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Buchkritik: «Nord-Irland für Reisende»
Für Gott und Ulster
13. Juni 2017 | Ohne die Unterstützung der nordirisch-protestantischen DUP könnte die konservative Wahlverliererin Theresa May nicht weiter regieren. Warum in Nordirland vieles anders ist, beschreibt ein kluges Buch.
Wer hätte das gedacht? Nach der nordirischen Regionalwahl Anfang März sah es ganz so aus, als würde die stockkonservative protestantische Democratic Unionist Party (DUP) dauerhaft an Zuspruch verlieren. Schliesslich hatte sie gegenüber den irisch-nationalistischen Parteien und den moderaten Ulster Unionists an Stimmen und Sitzen eingebüsst. Und nun das: Seit der Unterhauswahl am Donnerstag sind die britischen Konservativen auf die Partei angewiesen, die einst vom Prediger Ian Paisley gegründet worden war. Denn entgegen aller Erwartungen konnte die DUP (bei einer Gesamtzahl von achtzehn nordirischen Mandaten) ihre Unterhaussitze von acht auf zehn erhöhen. Das sind genau die zwei Sitze, die Premierministerin Theresa May nun das Amt sichern.
Wie kommt es, dass die DUP wieder so stark geworden ist, dass ihre bisherige Koalitionspartnerin in der nordirischen Regionalregierung, Sinn Féin, ebenfalls zulegte – und die kleineren Parteien sämtliche Sitze verloren? Das liegt am Mehrheitswahlrecht, an dem auch in Britannien feststellbaren Trend zurück zum Zweiparteiensystem und daran, dass im gespaltenen Nordirland bis heute keine breite soziale Bewegung entstehen konnte: Zu tief sind die Gräben zwischen den beiden Gemeinschaften.
Vor allem aber hat die pro-britische DUP «viele der verunsicherten Unionisten gewinnen können, die um ihren Einfluss bangen und ein Ende der Union mit Britannien fürchten». Die demographischen Verschiebungen in Nordirland zugunsten des irisch-katholischen Bevölkerungsteils und die unkalkulierbaren Folgen des Brexits, so der Republikaner und Gewerkschafter Tommy McKearney, hätten «das Lagerdenken der Protestanten zementiert». Jedenfalls verfehlten die alten DUP-Slogans («Keine Zugeständnisse!», «Kein Zurückweichen!», «For God and Ulster!») ihre Wirkung nicht.
Friedensprozess in der Krise
Von dieser Kompromisslosigkeit profitierte der Gegenpol zur DUP, die ehemalige IRA-Partei Sinn Féin (SF). Sie gewann sieben Mandate (vorher vier), die aber nicht wahrgenommen werden: Der von Unterhausabgeordneten verlangte Eid auf die Queen würde die britische Herrschaft über Nordirland legitimieren.
Über ein Jahrzehnt hinweg hatten DUP und SF die nordirische Regionalregierung angeführt, zusammengezwungen durch das Friedensabkommen von Karfreitag 1998. Im Januar jedoch liess SF die Koalition platzen; die anstehenden Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung wurden immer wieder verschoben – und mit London im Rücken wird sich die DUP noch weniger veranlasst sehen, SF als gleichberechtigten Partner anzuerkennen und der Vertretung der irisch-katholischen Bevölkerung auf Augenhöhe zu begegnen.
Die nordirische Regierungskrise wird sich in die Länge ziehen; ein Scheitern des Friedensprozesses ist nicht ausgeschlossen; davor warnte sogar der frühere Premier John Major. Zumal SF-Präsident Gerry Adams, kaum hatten die Wahllokale geschlossen, die Forderung nach einem Referendum über die Zugehörigkeit Nordirlands erneuerte. Sollte London weiter auf einen «harten Brexit» setzen (inklusive einer befestigten Landgrenze zwischen dem Vereinigten Königreich und dem EU-Staat Irland), ist ein Votum zugunsten eines Anschlusses an die Republik denkbar. Durchaus möglich, dass die DUP mit ihrer Haudrauf-Politik somit das Gegenteil dessen bewirkt, was sie anstrebt.
Dafür haben ihre bigotten und homophoben PolitikerInnen nun ein Zwischenziel erreicht. «Wir werden alles tun, damit Jeremy Corbyn nicht an die Macht kommt», versprach DUP-Chefin Alene Foster nach der Wahl. Für die unionistischen Hardliner ist Corbyn, der sich früher als andere PolitikerInnen für eine politische Lösung des Nordirlandkonflikts engagiert hatte (und deswegen auch mit SF sprach), ein «Terroristenfreund» und ein «Feind von Ulster». Doch auch dieser Erfolg könnte von kurzer Dauer sein – so unsicher, wie die politischen Mehrheitsverhältnisse derzeit sind.
Kein Religionskonflikt
Wie kommt es, dass bald zwanzig Jahre nach dem Karfreitagsabkommen die beiden Gemeinschaften nicht zueinander gefunden haben, die Gegensätze eher noch wachsen? Antworten darauf gibt das Buch «Nord-Irland» von Michael Graf. Die Publikation ist zwar als Reiseführer für alle jene konzipiert, die Nordirland auf eigene Faust erkunden wollen, beschäftigt sich jedoch auch mit der Geschichte und dem aktuellen Zustand der nordirischen Gesellschaft.
Graf schildert Hintergründe, blickt auf den Nordirlandkrieg zurück (der rund 3600 Menschen das Leben kostete), analysiert die räumliche, soziale und schulische Segregation, beschreibt in kurzen Kapiteln die wichtigsten Akteure, Institutionen und Ereignisse der letzten Jahrzehnte. Und die Religion? Zwar handele es sich bei der von DUP-Gründer Paisley aus der Taufe gehobenen Free Presbyterian Church um «die konservativste aller calvinistischen Kirchen Europas», so Graf, von Beruf Pfarrer. Wichtiger aber als konfessionelle Gegensätze seien die unterschiedlichen historischen, kulturellen, politischen Identitäten, deren Wurzeln in die Zeit der britischen Kolonisierung Irlands zurückreichen.
Auf knappem Raum erläutert der Autor, ein exzellenter Kenner Nordirlands, was die UnionistInnen von den NationalistInnen trennt, wer sich weshalb republikanisch oder loyalistisch nennt, was die Blockadehaltung der DUP anrichtet und warum bisher weder die Konfliktparteien noch die Londoner Zentralregierung den vielen Opfern des Kriegs gerecht wurden.
Im zweiten Teil des Buchs folgen Reisehinweise und empfehlenswerte Reiserouten. Wer sich einen Einblick in die komplexen Verhältnisse verschaffen will, findet im deutschsprachigen Raum derzeit keine bessere Lektüre. (pw)