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Deutschland/EU: Dem Handel ist das Klima wurst
Ein Schritt vor, fünf Schritte zurück
29. November 2022 | Deutschland steigt zwar aus dem klimaschädlichen Energiecharta-Vertrag aus – dafür ratifizieren die Regierungsparteien noch diese Woche den nicht minder klimafeindlichen Handelsvertrag CETA.
Es gibt eine gute Nachricht: Nach vielen Protesten von Klimaschützer:innen und zahlreichen zivilgesellschaftlichen Initiativen und Organisationen hat die Bundesregierung beschlossen, den Energiecharta-Vertrag (ECT) zu kündigen. In den vergangenen Jahren haben vor allem Energiekonzerne den ECT für teilweise milliardenschwere Klagen gegen Staaten genutzt, die aus fossilen Energien aussteigen oder höhere Umweltschutzstandards einführen wollten (siehe die Klage-Liste auf der ECT-Website) – darunter auch der schwedische Energiekonzern Vattenfall, der die Bundesrepubik auf Schadensersatz verklagte, weil es seine maroden Atommeiler vom Netz nehmen musste. Alleine in Deutschland schützt dieser Vertrag fossile Investitionen in Höhe von über 54 Milliarden Euro. Daher hatten Umwelt- und Klimaschutzorganisationen immer wieder darauf gedrängt, den Vertrag zu kündigen, damit die Energiewende nicht ausgebremst wird.
Die Entscheidung kommt auf den ersten Blick etwas überraschend. Der Druck von unten allein war zwar beharrlich, aber nicht gerade massenhaft gewesen. Den Ausschlag gaben eher die Beschlüsse anderer Staaten: Italien war, weil es von den vor privaten Schiedsgerichten geführten Milliardenprozessen genug hatte, bereits 2016 aus dem ECT ausgetreten. Und jüngst kamen angesichts des zähen ECT-Reformprozesses auch noch Spanien, Frankreich, die Niederlande und Polen dazu, die nicht länger mitmachen wollten. Kurzum: Die deutsche Regierung stand allmählich allein auf weiter Flur.
Hü und hott
Allerdings gibt es mehrere Hindernisse zur endgültigen Beerdigung des ECT. Erstens schützt ein sogenannter sunset clause den Vertrag ab Kündigung bestehende Investitionen für weitere zwanzig Jahre. Und zweitens hält die EU bislang am Vertrag fest, der in der EU, Britannien und der Schweiz fossile Projekte im Marktwert von über 344 Milliarden Euro schützt. Das heißt: Die Konzerne können weiterhin klagen.
Dennoch: Die Berliner Entscheidung ist ein Schritt nach vorn.
Ganz anders sieht es bei anderen Handelsabkommen aus, die ebenfalls (fossile) Investitionen schützen. Beispielsweise das Comprehensive Economic Trade Agreement (CETA) zwischen Kanada und den EU-Staaten. Dieses sieht ebenfalls Sonderklagerechte für Konzerne an einem eigens einzurichtenden Schiedsgericht vor – und überschreibt damit EU-Recht und deutsches Recht. Konzerne können auf CETA-Basis Tatbestände einklagen, die es im deutschen Recht nicht gibt. Warum dasselbe Prinzip im einen Fall schädlich ist, im anderen aber nicht, konnte bisher keine der großen Parteien erklären.
Das CETA-Abkommen ist seit 2017 teilweise in Kraft – aber ohne die Investitionsschutzklausel (mehr über diesen sogenannten Schutz und was er anrichtet steht hier). Ob es endgültig in Kraft tritt, hängt ganz entscheidend von den Abstimmungen in Bundestag und Bundesrat ab. Sie werden in dieser Woche erwartet, und alles deutet darauf hin, dass die Ampelparteien sowie CDU/CSU zustimmen.
Auch US-Konzerne können intervenieren
Zumindest mit dem demokratischen, „westlichen Werten“ verpflichteten Kanada müsse man doch noch ein Handelsabkommen schließen können! So lautet ein (auch von Grünen bei deren Donaueschinger Landesparteitag im September) vorgetragenes Argument der CETA-Befürworter:innen. Ja schon. Aber es kommt darauf an, was im Vertrag steht. Kanada gehört durch seinen massenhaft vorangetriebenen Ölschieferabbau zu den größten CO2-Emittenden weltweit. Und der nimmt mit CETA noch zu.
Zudem zielt der Kanada-Vertrag (wie auch andere EU-Handelsvorhaben) auf einen Abbau sogenannter Handelshemmnisse ab – also auf den bisherigen Schutz von Beschäftigten, von Verbraucher:innen (Verbot von Gentechnik, Hormonfleisch), der Natur. Dazu fördert er die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen, verbietet die Vergesellschaftung einmal privatisierter Betriebe und unterwirft die Demokratie dem Markt. Selbst das Gemeingut Wasser soll zur Ware werden.
All das, was zivilgesellschaftliche Organisationen wie Gewerkschaften, Umweltverbände und Basisinitiativen erkämpft haben, geht also diese Woche – wahrscheinlich am Donnerstag – ein Stück weit bachab (siehe den Aufruf vieler europäischer und kanadischer Bündnisse). Denn nicht nur kanadische Firmen sind interventionsberechtigt, wenn sie ihre Profite gefährdet sehen. Klagen können auch alle US-Unternehmen mit einer Niederlassung in Kanada – und das sind über 40.000, darunter alle großen Konzerne.
Nicht zuletzt deshalb haben in den letzten Wochen verschiedene Interessengemeinschaften nochmals auf die Gefahren von CETA aufmerksam gemacht – etwa die Hans-Böckler-Stiftung, Greenpeace und foodwatch. Eine Resonanz auf diese (und andere) Kritik war weder in Berlin noch bei der Basis von Grünen und SPD zu vernehmen.
Verbrennerautos hin, Gentech-Soja her
Damit nicht genug. Das (grün geführte) Wirtschaftsministerium ist auch wild entschlossen, das geplante EU-Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay zu durchzusetzen. Die Idee dabei: Die EU-Wirtschaft liefert den südamerikanischen Staaten mehr Autos und Chemieprodukte, dafür dürfen diese mehr Rindfleisch und Gentech-Soja nach Europa exportieren. Für Weidefläche und Soja-Plantagen aber wird der Amazonas-Regenwald abgeholzt. Zwar lehnen derzeit die EU-Länder Frankreich, Österreich und Irland das EU-Mercosur-Abkommen ab. Aber können sie dem größten EU-Staat Deutschland und der durchweg neoliberal gestrickten EU Paroli bieten?
Und es sind weitere Abkommen zur Beseitigung von „Handelshemmnissen“ geplant. Man müsse, da Russlands Rohstoffe als Ressource ausfallen, mit möglichst vielen Staaten Freihandelsverträge abschließen, heißt es. In der Pipeline sind zum Beispiel Deals mit Mexiko und Chile. Eventuell mit Indien. Und selbst das ad acta gelegte TTIP-Abkommen mit den USA soll, so Bundeskanzler Olaf Scholz vergangene Woche, wiederbelebt werden.
Zur Erinnerung: Das industriehörige US-EU-Abkommen Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) hatte in vor einigen Jahren Hunderttausende mobilisiert, die in Berlin und anderen Großstädten auf die Straße gingen. Gestoppt wurden die Verhandlungen dann vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump. Angesichts des Ukraine-Kriegs ist nun Berlin gewillt, sich in neue Abhängigkeiten zu begeben. Siehe beispielsweise den Ausbau von LNG-/Flüssiggas-Terminals für US-amerikanisches (und bald auch kanadisches) Frackinggas, für das langfristige Lieferverträge geschlossen werden (bis 25 Jahre). Dass Frackinggas durch die Art der Förderung und den Transportweg noch weitaus klimaschädlicher ist als herkömmliches Erdgas, wissen die Ampel-Parteien vermutlich – schließlich ist Fracking hierzulande nicht ohne Grund verboten. Dennoch setzen sie auf diese Form fossiler Energie.
Bisher haben rund die Hälfte aller EU-Staaten das EU-Kanada-Abkommen CETA gutgeheißen. Widerspruch kam bisher nur aus Zypern, wo das Parlament eine Ratifizierung ablehnte, und aus Irland, dessen Oberster Gerichtshof vor kurzem CETA als nicht verfassungskonform erklärte. Vom Grundsatz her wäre damit CETA erledigt, denn EU-Regeln schreiben bei solchen Entscheidungen Einstimmigkeit vor. Doch da beide Staaten in hohem Maße von Brüssel abhängig sind (Zypern im latenten Konflikt mit der Türkei, Irland beim Handelsstreit im Gefolge des britischen Brexits), wird sich in Nikosia das Parlament weichkochen lassen, während die konservative Mehrheit im Dubliner Dáil einfach die Gesetze verändert.
Doch die EU-Spitze geht noch weiter: Um sich ähnliches Ungemach künftig zu ersparen, will sie künftig Abkommen selber umsetzen können. Dazu plant sie, den Handelsteil der Abkommen mit Chile, Mexiko und den Mercosur-Ländern ohne die Zustimmung nationaler Parlamente in Kraft zu setzen. Dafür, so die EU-Kommission, sollen die Abkommen auf die eine oder andere Art und Weise aufspalten, also "gesplittet" werden. Denn der Bereich Handel liegt im Verantwortunsbereich der EU und daher benötigen Entscheidungen, die den Handel zwischen der EU und anderen Länder betreffen, nur die Zustimmung vom Europäischen Rat und dem zahnlosen EU-Parlament, wobei im Fall des "splittings" kein Konsens im Europäischen Rat mehr notwendig ist, eine qualifizierte Mehrheit reicht. Das bedeutet einen weiteren Abbau der politischen Teilhabe.