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Deutschland: Beliebt wie nie
Wenn Merkel das wüsste
20. September 2007 | Schon zwei Jahre ist sie im Amt, und noch immer gilt die Kanzlerin als Strahlefrau – sogar bei manchen Linken.
Vergangene Woche hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mal wieder nach allen Seiten gesprochen. Die Branche müsse «an jeder Stelle des Automobils» denken, wie der CO2-Ausstoss reduziert werden könnte, sagte sie bei der Eröffnung der Frankfurter Automesse in Richtung der um ihre Umwelt besorgten BürgerInnen. Und wandte sich dann auch sogleich der Autoindustrie zu: Diese werde sie im Streit mit der EU-Kommission natürlich unterstützen. Die Grenzwerte zur Verringerung des Treibhausgases müssten auf die verschiedenen Pkw-Leistungsklassen fair verteilt werden, betonte sie – und holte sich so den Beifall der BMW-, Porsche- und Daimler-ManagerInnen. Und überhaupt gebe es gute Chancen, «zu vernünftigen Regelungen zu kommen».
Über den Dingen
«Vernünftige Regelungen», «gemeinsam Probleme lösen», «Ausgleich finden», «alle Seiten hören», «zusammen die Herausforderungen meistern» – in jeder Rede von Angela Merkel tauchen diese Sprüche auf. Beim G8-Gipfel in Heiligendamm, beim Fototermin vor schmelzenden Gletschern in Grönland, auf Auslandsreisen, stets spricht sie von Kooperation und gemeinsamem Vorgehen. Das kommt gut an bei den Menschen. Dass die ehrgeizige Kanzlerin auch Politik betreibt, eine knallharte Interessenpolitik ausserdem, übersehen dabei viele. Nur so ist zu erklären, dass eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung wesentliche Teile ihrer Regierungspolitik ablehnt, die Person Merkel hingegen als überaus angenehm empfindet: Seit ihrem Regierungsantritt im Herbst 2005 ist sie – Umfragen zufolge – die beliebteste deutsche Politikerin.
Die Frau schwebt über den Dingen. Und das hat Methode. Als sich beispielsweise am Wochenende der deutsche Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) dafür aussprach, entführte Passagierflugzeuge abzuschiessen, geriet er – und nicht etwa seine Chefin – in die Kritik, obwohl kaum vorstellbar ist, dass Jung diese Aussage ohne deren stillschweigende Zustimmung gemacht hat. Es gibt noch viele Beispiele dieser Art:
● Für die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre (sie wird von einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt) gilt Arbeits- und Sozialminister Franz Müntefering (SPD) als verantwortlich. Keine andere Massnahme hat so sehr zum Popularitätsverlust der SPD beigetragen. Dass die Regierungschefin das Gesetz mit durchboxte, war in den Medien nur selten ein Thema.
● Das derzeitige Gezerre um die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns (siebzig Prozent der Deutschen sind dafür) wird allen möglichen CDU/CSU-PolitikerInnen angelastet, die sich dagegen sträuben – nur nicht der Kanzlerin.
● Die im Juli vom Kabinett beschlossene, höchst unpopuläre Teilprivatisierung der Bahn scheint derzeit vor allem eine Privatangelegenheit des Verkehrsministers Wolfgang Tiefensee (SPD) zu sein. Der Regierungsbeschluss dürfte die nächsten Wochen nicht überleben. Aber nicht nur deshalb hielt sich die Kanzlerin, die das verkorkste Vorhaben von Anfang an vehement befürwortete, stets im Hintergrund.
● Auch für den Bereich der «inneren Sicherheit» ist ein anderer zuständig: Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU), der schrittweise alle demokratischen Rechte aushebeln will. Aber nicht Schäuble hat gesagt, «dass es keine Räume in dieser Gesellschaft geben darf, wo die Sicherheitsbehörden keine Möglichkeit des Zugriffs haben». Sondern Merkel. Ihr aber wurde der Spruch nicht um die Ohren gehauen.
Verantwortung delegieren und im Notfall auf den Koalitionspartner SPD oder Untergebene abwälzen – dieses System hat Angela Merkel mithilfe der Medien perfektioniert. So sehr, dass einem die fünfziger Jahre in den Sinn kommen. Damals hatten sich alte FaschistInnen mit dem Argument herauszureden versucht, dass all die Verbrechen des Nationalsozialismus nie geschehen wären, «wenn nur der Führer davon gewusst hätte». Bei aller Differenz der Sachverhalte: Seither war die Kluft zwischen tatsächlicher Verantwortlichkeit und öffentlicher Wahrnehmung nur selten so gross wie heute.
Zuhören statt poltern
Das liegt vor allem am Stil der oft bescheiden und nachdenklich auftretenden Kanzlerin. Sie verfolgt zwar wie ihr Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) eine Politik der Umverteilung von unten nach oben, aber sie kleidet sie in andere Worte und andere Umgangsformen. Merkel pflegt nicht den Gestus des Hoppla-jetzt-komme-ich von Schröder und Joschka Fischer (Grüne). Sie hört sogar zu. Und lässt sich von ihren Beratern aus Unternehmerkreisen (wie dem ehemaligen Daimler-Chef Jürgen Schrempp und dem früheren Siemens-Vorsitzenden Heinrich von Pierer) nicht schon vorher alles ausreden. Als sie kürzlich nach China reiste, sprach Merkel dort auch von Menschenrechten. Keine grosse Tat, eher eine Selbstverständlichkeit. Aber ein grosser Unterschied zu ihrem Vorgänger. Von dessen Arroganz hatten am Schluss viele genug. (pw)