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Deutschland: Warum so viele Grossprojekte schief laufen
Pfusch und Pleiten in der Pannenrepublik
12. Februar 2013 | Grossprojekte wie «Stuttgart 21», sagte einmal Kanzlerin Angela Merkel, entscheiden über Deutschlands Zukunftsfähigkeit. Geht es dem Land also schlecht derzeit? Und hat das mit mangelnder Baukunst zu tun?
Noch ist kein einziger Meter Tunnel für den geplanten Kellerbahnhof «Stuttgart 21» (S21) gebohrt, noch sind nicht einmal die Hälfte der 51 Planfeststellungsverfahren abgeschlossen, ohne die die Deutsche Bahn AG (DB) kein Baurecht hat – und trotzdem galoppieren die Kosten von einem Rekord zum nächsten. 2006 veranschlagte die DB die Gesamtausgaben auf 2,8 Milliarden Euro. Vor dem baden-württembergischen Volksentscheid 2011 versprachen die ProjektbetreiberInnen eine Kostenobergrenze von 4,5 Milliarden. Ende 2012 gab der DB-Vorstand zu, dass der Bau bis zu 6,8 Milliarden verschlingen könnte. Und ein Ende ist nicht absehbar: Sollte S21 je gebaut werden, dürfte die Gesamtsumme – so ernstzunehmende Schätzungen – 11 Milliarden erreichen; der geplante Fertigstellungstermin (2019) wird wohl um Jahre überschritten.
S21 ist nicht das einzige schlingernde deutsche Grossprojekt. Das Hamburger Prestigeprojekt Elbphilharmonie sollte ursprünglich 186 Millionen Euro kosten und 2010 fertig sein. Jetzt wird es – so der aktuelle Stand der Planung – 575 Millionen Euro teuer und nicht vor Anfang 2017 eröffnet. Auch für den ursprünglich auf 1,7 Milliarden Euro bezifferten Flughafen Berlin Brandenburg stand der Einweihungstermin lange fest: Oktober 2011. Dann verschoben die Verantwortlichen das Datum auf Juni 2012 – und liessen auch diesen Termin platzen. Inzwischen nennen die BetreiberInnen schon gar kein Datum für die Inbetriebnahme mehr – zu gross sind die technischen Probleme, zu tief sitzt der Pfusch. Sicher ist nur, dass das Projekt über 4,5 Milliarden kosten wird – die angekündigten Regressforderungen von Fluggesellschaften nicht eingerechnet.
Billig ist nicht immer presgünstig
Geht also gar nichts mehr in dem sonst vergleichsweise gut organisierten Land? Sind Bauplanung und Bauausführung völlig auf den Hund gekommen, jedenfalls bei Grossprojekten der öffentlichen Hand? Gewiss, ein rein deutsches Phänomen sind solche Debakel, die oft durch falsche Versprechen, Zeitdruck, fehlerhafte Kalkulation und miserable Ausführung entstehen, nicht – das zeigen Boeings Mühen mit dem «Dreamliner», die Probleme beim Airbus A 380 oder die massiven Kosten- und Terminüberschreitungen beim Bau des finnischen AKWs Olkiluoto 3. Und doch häufen sich in Deutschland die Pannen. Warum?
Gerade bei hochkomplexen Bauwerken der öffentlichen Hand spielen Zusagen eine erhebliche Rolle: Die Projekte seien schnell, billig und problemlos umzusetzen, heisst es da oft – schliesslich muss die Politik die Projekte der oft skeptischen Bevölkerung erst einmal schmackhaft machen. Das war schon immer so. Aber während früher der Staat noch über eigene Kompetenzen verfügte (also über ExpertInnen, die die Bauaufträge vergaben und den Baufortschritt sowie die Kosten kontrollierten), sind die Fachabteilungen inzwischen vielerorts weggespart: Die PolitikerInnen und Behörden wissen oft kaum noch, was Sache ist.
Dazu kommen die deutschen «Verdingungsordnungen» für Planungs- und für Bauleistungen, die bei öffentlichen Ausschreibungen verlangen, dass die billigste AnbieterInnen zum Zuge kommen. Billig heisst aber nicht unbedingt auch preisgünstig. Der politisch gewollte ruinöse Wettbewerb, den diese Regeln erzeugen, sorgt dafür, dass Pfusch oft einprogrammiert ist: Qualitativ anspruchvolles Planen und Bauen ist auf dieser Basis oft nicht möglich. Kein Wunder, beteiligen sich viele Architekturbüros und Bauunternehmen kaum noch an Erstausschreibungen – sondern konzentrieren sich auf nachfolgende Arbeiten: Wenn der Bau steht, aber das Dach leckt oder die Heizungsanlage spinnt, zahlen die Bauherren notgedrungen vernünftige Preise.
Rendite statt Qualität
Es sind jedoch nicht nur die Ausschreibungsbedingungen und die Konkurrenz, die den Bau- und Planungsunternehmen jeden Gedanken an Qualität austreiben. Auch sie selber verfolgen – oft unter dem Druck ihrer Banken und AnteilseignerInnen – nur noch Renditeziele. Vor dem marktradikalen Umbau der Gesellschaft ab Mitte der neunziger gab es in Deutschland eine Art Gleichgewicht zwischen professionellen Qualitätsansprüchen und betriebswirtschaftlichen Verwertungsinteressen: Wenn erfahrene FacharbeiterInnen von den IngenieurenInnen bis zu den HandwerkerInnen Zweifel an einem Produkt oder an einem Verfahren äusserten, hörten die Manager noch zu. Inzwischen aber geben Betriebswirtschaftlerinnen und Anwälte den Ton an.
Und so geben nicht nur bei Grossprojekten die Firmen den Druck nach unten weiter, heuern noch billigere Subunternehmen an, die wegen des ihnen aufgezwungenen Kosten- und Termindrucks Fehler einkalkulieren und ihrerseits Aufträge weitervergeben – bis hin zu Handlangern, die vom Lohn nicht leben können und sich einen Dreck um das Gesamtprojekt scheren. Und niemand hat mehr den Überblick.
Könnte es sein, dass sich nun im neoliberalen Stadium des Kapitalismus die Produktionsverhältnisse als Hemmschuh für die Entwicklung der Wirtschaft und der Technik erweisen, wie Karl Marx einmal prognostizierte? Dass die Renditeversessenheit an ihre Grenzen stösst? Zumindest bei komplizierten Grossbauwerken scheint das so. Andererseits ist da immer noch die Politik. Und die zieht demnächst, darauf deutet vieles hin, zumindest bei S21 die Notbremse. (pw)