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Deutschland: Vierzig Jahre Weltladen Konstanz
«Eigentlich wollten wir überflüssig werden»
29. Juli 2021 | Am 1. August feiert der Weltladen in der Konstanzer Niederburg sein vierzigjähriges Jubiläum. Wie war das damals, als die Idee eines gerechten Handels aufkam? Und was hat sich seither geändert? Ein Gespräch mit Romy Grimm-Schneider und Tonie Maier.
Wenn ihr vierzig Jahre Weltladen in einem Satz zusammenfassen müsstet – was würdet ihr sagen?
Tonie Maier: Für mich ist das Projekt ein wichtiger Debattierclub. Das ist der Hauptgrund, weshalb ich seit der Gründung dabei geblieben bin.
Nur wegen des Diskutierens?
Es wird ja über vieles gesprochen – vom Geschäftszeck bis zum politischen Geschehen. Für mich ist das Plenum, das es seit vierzig Jahren gibt, ein Forum, um Fragen zu stellen, anderen zuzuhören …
Romy Grimm-Schneider: Für mich ist der Weltladen ein Versuch, die internationalen Handelsbeziehungen ein klein bisschen gerechter zu machen.
Seit wann seid ihr dabei?
Tonie Maier: Seit dem Gründungstag. Ich habe zuvor jahrelang einer jungen Inderin die Ausbildungen finanziert, dabei aber gemerkt, dass der individuelle Ansatz die Welt nicht wirklich gerechter macht und dass ich mehr bewirken will. Ich wollte nicht länger mit ansehen, wie die Erste Welt auf Kosten der Dritten lebt.
Romy Grimm-Schneider: Bei mir war’s eine Lateinamerikareise 1979. Bei der habe ich die großartigen traditionellen Webefertigkeiten von Frauen kennengelernt, die gerade dabei waren, das Weben mangels Nachfrage aufzugeben. Als wir wieder zurück waren, kam mir der Gedanke, dass man diesen Leuten eigentlich vermitteln müsste, wie wertvoll ihre Arbeit ist und dass man sie hier verkaufen müsste. Das Verrückte war, dass unter den fünf, sechs Leuten im Vorbereitungskreis einer war, der als Sozialarbeiter schon mal in Guatemala gearbeitet und persönliche Kontakte zu Frauenkooperativen hatte. Und der hatte schon jede Menge an Decken und Kleidungsstücken gekauft. Die Ware war also schon da, es brauchte nur noch den Laden.
Wie viele Leute waren anfangs dabei?
Romy Grimm-Schneider: Im Vorbereitungskreis sechs, bei der Gründung waren wir dann fünfzehn.
Anfang der 1980er Jahre war der Optimismus groß. Viele glaubten an eine Veränderbarkeit der Welt, an eine bessere Zukunft.
Tonie Maier: Davon waren wir alle überzeugt. Eine von uns hat damals einen Satz gesagt, den ich nicht vergessen habe: «Wir machen jetzt den Weltladen – und hoffen, dass er mit der Zeit überflüssig wird.» Dass ein gerechterer Handel Wirklichkeit wird.
Romy Grimm-Schneider: Wir haben gedacht, dass die Welt demokratischer und gerechter wird. Dass die Diktaturen nach und nach zusammenbrechen, was ja zum Teil auch passiert ist. Dass der Westen sich zurücknimmt und die kolonialen Strukturen beendet werden. Deshalb haben wir uns inhaltlich intensiv mit Zollpolitik beschäftigt. Wir holen aus dem Süden die Rohprodukte und liefern die Fertigwaren dorthin – diese Ausbeutung muss doch nicht sein. Und dann die Sache mit der Ernährung: Wir hatten im Laden ein Kochbuch, das anhand von Kühen gut den Land- und Energieverbrauch der Fleischwirtschaft illustrierte. Als unser Sohn mit der Solidarischen Landwirtschaft anfing, habe ich ihm das Kochbuch herausgeholt und gesagt: «Schau mal, 1981 waren wir auch schon so weit.»
Tonie Maier: Was mich damals beeindruckt hat, war die Arbeit der Initiative «Erklärung von Bern». Deren Broschüre «Die zehn Hungerlegenden» hatten wir damals viel diskutiert. Der Hunger ist schließlich gemacht. Die Publikationen der «Erklärung von Bern» – sie heißt inzwischen «Public Eye» – lesen wir natürlich heute noch.
Romy Grimm-Schneider: Es gab viele Einzelaktionen, die hoffnungsvoll stimmten. Beispielsweise die Frauen, die damals in der Schweiz vor Migros und Coop standen und forderten: Kauft keine Früchte der Apartheid! Sie haben es wirklich geschafft, dass der Umsatz zurückging. Auch kleine Initiativen können eine Strahlkraft entfalten.
Tonie Maier: Wir hatten natürlich auch den Bäpper im Ladenfenster: Kauft keine Früchte aus Südafrika!
Romy Grimm-Schneider: Und haben eine Weile ein Projekt in Soweto unterstützt, das Kerzen produzierte. Schon damals haben wir uns gründlich mit den Projekten beschäftigt: Wo kommen die Sachen her, können wir die anbieten? Beispielsweise Rotwein aus Algerien: Warum sollen wir Wein aus Algerien verkaufen? Europa hat genug Wein. Aber dann stellten wir fest, wie viele junge arbeitslose Männer Arbeit hätten – und haben das Projekt unterstützt. seemoz: Hat auch das Klima in der Stadt dazu beigetragen? Es entstanden ja viele Initiativen damals: Den Buchladen Schwarze Geiß gab es schon, das Stadtmagazin Nebelhorn war gerade gegründet worden, das Chérisy-Projekt nahm Konturen an, es gab Hausbesetzungen, die Anti-AKW-Bewegung wuchs …
Tonie Maier: Wir waren gut vernetzt, und man hat sich auch verstanden. Das ist heute nicht mehr per se der Fall.
Überall war Aufbruch …
Tonie Maier: Anfang der 1980er richteten sich viele Augen auf Nicaragua. Nach der sandinistischen Revolution gab es Hoffnung für ein anderes Gesellschaftsmodell – einen Sozialismus, der sich vom realen Sozialismus, den wir kannten, unterschied. Einige waren sehr engagiert im Nica-Verein. Ein wichtiger Weg, Nicaragua zu unterstützen, war der Kaffee-Import. «Sandino Dröhnung» wurde im Weltladen verkauft. Dazu kamen Kontakte mit EntwicklungshelferInnen wie Ulla Allgeier, BrigadistInnen versorgten uns mit Informationen …
… und es gab die Kampagne «Waffen für El Salvador».
Tonie Maier: Das haben wir damals fest diskutiert. Ich erinnere mich noch an den Plenumsabend und wie ich dagesessen bin und gedacht habe: Oh, das will ich eigentlich nicht. Für mich war dann der Weg über den Kaffee einsichtiger. Und dann kam die Idee: Jetzt gucken wir einfach einmal, wo es eine Kooperative gibt in El Salvador, und die unterstützen wir. Damit ist «La Cortadora» bei uns eingezogen.
Was ist das? Eine Kooperative?
Tonie Maier: «La Cortadora» ist eine Marke, der Kaffee stammt von mehreren Kooperativen. Wir diskutieren ständig darüber, von welcher Kooperative wir importieren. Wenn der Kaffee der einen vom Pilz befallen ist und sie nicht liefern kann, dann muss man eine andere suchen. Wenn es von El Salvador nicht langt, geht man nach Honduras und nimmt von honduranischen Kooperativen den Kaffee dazu. Es gibt immer Debatten. Als beispielsweise vor etwa acht Jahren eine Pilzkrankheit viele Sorten und damit die Existenz der Kooperative gefährdet hat, kam es vor, dass diese auf ihrer Generalversammlung einen Kurswechsel beschloss: Bevor wir krepieren, hauen wir wieder Spritzmittel drauf. Das ging dann nicht mehr mit uns.
Was habt ihr gemacht?
Tonie Maier: Kooperativen gesucht, die weiterhin biologisch anbauen. Der Import läuft über die Mitka, die Mittelamerika-Kaffee-Export-Import-Gesellschaft. Sie wurde gegründet, weil viele mit der GEPA unzufrieden waren, weil dort die kirchlichen Institutionen das Sagen haben. Also beziehen wir unseren Kaffee von der Mitka.
War der Kaffeeimport von Kooperativen also nachhaltiger als das Geldsammeln für Waffen?
Tonie Maier: Nun ja, es gibt noch Kaffeekooperativen in El Salvador, aber viele sind eingegangen. Das begann schon mit den Regierungen der FMNL, der Nationalen Befreiungsbewegung Farabundo Martí, die von 1980 bis 1992 einen Guerillakrieg gegen die damalige Militärdiktatur führte. Unter der FMNL haben Kooperativen keine große Rolle gespielt. Und unter den folgenden rechten Regierungen gab es gar keine Unterstützung mehr. Immerhin hat die FMNL allen Kaffeebauern, als es ihnen richtig schlecht ging, Kaffeesetzlinge robusterer Sorten geschenkt, dabei aber nicht zwischen konventionellen und kooperativen Betrieben unterschieden.
Romy Grimm-Schneider: Die Genossenschaften sind uns wichtig, weil die auch Altersvorsorge betreiben, eine Krankenversicherung bezahlen und Rücklagen bilden. Da arbeiten die Leute nicht nur von der Hand in den Mund. Und bei den Bananen war ein wichtiges Motiv das Monopol der Giganten wie Chiquita, United Fruit, Del Monte. Die hatten alles in ihrer Hand, vom Land über den Anbau bis hin zu den Lastwagen und den Schiffen. Alles hat denen gehört …
… auch die Politik.
Romy Grimm-Schneider: Das ein bisschen aufzubrechen und einen Kontrapunkt zu setzen, war ganz wichtig. Wobei die ersten Bananen, die im Kleinen verschifft wurden, in Europa verfault ankamen. Die Kooperativen hatten schon Handelsbeziehungen zu den USA und haben gedacht: Nach Nordamerika schicken wir die Bananen dann und dann los, also planen wir denselben Zeitraum für den Transport nach Europa ein … Was da an Lehrgeld bezahlt werden musste!
Habt ihr direkt importiert?
Tonie Maier: Nein. Der Anstoß kam von den Schweizer Bananenfrauen, die sich mit den Gründern von Banafair [https://www.banafair.de], der Importorganisation, zusammengetan haben. Der Johannes war von Anfang an bei der kleinen Gruppe mit dabei.
Romy Grimm-Schneider: Es ist schon enorm, was drei Leute machen können. Das war toll!
Tonie Maier: Und ich konnte endlich wieder Bananen essen! Wir konnten ja keine Früchte aus Südafrika kaufen.
Romy Grimm-Schneider: Und ich liebe Bananen, und das fiel mir schon schwer.
Hat es mit Bananen und Kaffee begonnen?
Tonie Maier: Nein, mit Webwaren aus Guatemala.
Und dann folgte schrittweise der Ausbau des Angebots?
Tonie Maier: Tee war wichtig. Der Weltladen Karlsruhe hatte Kontakt zu Tee-Kooperativen in Tansania. In Indien und Sri Lanka haben wir keine Kooperativen gefunden; die Plantagen sind dort in der Hand von einzelnen Patrons.
Romy Grimm-Schneider: Schokolade war der nächste Schritt. Seit neuestem haben wir auch Schokolade, die im Land selber produziert wird: Fairafric. Das ist ein Quantensprung, das haben wir uns immer gewünscht. Uns haben Leute aus Ecuador besucht und Dias gezeigt, wie kompliziert es ist, eine Schokoladenproduktion aufzubauen. Wir hatten ja schon vor vierzig Jahren verlangt, die Wertschöpfung muss dort stattfinden, wo die Rohstoffe herkommen. Die Leute, die uns das Projekt vorgestellt haben, sind sehr stolz darauf. Schön dabei ist, dass heute auch junge Leute zwei, drei Schokoladen kaufen und dazu vielleicht einen Tee – als Studentin habe ich früher viel mehr aufs Geld geschaut. Und das ist ein weiterer Unterschied: Es gibt Junge, die nicht so sehr aufs Geld schauen, wenn sie was Sinnvolles unterstützen können.
Von daher könnte der Weltladen doch noch eine Weile bestehen.
Tonie Maier: Stimmt. Daran müssen wir weiterarbeiten.
Romy Grimm-Schneider: Initiativen wie die Schokoladenproduktion sind von den Weltläden abhängig. Sie können auf dem normalen Markt nicht existieren.
Bei eurer Gründungsversammlung vor vierzig Jahren gab es eine Idee, aber noch keinen Laden?
Tonie Maier: Doch. Die Gründungsversammlung haben wir schon in der Rheingasse 17 gemacht, im Haus Zur Schmiede. Wir hatten also den Laden schon.
Romy Grimm-Schneider: Vier, fünf Jahre später haben wir den Sprung in die Zollernstraße geschafft, um näher an der Innenstadt zu sein. Wir haben die Räume selber renoviert und waren stolz, dass wir die Miete zahlen konnten.
Tonie Maier: Danach sind wir in die Inselgasse 20 gezogen – und mussten auch dort wieder raus, weil man uns wegen Eigenbedarf gekündigt hat. Und dann kam Klaus Läuger auf uns zu, weil er gehört hat, dass wir in Not sind. Der Laden hier in der Rheingasse 13 sei jetzt frei, hat er gesagt, das afrikanische Kunsthandelsgeschäft gehe raus, und dann ging alles sehr schnell.
Wann kommt hier der Eigenbedarf?
Tonie Maier: Der kommt nicht. Weil wir hier ganz gute Kontakte haben, auch zum Sohn Wolfgang Läuger, der gerade ein Netzwerk zur guten Wirtschaft aufbaut, zu dem passen wir gut. Er macht viel für die Solidarische Landwirtschaft Solawi, und wir sind jetzt – angeregt von einer jungen Wissenschaftlerin – ein Solawi-Verteilpunkt. Dadurch kommen auch junge Leute hier her und laufen durch den Laden, nehmen Bananen mit oder Kaffee, man kommt ins Gespräch.
Worin besteht das Ladenkonzept?
Tonie Maier: Information, Information und noch mal Information. Wir wollen die Leute über die ungerechten Handelsbeziehungen informieren.
Damit zahlt man aber noch keine Ladenmiete.
Tonie Maier: Die Preise werden schon so kalkuliert, dass es kostendeckend ist. Die Produkte dienten uns immer als Möglichkeit, über die unfairen Verhältnisse zu informieren. Dabei sind wir nicht immer den Weg der Weltladen-Bewegung mitgegangen, weil wir da manches kritisch sehen: Da geht es stark um Umsatzsteigerung, um Profilierung und damit verbunden um ein einheitliches Konzept. Damit verknüpft war auch ein einheitliches Logo der Weltläden; unseres hingegen ist immer noch individuell. Dazu kamen die Bemühungen von Transfair, der Zertifizierungsorganisation, und das Bestreben, Fairtrade-Produkte auch in Supermärkten anzubieten …
Romy Grimm-Schneider: Was ja so schlecht nicht ist. Das war ja unser Ausgangspunkt gewesen – dass wir überflüssig werden. Ich sehe das schon als Erfolg der Bewegung: Gut, dass fair gehandelter Kaffee auch bei Edeka oder bei Denn’s zu kaufen ist.
Aber das ist marginal.
Tonie Maier: Richtig. Und es ist null Information dabei.
Romy Grimm-Schneider: Andererseits hat sich das Kaufbewusstsein verändert. Es gibt viele kritische KäuferInnen. Auch junge Leute.
Kommen die auch zu euch?
Tonie Maier: Wenn du Glück hast, kommt pro Ladendienst eine junge Person herein. Aber wir sind auch so was wie ein Quartierladen. Die Nachbarn und Nachbarinnen holen Bananen bei uns, Kaffee und Tee. Darauf kann man sich verlassen. Und so kriegen wir auch die Miete rein.
Romy Grimm-Schneider: Die Vernetzung in der Nachbarschaft ist wichtig, da gibt es eine sehr wohlwollende Unterstützung. Die einen kaufen Orangensaft hier, die anderen immer wieder Schokolade.
Seid ihr immer noch fünfzehn Leute wie bei der Gründung?
Tonie Maier: Den Ladendienst machen sechs oder sieben von uns, und im Hintergrund gibt es etwa weitere sieben. Manche kommen nur ins Plenum, aber wir alle haben über Mail regelmäßig Kontakt.
Romy Grimm-Schneider: Aber man kann ruhig von Überalterung sprechen. Schau’s dir an: Ich war die ersten sieben, acht Jahre mit dabei, dann Beruf, Familie und dann ging nichts mehr bis zum Ruhestand, als Roswitha zu mir sagte: Du könntest doch eigentlich wieder. Die übliche Biografie also.
Tonie Maier: Früher kamen viele Studierende vorbei und haben eine Zeit lang mitgearbeitet und sich engagiert – das waren Leute, die internationale Politik studiert haben, die von ihrem Arbeitsaufenthalt zurückgekommen waren und was machen wollten. Da waren wir die Anlaufstelle, das war schon klasse. Manche haben von hier aus auch andere Wege genommen, zur Grünkern-Genossenschaft zum Beispiel.
Kommen die StudentInnen nicht mehr?
Tonie Maier: Sehr selten.
Weil es die Auslandsaufenthalte nicht mehr gibt?
Romy Grimm-Schneider: Sie haben keine Zeit mehr in ihrem eng getakteten Bachelor-Studium. Das ist ein großer Mist. Die gehen ja nicht mal mehr auf Exkursionen, weil ihnen die Zeit fehlt, weil eine Klausur ansteht, weil sie der eine oder andere Dozent nicht gehen lässt.
Das allein erklärt noch nicht, weshalb keine Jüngeren mehr nachkommen.
Tonie Maier: Es gibt noch welche. Derzeit haben wir einen sehr engagierten Chemiestudenten und eine junge Wissenschaftlerin …
Könnte es auch daran liegen, dass es den früheren Optimismus nicht mehr gibt?
Romy Grimm-Schneider: Für die Jungen ist das Thema gerechter Welthandel gegessen.
Tonie Maier: Sie hören in den Schulen vielleicht noch was dazu, in Gemeinschaftskunde oder im Religionsunterricht, und haken es dann ab. Außerdem haben sie einen anderen Lebensstil – wobei es viele gibt, die sehr bewusst leben.
Romy Grimm-Schneider: Aber das Thema ist vorbei. Und sie engagieren sich in anderen Formen. Die Solawi zum Beispiel, die bewusst regionale Produzenten unterstützt. Sie blicken nicht mehr in die große weite Welt, sondern schauen, was man hier machen kann, um beispielsweise die Agrarindustrie aufzubrechen. Das Engagement ist also noch da, nur in anderen Bereichen.
Es liegt also daran, dass es heute andere Brennpunkte gibt. Vor vierzig Jahren war die industrielle Landwirtschaft noch nicht so dominant …
Tonie Maier: Trotzdem haben wir damals eine Grünkern-Genossenschaft gegründet.
Romy Grimm-Schneider: Aber es stimmt schon, die Biowelle fing erst an.
In den achtziger Jahren war die Entkolonialisierung noch nicht so lange her, es gab Optimismus, es gab zuhauf Bewegungen: Die SandinistInnen zum Beispiel machten sich daran, ein besseres Nicaragua zu schaffen – und schau dir an, was daraus geworden ist …
Romy Grimm-Schneider: Da wird einem schlecht.
Anderswo ist es auch nicht viel besser, in Afrika nicht und auch in Asien nicht.
Romy Grimm-Schneider: Es ist nichts Wegweisendes mehr da. Aber dafür haben wir jetzt das Lieferkettengesetz. Und das wurde von einem CSU-Entwicklungshilfeminister auf den Weg gebracht. Wer hätte das gedacht? Ansonsten will ich die jungen Leute in Schutz nehmen. Wir waren auch mal ein kleiner Kreis. Außerdem gibt es heute Gruppen wie Fridays for Future. Man darf nicht hängen bleiben an etwas, das damals angesagt war. Jetzt ist Klimawandel angesagt oder Verkehrswende – und vielleicht sind sie ein bisschen ehrlicher, weil sie da anfangen, wo sie stehen.
Denkt ihr, dass der Weltladen weitere vierzig Jahre so weitermachen kann?
Romy Grimm-Schneider: Ich glaube nicht, dass der Laden noch so lange besteht. Andererseits gibt es da das Beispiel Wangen im Allgäu. Dort wäre der Weltladen fast eingegangen, aber dann haben 2001 LehrerInnen von der Berufsschule gesagt: Bei uns gibt es im Lehrplan Projektunterricht: Wir machen das mit dem Weltladen. Seither wird der dortige Weltladen El Sol von einer Juniorenfirma betrieben. Ich habe mit meinen BerufsschülerInnen mal einen Betriebsausflug nach Wangen gemacht, aber die haben nicht angebissen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir Alten schon sehr dominant sind.
Tonie Maier: Die Jungen kommen einfach nicht rein in Strukturen, die vierzig Jahre lang gewachsen sind. Wir machen es denen nicht leicht. Dafür kennen sich die Jungen bei ganz anderen Themen viel besser aus, beim CO2-Ausstoss zum Beispiel, weil sie jetzt ausbaden müssen, was zum Teil auch wir verbockt haben.
Wie eng ist eure Kooperation mit dem Dachverband oder den anderen Weltläden?
Tonie Maier: Wenn der Dachverband der Weltläden, der uns ja rausgeworfen hat, weil wir zu lange über die Konvention diskutierten, einen Weltladentag zu einem Thema vorbereitet, das auch uns passt, bestellen wir die Materialien. Zu den anderen Läden wie dem in Dettingen haben wir Kontakt. Das ist eine jüngere Initiative. Den Leuten dort liegt ganz viel an der Vernetzung mit anderen Läden. Aber wir sind einfach zu wenige, um die Kooperation zu intensivieren.
Romy Grimm-Schneider: Die Dettinger haben immer wieder innovative Ideen, machen vor Weihnachten Nikolaus-Päckle, liefern Kaffee an Firmen oder Büros und haben sich einen festen Kundenstamm geschaffen. Sie haben Lust am Vermarkten, setzen also einen anderen Schwerpunkt.
Tonie Maier: Viele haben ein anderes Konzept. Es gibt auch Weltläden von Importeuren beispielsweise der Ravensburger Weltpartner-Genossenschaft …
Sie verfolgen eher das Ökonomische und ihr das Politische?
Tonie Maier: Das bringt es auf den Punkt. Wobei wir nicht nur diskutieren. Da gibt es etwa das tolle Projekt Apfel-Mango-Birnen-Saft mit der Stahringer Streuobstmosterei, an dem wir beteiligt sind. Dabei wird Fairtrade- Mangopüree von den Philippinen mit Streuobstsaft gemischt.
Ihr kauft aber nicht mit anderen Läden direkt ein, oder?
Tonie Maier: Es gibt die Importorganisationen, die Weltpartner-Genossenschaft zum Beispiel. Wichtig ist für uns Mitka, die Mittelamerika-Kaffee-Export-Import-Gesellschaft, El Puente, Banafair natürlich und fürs Kunstgewerbe sind es Globo und andere. Und die GEPA, die wir nach wie vor eher kritisch sehen. Aber vor Corona hatte Roswitha jeweils mittwochs einen Stand an der Uni aufgebaut, der für uns ganz wichtig ist. Und da kamen immer wieder Leute und sagten: Wir wollen diese Schokolade oder jenen Zucker, das gibt es doch bei der GEPA. Und so verkauften wir auch deren Waren.
Romy Grimm-Schneider: Da gab eine richtige Stammkundschaft. Man sieht, was passiert, wenn man zu den Leuten geht. Hier in der Niederburg schrumpfen wir hingegen ein bisschen. Andererseits kommen im Sommer viele TouristInnen vorbei, mit denen wir Gespräche führen und die beispielsweise über unser Buchangebot staunen, weil ihr Weltladen daheim nur verstaubtes Infomaterial hat.
Wie wichtig sind für euch die Bücher?
Für uns sind sie sehr wichtig, aber sie verkaufen sich schlecht. Auch die Zeitschriften wie Welt-Sichten, das Lateinamerika-Magazin ila oder Lunapark21 bieten wir vor allem aus politischen Gründen an.
Wie hat sich der Umsatz entwickelt?
Tonie Maier: Wir machen kein Defizit und können am Jahresende immer Geld an Projekte überweisen.
Sind das noch die zwanzig Familien, die ihr 2019 unterstützt hattet?
Tonie Maier: Das ist schief gelaufen. 2018 waren wir mit der Kaffeekampagne El Salvador unterwegs und haben dabei junge Leute getroffen, die als landlose Saisonarbeiter zum ersten Mal die Möglichkeit sahen, Land zu erwerben. Aber erstens bekamen wir auch durch Crowdfunding die 20.000 Euro nicht zusammen, die wir gebraucht hätten. Und zweitens wollte uns der Landverkäufer über den Tisch ziehen. Aber immerhin konnten wir den Familien das Geld überweisen, das wir gesammelt hatten.
Habt ihr jetzt ein anderes Projekt?
Tonie Maier: Im Zusammenhang mit dem Jubiläum empfehlen wir ein Landprojekt in Ecuador, wo indigene Gemeinschaften im Windschatten des Corona-Lockdowns vom Land vertrieben werden. Dabei unterstützen wir das FoodFirst Informations- & Aktionsnsnetzwerk FIAN, das zu Spenden aufgerufen hat. Wir empfehlen das, weil FIAN sehr gute Arbeit leistet. Aber wir ziehen nicht mit dem Klingelbeutel durch die Gegend. (pw)