreographie oder einen Ablaufplan für die Protestveranstaltung gab es nicht, die Organisator:innen wussten nicht, wo genau und ob überhaupt Sellner auftauchen würde. Und so setzten sich die Demonstrant:innen gegen halb elf westlich des Lago zum unüberwachten Grenzübergang in der Wiesenstraße in Bewegung. Mit Trillerpfeifen und Parolen («Nazis verpisst euch, niemand vermisst euch!») für unüberhörbaren Protest sorgend, ausgerüstet auch mit Bannern und mit über Nacht fabrizierten Plakaten. «Sellner, schleich dich, du Furz!», stand auf einem. Mit im Zug waren auch etliche Kreuzlinger Juso und SPler:innen, die mit ihren Bannern Flagge gegen rechts zeigten.

Rechtsextreme Desorientierung

Noch vor der Grenze kam der Demo eine Führungsfigur der «Jungen Tat» mit laufender Smartphone-Kamera in der ausgestreckten Hand entgegen – in Begleitung von schweizerischen Kameraleuten, die der medialen Einladung gefolgt waren.

Hier war man also richtig, auch wenn wahrscheinlich keine normale Pressekonferenz mit Fragen und Antworten stattfinden würde – die wäre auch kaum möglich gewesen angesichts der lauten Sprechchöre: «Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda!»

Und dann erschien auch Sellner, der 35-jährige Österreicher, der alle Migrant:innen per «Remigration» in ihre Herkunftsländer abschieben will. Begleitet von ein paar Neonazis lief er – aus dem Lago-Parkhaus kommend und zwischen den Pollen hindurch die unmarkierte Grenze überschreitend – rechts abbiegend auf die rot-weiße Kette zu, hinter der er die Schweiz vermutete.

Zweimal ein Durchlass im Abstand von zwanzig Metern – der verwinkelte Grenzverlauf hier verwirrt mitunter auch Einheimische. Über die Kette hinweg übergab er nun seinem auf deutschem Boden stehenden Schweizer Mitstreiter ein Exemplar seines Buchs «Remigration – ein Vorschlag». Die Geste sollte wohl zeigen, dass sich seine Gedanken von Einreiseverboten nicht stoppen lassen. Dabei grinste er für seine Smartphone-bewehrten Begleiter siegessicher in alle Richtungen.

Dumm für ihn nur, dass er dabei nicht, wie von ihm vermutet, auf deutschem, sondern auf Schweizer Boden stand. Und als er dem Polizisten, der auf ihn zu kam, nichtsahnend die Hand schüttelte, hatte er vermutlich die Aufschrift «Kantonspolizei» auf dessen Jacke nicht bemerkt. Entsprechend verblüfft war er, als ihn die Kantonspolizei ihn als illegalen Migranten abführte und auf den Polizeiposten schaffte.

Abschiebung über den Bodensee

Drei seiner Kumpane wedelten noch eine Weile mit ihren Kameras und lästerten über die demonstrierenden «Witzfiguren». Der Zug verfolgte sie kurz über die Grenze in die Schweiz und zurück nach Deutschland, wo die drei Faschisten sich hinter die dünne Linie deutscher Polizist:innen zurückzogen. Und die dem Dreigespann kurze Zeit später einen Platzverweis erteilten.

Martin Sellner wurde nach Feststellung der Personalien wieder auf freien Fuß gesetzt. Sollte er vor Ablauf der Einreisesperre nochmals in der Schweiz erwischt werden, darf er mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldbuße rechnen. Von der Fähre Romanshorn–Friedrichshafen vermeldete der Identitäre später via social media, er sei «über den Bodensee abgeschoben» worden.

Da war die Grenz-Geschichte bereits über Presseagenturen in vielen Medien nachzulesen und nachzuhören, in deutschen wie in schweizerischen. Die Story vom «Remigrations»-Experten, der sich an einer Grenze verläuft, ist ja auch zu schön, um nicht publiziert zu werden.

Stunt fürs eigene Lager

Ob Sellner tatsächlich als Verlierer aus dieser Geschichte hervorgeht, ist allerdings fraglich. Denn spätestens bei der Buchübergabe über die rot-weiße Kette war klar, dass Ziel der Aktion vor allem ein weiterer Video-Stunt für die rechtsextremen Netzwerke und die eigenen Fascho-Echokammern war.

Sicher aber ist, dass der lautstarke Protest an der Grenze eine – wie auch immer geplante – Pressekonferenz unmöglich gemacht hat, und auch Schweizer Faschos so desorientierte, dass sie ihr eigenes Land nicht wiedererkannten.

Und großartig ist, dass sich innerhalb so kurzer Zeit über hundert Menschen für eine Straßenaktion mobilisieren ließen, ohne genau zu wissen, was Sache ist – außer dass es gegen Nazis geht. Das lässt hoffen. Denn die Zeiten werden nicht einfacher. (pw)