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Deutschland: Die Freihandelsabkommen TTIP, CETA und TISA
Freibrief für Konzerne, Abbau unserer Rechte
5. Oktober 2014 | Es geht um mehr als Chemiefleisch und Genmais – eine Information des Konstanzer Bündnisses gegen die Freihandelsfalle.
Seit 2013 verhandeln die US-Regierung und die EU-Kommission über das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen TTIP. Die Verhandlungen laufen geheim, die Parlamente werden nur ungenügend informiert und haben wenig zu sagen. Da es kaum noch Zölle zwischen den USA und den EU-Staaten gibt, geht es vor allem um die Beseitigung von sogenannt nichttarifären Handelshemmnissen. Damit sind Umweltschutzregeln, Vorschriften zur Lebensmittelsicherheit, Sozial- und Arbeitsstandards, die Regulierung der Finanzmärkte, die Kennzeichnung von Produkten und andere Bestimmungen gemeint.
Bereits abgeschlossen sind die Verhandlungen über ein ähnliches Abkommen zwischen der EU und Kanada. Auch das CETA-Abkommen ("Comprehensive Economic and Trade Agreement") sieht weitreichende Zugeständnisse für die Großkonzerne vor.
Ebenfalls hinter verschlossenen Türen sprechen derzeit in Genf VertreterInnen der EU, der USA und zwanzig weiterer Staaten über ein Abkommens zum Handel mit Dienstleistungen (TISA). Ziel dabei ist die Privatisierung aller öffentlichen Dienste wie Trinkwasser, Bildung, Gesundheits- und Energieversorgung.
Das Ende der Demokratie?
Diese drei Abkommen untergraben die Demokratie:
● Die Parlamente haben nichts zu sagen.
● An den Gesprächen sind Industrie und Unternehmensverbände beteiligt, nicht aber Verbraucherschutzgruppen, Umweltorganisationen oder Gewerkschaften.
● Über die Fortschreibung von TTIP entscheiden nicht gewählte Gremien, sondern ein Regulierungsrat, der aus BürokratInnen und dem Big Business besteht.
● Falls TISA kommt, dürfen einmal erfolgte Privatisierungen von öffentlichen Dienstleistungen nicht mehr rückgängig gemacht werden – egal, egal, wie unsere politische VertreterInnen entscheiden und was sie wollen.
Wachstumshormone für alle
Auch der Verbraucherschutz gilt als Handelshemmnis. Die neoliberalen BefürworterInnen der Abkommen drängen auf eine Angleichung der Standards. Während in der EU der Einsatz von Chemikalien oder risikoträchtige Produktionsmethoden erst dann zulässig sind, wenn deren Unbedenklichkeit erwiesen ist, werden in den USA Erzeugnisse nur verboten, wenn jemand ihre Unverträglichkeit nachgewiesen hat.
Nun will aber die US-Agrarindustrie Fleisch von Tieren, die mit Hormonen behandelt wurden, auf den europäischen Markt bringen. Etliche der dort eingesetzten Wachstumshormone sind aber gesundheitsschädigend – und in der EU bisher nicht erlaubt.
Als Handelshemmnis gelten zudem Einfuhrverbote von gentechnisch manipulierten Pflanzen. Das heißt: In den USA zugelassene Sorten könnten ohne Beschränkung auch in den EU-Staaten angebaut werden. Und die Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel würde wegfallen. Darauf spekulieren auch europäische Unternehmen.
Fracking durch die Hintertür
Eine große Mehrheit der Bevölkerung lehnt Fracking ab – aus guten Gründen. Mit TTIP und CETA könnte die giftige Gasfördermethode durch die Hintertür Einzug halten. So klagt derzeit ein US-Unternehmen gegen die kanadische Regierung, weil diese ein Fracking-Moratorium erlassen hat. Das geht, weil Kanada mit den USA und Mexiko vor zwanzig Jahren das nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA unterzeichnet hat.
Angriff auf die Beschäftigten
Der Freihandel schaffe viele neue Arbeitsplätze, sagen die PolitikerInnen. Das Gegenteil ist richtig, wie eine Studie im Auftrag der EU-Kommision errechnet hat. Ihr zufolge werden in Europa durch TTIP mindestens 1,3 Millionen Menschen ihren Job verlieren.
Da die Angleichung von Standards bei internationalen Verhandlungen meist auf deren Absenkung hinausläuft, sind zudem auch unsere langjährig erkämpften arbeitsrechtlichen Errungenschaften bedroht. Die USA haben sechs der acht Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) nie anerkannt, darunter
● das Recht der Beschäftigten, sich frei zu organisieren, also Gewerkschaften zu bilden
● das Recht, Kollektivverträge auszuhandeln
● das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
Auch in der EU wären solche Verhältnisse vielen Unternehmen recht. Deswegen verlangen Gewerkschaften die Aussetzung der TTIP-Verhandlungen. Es darf schließlich nicht sein, dass etwa die Gründung eines Betriebsrats als Handelshemmnis gilt. Auch eine Anhebung von Lohnuntergrenzen wäre nach Abschluss des TTIP-Abkommens nicht möglich. Vor kurzem hat ein französisches Unternehmen Ägypten verklagt, weil dort der Mindestlohn erhöht wurde.
Kultur als Ware
In vielen europäischen Staaten wird Kultur aus öffentlichen Mitteln gefördert. Das schafft Vielfalt und erlaubt ein Kulturschaffen jenseits der ökonomischen Zwänge von Angebot und Nachfrage. In den USA dagegen gelten Kultureinrichtungen als Wirtschaftsunternehmen.
Die Buchpreisbindung, die kommunalen Zuschüsse für Theater, Orchester oder freie Kulturinitiativen, die Filmförderung – all das könnte den Abkommen zum Opfer fallen. Deswegen wehren sich immer mehr Regisseure, Theaterleute, Musikerinnen, Buchhändler und Schriftstellerinnen gegen das, was beschönigend "Freihandel" heißt.
Private Schiedsgerichte
Zu den Freiheiten, die die Freihandelsabkommen TTIP und CETA den Unternehmen gewähren, gehört die Freiheit, Staaten zu verklagen, wenn die Firmen ihre "legitimen Erwartungen" auf Profit geschmälert sehen. Das ist mit Absicht so schwammig formuliert. Denn so können Konzerne behaupten, dass neue Umweltbestimmungen, besserer Verbraucherschutz oder eine Erhöhung des Mindestlohns ihre Rendite beeinträchtigen.
Ähnliche Verträge gibt es bereits – aber auf Basis zwischenstaatlicher Abmachungen, die gekündigt werden können. Mit TTIP und CETA wird diese Praxis ein für alle mal festgeschrieben. Findet ein Unternehmen, dass politische Entscheidungen seinem Geschäft schaden, kann es vor einem Sondergericht auf Entschädigung klagen. Dieses tagt im Geheimen, ist mit drei Privatpersonen besetzt und gegen das Urteil ist keine Revision möglich. Und: Es dürfen nur Firmen klagen. Staaten haben dieses Recht nicht, BürgerInnen sowieso nicht. Auf Basis eines solchen Schiedsstellen-Urteils musste Ecuador 2012 einem US-Öl-Multi 1,8 Milliarden US-Dollar zahlen, weil die Regierung nach Protesten eine bereits genehmigte Probebohrung untersagt hatte. Auf dieser Basis verlangt auch der Energiekonzern Vattenfall 3,7 Milliarden Euro von den deutschen SteuerzahlerInnen. Grund: der Atomausstieg. Gleichzeitig fordern deutsche Investoren und Banken vom spanischen Staat über 700 Millionen Euro, weil die finanziell klamme Regierung die bis zu Beginn der Krise großzügige Solarförderung zusammengestrichen hat.
Inzwischen haben mehrere Staaten – darunter Indien, Argentinien, Brasilien, Südafrika und Australien – sämtliche Investitionsschutzabkommen gekündigt. Sollten TTIP und CETA Realität werden, ist dies den EU-Staaten nicht möglich. Und wir können all unsere Bemühungen um besseren Arbeitsschutz, schonenderen Umgang mit Ressourcen, mehr Schutz für uns VerbraucherInnen und vernünftige öffentliche Dienstleistungen vergessen.
Was können wir tun?
Ohne Widerstand von unten sind TTIP, CETA und TISA nicht zu verhindern. Dass es Opposition gibt, zeigen die weit über 800.000 Unterschriften, die bislang allein in Deutschland gegen TTIP zusammenkamen. Und die vielen lokalen und regionalen Bündnisse, die derzeit entstehen. Wie groß die Sorge vor einer Eimischung der BürgerInnen ist, zeigt ein aktueller Entscheid der EU-Kommission: Sie verwarf am 11. September eine von europaweit über 180 Organisationen lancierte Europäische Bürgerinitiative (EBI). Gegen diesen Entscheid klagt nun das grosse europäische Bündnis, das mittlerweile auf über 240 Gruppierungen angewachsen ist. Zudem organisieren nun die Initiativen in der ganzen EU eine eigenständige EBI.
Im Landkreis Konstanz informiert das Konstanzer Bündnis regelmässig über die Freihandelsabkommen – und sammelt an Infoständen Unterschriften.
PS: Das Konstanzer Bündnis gegen TTIP, Ceta und TISA wird getragen von einem Dutzend Einzelpersonen und unterstützt von: den attac-Ortsgruppen Singen & Konstanz, dem Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) Konstanz und im Landkreis, dem ver.di-Bezirk Schwarzwald-Bodensee, dem Ortsverein Medien KN (in ver.di), der Grüne Hochschulgruppe, dem Kreisverband Die Linke KN, der Linksjugend ´solid, dem Buchladen Schwarze Geiß, der Grüne Hochschulgruppe, dem Firmenverband Netzwerk:Zukunft:Wirtschaft, dem Beratungsunternehmen seenovation, der Permakulturgruppe Konstanz, der Energiegenossenschaft Energia Bodensee, dem Verein Mehr Demokratie e.V. und dem Online-Magazien seemoz.de. (pw)