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Deutschland: Neuordnung der Linken

Fein, aber klein?

2. Juni 2005 | Kommt es oder kommt es nicht, das Bündnis der deutschen Linksparteien? Sicher ist: Eine solche Chance kommt so schnell nicht wieder.

Seit Montag dieser Woche verhandeln die Führungsgremien der vornehmlich ostdeutschen PDS und der gewerkschaftlich orientierten Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit (WASG) über ein gemeinsames Vorgehen bei der vorgezogenen Bundestagswahl im September. Nicht anwesend bei den Treffen, die vorläufig noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, sind die möglichen Spitzenmänner eines solchen Bündnisses: Gregor Gysi von der PDS und der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine, der letzte Woche aus der SPD ausgetreten ist. Wenn sich PDS und WASG zusammenschlössen, «kommen wir bei der Bundestagswahl auf acht bis zehn Prozent», hatte Lafontaine gesagt und damit eine breite Diskussion entfacht.

Drei Probleme

So appellierten in einem Aufruf rund hundert Linke (PDS- und WASG-Mitglieder, Attac-VertreterInnen, BetriebsrätInnen, AktivistInnen der sozialen Bewegungen und Intellektuelle) an die beiden Parteien, sich zusammenzuraufen und eine Wahlpartei zu gründen. Angesichts der absehbaren «Verschärfung des neoliberalen Kurses» und der erwartbaren weiteren Militarisierung der Gesellschaft, die sowohl bei einem schwarz-gelben wie bei einem rot-grünen Erfolg drohe, habe «die Linke eine grosse Verantwortung und eine ernsthafte Chance», schreiben die UnterzeichnerInnen des Appells.

Es spricht ja auch viel für eine Bündelung der linken Kräfte: Bei der Landtagswahl im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) kam die im Westen marginale PDS auf gerade mal 0,9 Prozent der Stimmen. Die WASG, die sich nur ein paar Wochen zuvor als Partei konstituierte, erreichte aus dem Stand zwar 2,2 Prozent, ein Achtungserfolg für eine so junge Organisation. Aber das ist bei weitem nicht genug, um in der nun kurzfristig anberaumten Bundestagswahl bestehen zu können.

«Jetzt muss jeder über seinen Schatten springen», sagt Bernd Riexinger, «wenn wir im Bundestag eine linke Kraft etablieren wollen.» Riexinger ist WASG-Vorsitzender in Baden-Württemberg und Geschäftsführer der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di in Stuttgart. Er hält ein Linksbündnis für «absolut notwendig, auch wenn es die Wahlalternative zerreisst». Seiner Schätzung nach lehnt etwa die Hälfte der Mitglieder die Idee ab. Ein Teil kritisiere die PDS von links, andere hingegen seien aus der SPD und sogar der CDU zur Wahlalternative gestossen und hätten grundsätzliche Bedenken.

Dennoch sei die Entscheidung richtig, sagt Riexinger. Man könne zwar weiter «bei drei Prozent herumkraxeln», aber in drei Monaten komme man «sicher nicht auf über fünf Prozent». Diese Hürde aber muss jede Partei schaffen, die im Bundestag vertreten sein will. Bei der letzten Wahl vor drei Jahren ist die PDS daran gescheitert. Sie errang zwar zweistellige Prozentzahlen im Osten, kam im bevölkerungsreicheren Westen aber kaum über ein Prozent hinaus. Und nach dem NRW-Ergebnis sieht es nicht danach aus, als würde die PDS im September den Sprung über die fünf Prozent schaffen, zumal sie ohne ein Bündnis gegen die WASG antreten müsste und die aus Ostdeutschland stammende Kanzlerkandidatin Angela Merkel (CDU) im Osten ein Wir-Gefühl auslösen könnte, das der PDS schadet.

Alles spricht für ein Bündnis. Aber warum tun sich die Parteien so schwer damit? Ein Problem stellt das deutsche Wahlrecht dar, das reine Wahlbündnisse wie die italienische Olivenbaum-Allianz ausschliesst. Denkbar wäre allerdings die Gründung einer Wahlpartei, die von den beiden Organisationen gegründet werden könnte, ohne dass sich die Parteien selber auflösen müssten (was ohnehin weder die PDS noch die WASG wollen). Ein zweites Problem bereitet der kurze Zeitraum. Eine solche Wahlpartei müsste – so das Wahlgesetz – mindestens neunzig Tage vor der Bundestagswahl, also bis Mitte Juni, gegründet werden. Das wäre knapp zu schaffen. Bleibt das dritte, schier unüberwindliche Problem: die inhaltlichen und politisch-kulturellen Differenzen zwischen den beiden Linksparteien in Ost und West.

«Vom Programm her gesehen sind die Unterschiede nicht sehr gross», sagt Bernd Riexinger. «Aber wir haben die Wahlalternative gegründet, weil wir eben nicht der PDS beitreten wollten.» Und warum nicht? «Der PDS hängt ewig der Makel der Ostpartei an, ausserdem ist sie über ein etatistisches Verständnis des Sozialstaats kaum hinausgekommen.» Wichtiger aber noch sei, dass die PDS in Landesregierungen sitzt (Berlin und Mecklenburg-Vorpommern), «in denen sie den Sozialabbau mit vorantreibt. Wie sollen wir da einen gemeinsamen Wahlkampf gegen Sozialabbau führen?» In Berlin kämpfen die Gewerkschaften seit langem gegen einen SPD/PDS-Senat, der als erste Landesregierung aus dem GAV für den öffentlichen Dienst flüchtete und einen Sparkurs mit all seinen Folgen (Entlassungen, Arbeitszeitverlängerungen, Privatisierungen, Lohnkürzungen) betreibt.

Konservative PDS

Die Kommunistische Plattform, der radikal-etatistische Flügel in der PDS, lehnt hingegen gerade wegen dieses Widerstands von WASG-Mitgliedern in Berlin die Bündnisidee ab. Auch die PDS-Führung ist skeptisch: Da sei noch viel Überzeugungsarbeit an der Basis nötig, sagte beispielsweise Gysi in einem Interview. Vor allem die älteren Parteimitglieder seien nicht begeistert. In den ostdeutschen Ländern ist die PDS im Wesentlichen eine strukturkonservative Partei mit einer Basis, der es oftmals schon reicht, wenn ihre Führung mitregieren darf. Die PDS-Spitze wiederum glaubt, dass sie bei der nächsten Wahl mindestens drei Direktmandate gewinnt, die der Partei einen Einzug in den Bundestag ermöglichen würden. Mit dem Sieg ihrer KandidatInnen in mindestens drei Wahlkreisen kann eine Partei auch dann ins Parlament einziehen, wenn sie an der Fünfprozenthürde scheitert. Bei der letzten Wahl gewann die PDS nur zwei Direktmandate.

Dass PDS-Chef Lothar Bisky seit Montag mit dem WASG-Vorstand «ernsthafte Gespräche mit offenem Ausgang» führt, hat mit der Erkenntnis zu tun, dass die PDS im Westen nie Fuss fassen wird (wie die NRW-Wahl zeigte) – und mit den enormen Hoffnungen in ein linkes Bündnis. «Wir haben nur jetzt die Chance», sagt Riexinger. «Wenn die SPD die Wahl verliert, wird sie wieder in Richtung Sozialdemokratie rücken und alle Linken für ihre Politik mobilisieren wollen.» Links blinken, rechts steuern – so wie es die deutsche Sozialdemokratie im Wechsel von Opposition und Regierung halt immer getan hat.

Und was ist mit Lafontaine, der etwas egozentrischen Galionsfigur eines möglichen Bündnisses? «Ich halte ihn in den Fragen, um die es geht – Sozialabbau und neoliberale Politik – für absolut glaubwürdig», sagt Riexinger. «Wir wollten ihn in der Gründungsphase der WASG nicht dabeihaben, weil Leute wie er die gesamte Medienöffentlichkeit auf sich ziehen. So was zerstört alle Ansätze.» Aber sein Bruch mit der SPD sei ja nicht persönlicher Natur gewesen, sondern ein Richtungsentscheid.

Heute sei die Wahlalternative stabil genug, um einen Lafontaine auszuhalten. Und auch einen Gregor Gysi, die schillernde Figur der PDS. Und so fragt sich nur, ob die unterschiedlichen linken Politkulturen in Ost und West, der staatsorientierte und der bewegungsorientierte Ansatz, die Chance wahrnehmen. Obsiegen jedoch die BedenkenträgerInnen auf beiden Seiten, «bleiben wir fein, aber klein». Und unbedeutend. (pw)