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Deutschland: Nachruf auf Fritz Teufel (1943–2010)

Der sanfte Leibhaftige

15. Juli 2010 | Kaum ein anderer hat für die deutsche Rechtsprechung so Grosses geleistet wie der Anarchist, Kommunarde und Velofahrer Fritz Teufel.

In dem mit Revolutionären nicht gerade reichlich gesegneten Deutschland war er einer der wenigen, die sich unerschrocken und mit viel Witz der Obrigkeit widersetzten – und einer der noch wenigeren, die nie klein beigaben, keinen verrieten und auch nicht die Seiten wechselten. Für uns Jüngere in der oberschwäbischen Provinz, wo die Verhältnisse noch muffiger waren als im Rest der BRD, war Fritz Teufel ein Vorbild, der Held der 68er-Bewegung schlechthin und mit seinen Provokationen allemal prägender als Rudi Dutschke, den wir damals ohnehin nicht so richtig verstanden haben.

Und ein Vorbild ist der sanfte, bescheidene und bis zuletzt aufrechte Moralist mit der Nickelbrille auch geblieben. Fritz Teufel wurde 1943 als jüngstes von sechs Geschwistern im schwäbischen Ludwigsburg geboren. 1963 zog er nach Berlin, wo er Germanistik studierte, weil er «humoristischer Schriftsteller» werden wolle, wie er einmal sagte. In jenen Jahren fuhr er öfter nach Frankfurt und verfolgte die Auschwitz-Prozesse, wobei ihn am meisten faszinierte, «wie sich Angeklagte und Richter zum Verwechseln ähnlich sahen» (Teufel in einem Interview mit dem «Tagesspiegel»).

Diese Erfahrung, die imperialistische Politik der USA in Vietnam und die abgrundtief kleinbürgerliche Gesellschaft brachten ihn zur Überzeugung, «die historisch politische Fehlentwicklung der naziverseuchten Bundesrepublik korrigieren zu müssen». Teufel trat dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund bei, lernte Dutschke kennen und gründete mit anderen Anfang 1967 die Wohngemeinschaft «Kommune 1», die ein Gegenmodell zur bürgerlichen Kleinfamilie bilden sollte (der Keimzelle des Faschismus, wie man damals dachte). Die K1 setzte sich mit Psychoanalyse auseinander, propagierte und pflegte offene Beziehungen und plante Politaktionen – wie das Puddingattentat. Als Anfang April 1967 US-Vizepräsident Hubert Humphrey (ein entschiedener Vietnamkriegsbefürworter) Berlin besuchte, protestierte Teufel mit einer Bombe, die weltweit Aufsehen erregte und nicht nur die Boulevardpresse zu Höchstleistungen bei der Diffamierung der Antikriegsproteste antrieb. Blamabel für die Berliner Polizei und die Medien war jedoch der Inhalt der «Bombe»: Mehl und Puddingpulver.

Er sei der «Humorist mit Sitzfleisch» gewesen, umschrieb Teufel einmal seine Rolle in der Kommune, und Sitzfleisch brauchte er auch: Am 2. Juni 1967, als am Rande einer Demonstration gegen den iranischen Diktator Schah Reza Pahlevi der Polizist Karl-Heinz Kurras den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, wurde Teufel zum zweiten Mal festgenommen – wegen Landfriedensbruchs. Er soll einen Stein geworfen haben. Zwanzig Augenzeugen versicherten zwar das Gegenteil, aber die Ermittlungsbeamten blieben unerbittlich. Während Kurras, ein Stasi-Informant, von allen Behörden gedeckt und nie behelligt wurde, logen Polizisten das Blaue vom Himmel herunter. Teufel verschwand für 148 Tage hinter Gittern. Und sagte an einem der Verhandlungstage, als ihn ein Richter zum Aufstehen aufforderte, jenen sprichwörtlichen Satz, der im kollektiven Gedächtnis haften blieb: «Wenns denn der Wahrheitsfindung dient.»

Teufel wurde aus Mangel an Beweisen entlassen. Er setzte seine Provokationen fort, demaskierte die Macht – und wäre gern Teil einer «Spassguerilja» geworden, wenn das die Verhältnisse zugelassen hätten. Aber es gab keinen Liberalismus in der Politik, und so wurde er 1975 mit einer Pistole im Hosenbund und einer abgesägten Schrotflinte aufgegriffen. Wieder kam er in Haft, wegen Mitgliedschaft in der militanten «Bewegung 2. Juni» und wegen Beteiligung an der Entführung des Berliner CDU-Politikers Peter Lorenz 1974. Fünf Jahre sass er im Gefängnis. Die Staatsanwaltschaft, die wieder nur in eine – seine – Richtung ermittelt hatte, forderte fünfzehn Jahre Gefängnis. Erst am Ende des Prozesses gab Teufel sein Alibi bekannt: Er hatte während der Lorenz-Entführung in einer Fabrik Klodeckel hergestellt. Aufgrund seiner Bekanntheit, sagte er später, «habe ich zeigen können, wie ein Angeklagter für definitiv nicht begangene Taten vorverurteilt wird und wie das ganze System funktioniert»; fünf Jahre wären ihm wegen Waffenbesitz ohnehin aufgebrummt worden. Von dieser Blamage, schrieb jetzt die «Süddeutsche Zeitung», «hat sich die deutsche Justiz nie wieder erholt».

Nach seiner Freilassung 1980 jobbte der verhinderte Spassguerillero als Setzer bei der «taz», als Bäcker in London und als Velokurier in Berlin. Von militanten Aktionen – selbst jenen der RAF, die er nicht guthiess – hat er sich nie so distanziert, wie es die bürgerliche Öffentlichkeit gern gehabt hätte: «Die Vernünftigen müssen militanter und die Militanten vernünftiger werden», sagte er in einem «Spiegel»-Interview 1980. Und rückte die Verhältnisse zurecht: Die Gefahr gehe «nicht von ein paar Leuten aus, die sich selbst als Guerilleros bezeichnen», sondern «von denen, die Atomwaffen anhäufen, Flüsse verschmutzen, den Rassismus schüren, Arbeitsemigranten ausplündern».

In den vergangenen zwölf Jahren wurde es still um den an Parkinson erkrankten Rebellen, der nicht nur nach eigener Einschätzung einen Anteil daran hatte, «dass dieses Land wieder in die Gemeinschaft der Nichtverbrecherstaaten aufgenommen werden konnte». Anfang Jahr zerfrass ihm die Krankheit das Rückgrat, das die deutsche Justiz nie brechen konnte. Fünf Monate sass Menschenfreund Teufel, der als Jugendlicher von einem abenteuerlichen Leben geträumt hatte, bewegungsunfähig im Rollstuhl. Am Dienstag vergangener Woche ist er gestorben. (pw)