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Deutschland: Fauxpas mit Vorlauf
Trauerspiel nach dem Trauerfall
19. April 2007 | Nur wenigen ist eine so zügige Selbstdemontage gelungen wie dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger.
An die Leichenfeier vom vergangenen Mittwoch wird sich Günther Oettinger, Ministerpräsident des deutschen Bundeslandes Baden-Württemberg, vermutlich noch lange erinnern. Denn in seiner Rede im Freiburger Münster sagte er ein paar Sätze in Richtung der trauernden Witwe von Hans Filbinger, die ihm eine Woche später noch um die Ohren geschlagen werden und möglicherweise das Ende seiner Karriere bedeuten. Der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Filbinger, betonte Oettinger, sei «kein Nationalsozialist» gewesen: «Im Gegenteil: Er war ein Gegner des NS-Regimes.»
Der Zentralrat der Juden in Deutschland, die Gewerkschaften, HistorikerInnen, Grüne und SPD-Mitglieder protestierten sofort, die baden-württembergische FDP (sie koaliert in Stuttgart mit Oettinger) ging auf Distanz, und zwei Tage später rüffelte ihn die CDU-Bundesvorsitzende, Kanzlerin Angela Merkel. Oettinger zierte sich zunächst – es sei bedauerlich, falls seine Äusserungen missverstanden worden sein sollten, sagte er am Wochenende. Am Montag schliesslich krebste er zurück, distanzierte sich von seinen eigenen Worten und entschuldigte sich in aller Form. Für die CDU ist damit die Sache erledigt.
Der Todesrichter
Der Mann, den Oettinger mit seiner Rede weisswaschen wollte, war in Südwestdeutschland ein beliebter Politiker gewesen, der gegen Willy Brandts Ostpolitik stritt, das Abtreibungsverbot verteidigte, die CDU nach rechtsaussen rückte und bei Landtagswahlen Traumergebnisse erzielte. Hans Filbinger galt als stramm konservativer, aber honoriger «Landesvater» – bis der Schriftsteller Rolf Hochhuth 1978 herausfand, dass das frühere NSDAP-Mitglied Filbinger kurz vor Kriegsende als Militärrichter an Todesurteilen beteiligt gewesen war. Zwei mutmassliche Deserteure hatte er selbst zum Tode verurteilt (den Soldaten war allerdings die Flucht geglückt, was Filbinger sich später hoch anrechnen liess), bei einem weiteren Deserteur – dem 22-jährigen Walter Gröger – hatte er als Vertreter der Anklage die Todesstrafe gefordert und dann als leitender Offizier des Exekutionskommandos sieben Wochen vor Kriegsende auch gleich vollzogen.
In der Diskussion, die nach Hochhuths Enthüllung einsetzte, redete sich Filbinger (der 1935 die KritikerInnen des Nationalsozialismus als «Schädlinge am Volksganzen» bezeichnet hatte) zunächst heraus: Er habe stets eine antinazistische Gesinnung gehabt. Doch dann verstieg er sich zu der Behauptung, die ihn schliesslich das Amt kostete: «Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.»
Filbinger war nicht der erste CDU-Politiker, der so dachte. Im Kabinett des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer sassen mit Hans Globke und Theodor Oberländer gleich zwei überzeugte ehemalige Nazitäter. Auch Filbingers Amtsvorgänger Kurt Georg Kiesinger, Bundeskanzler der ersten Grossen Koalition, war NSDAP-Mitglied gewesen. Dass er stellvertretender Leiter der Rundfunkpolitischen Abteilung des Aussenministers und Verbindungsmann zum Reichspropagandaministerium von Joseph Goebbels gewesen war, hat seiner CDU-Karriere nicht geschadet. Aber das ist schon eine Weile her.
Warum hat sich nun Oettinger, der als schlauer, auf jeden Fall aber ausgebuffter Politiker gilt (immerhin hatte er seinen populären Vorgänger Erwin Teufel aus dem Amt gebissen), so in die Ecke manövriert? War es Kalkül? Wollte er, der sich als Modernisierer sieht und dem als erstem baden-württembergischen CDU-Landeschef eine Koalition mit den Grünen zugetraut wird, einfach dumpfe Ressentiments an der Basis bedienen? Wenn ja, dann ist ihm das gelungen. Denn kaum waren seine Sätze zum Skandal geworden, bellte es von der Alp und aus dem Schwarzwald: Der Zentralrat der Juden solle besser schweigen, denn Kritik wie die an Oettinger fördere nur den Antisemitismus.
Aber wieso hat Oettinger als Mitglied des Bundespräsidiums der CDU nicht mitgekriegt, dass die Bundesspitze der CDU mittlerweile eine andere Haltung zur deutschen Geschichte hat als noch vor Jahrzehnten – und dass in Berlin mit Merkel eine Ostdeutsche mit ganz anderer Sozialisation den Ton angibt? Und warum brauchte es so viel öffentlichen Druck, bis er sich entschuldigte?
Verdiente Leute
Der 53-jährige Oettinger, der seit seinen Studententagen in Tübingen einer schlagenden Verbindung angehört, hat schnell Karriere gemacht. Der Jurist sass bereits im Alter von 31 Jahren im Landtag, übernahm danach in Berlin und Stuttgart wichtige Funktionen, wurde 2001 zum Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion gewählt und besiegte bei einer Mitgliederbefragung (es ging um die Nachfolge von Erwin Teufel) die damalige Kultusministerin Annette Schavan, die dann von Merkel ins Berliner Kabinett geholt wurde.
Ein alerter Politiker also, der aber – wie viele württembergische Konservative – hinter jeder Kritik an seiner Politik eine linke Verschwörung vermutet. Hatte nicht der damalige Ministerpräsident Teufel anlässlich des 90. Geburtstags von Filbinger 2003 gesagt, dass Filbinger «Opfer einer Kampagne» wurde? Damals regte sich niemand auf. Und konnte nicht die baden-württembergische CDU – ohne grosses Aufsehen zu erregen – zum 100. Geburtstag von Kiesinger 2004 eine Wanderausstellung durchs Land schicken, die Kiesingers «Widerstand» gegen das NS-Regime lobte?
Es waren wahrscheinlich diese unwidersprochenen Bekundungen, die Oettinger das sagen liessen, was er wirklich denkt: Dass die Ahnherren der CDU zwar menschlich irgendwie versagt, sich aber – anders als Linke und JüdInnen – halt doch ums «Volksganze» verdient gemacht haben. (pw)