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Buchkritik: Die neue Studie «Macht.ch»

Wie mächtig ist das Geld?

20. Mai 2016 | Gemessen an der Millionärsdichte ist die Schweiz ein Riese und Deutschland ein Zwerg. Aber können Reiche ihren Besitz auch in politische Macht ummünzen?


Cover des Buchs «Maacht.ch»Die global wichtigste Steueroase liegt mitten in Europa. Trotz der Kanal-Inseln, trotz der City von London, trotz der Bahamas, dem US-Bundesstaat Delaware, Irland und wie die vielen Regionen heissen, in denen die Reichen der Welt ihr Vermögen vor dem Fiskus verstecken: Die Schweiz gilt immer noch als grösster Off-shore-Finanzplatz der Welt. Rund 26 Prozent des gesamten Fluchtgelds, 2200 Milliarden US-Dollar, liegen laut jüngsten Schätzungen bei einer der 280 Banken oder 200 Versicherungen, die in der Schweiz sitzen. Und auch wenn das Bankgeheimnis inzwischen Löcher aufweist wie ein Emmentaler: Der Geldzustrom hält weiter an.

Das hat eine kleine Schicht sehr reich gemacht. Und deren Reichtum nimmt rasant zu. 1989 verfügten die 300 Reichsten in der Schweiz über ein Gesamtvermögen von rund 82 Milliarden Franken, umgerechnet knapp 75 Milliarden Euro. Ende 2014 waren es bereits 589 Milliarden Franken – ein Zuwachs von über 700 Prozent. Laut einer Untersuchung von Credit Suisse verfügt derzeit ein Prozent der privaten Steuerpflichtigen in der Schweiz über mehr versteuerbares Nettovermögen als die übrigen 99 Prozent.

Was bedeutet das für das Land? Wie nutzen die Privilegierten den Einfluss, der mit ihren Vermögen einher geht? Wie münzen sie ihn um in politische Macht? Das haben Basler Soziologen um den Wissenschaftler Ueli Mäder untersucht; ihre Studie ist vor kurzem unter dem Titel macht.ch – Geld und Macht in der Schweiz im Zürcher Rotpunktverlag erschienen.

Nicht nur Kapital und Immobilienbesitz

Aber kann man Macht messen, ist sie überhaupt fassbar? Wer Milliarden hat, muss schliesslich nicht viel sagen, um zu bekommen, was er (oder sie) will. Und beziffern lässt sich Einfluss ohnehin nicht. Das sieht auch Ueli Mäder so: «Natürlich ist Geld Macht», sagt er, allerdings sei Macht über das reine Geldvermögen hinaus auch verknüpft mit sozialen Netzwerken, also dem sogenannten sozialen Kapital, «mit kulturellem Kapital und Erfahrungen, die gerade im Finanzbereich entscheidend dazu beitragen, dass Geld dort eingesetzt wird, wo es sich optimal verwerten lässt». Macht hängt jedoch nicht allein von Kapital und Immobilienbesitz ab. Aber von was dann?

Für ihre facettenreiche Annäherung an die Politik der Ökonomie haben Mäder und seine Kollegen viele Interviews mit Verwaltungsratspräsidenten, Verbandsvorsitzenden, CEOs, Wissenschaftler und Politikern geführt, Fakten zusammen getragen, Tendenzen aufgespürt. So galten früher die beiden Kammern des Schweizer Parlaments – der Nationalrat und der Ständerat – als «verlängerter Arm der Privatwirtschaft». Viele Abgeordnete waren selber Unternehmer oder von der Industrie in die Legislative entsandt worden. Das war zu jener Zeit, als die wirtschaftsnahe FDP noch Staatspartei im Wortsinn war: für das Gewerbe, aber auch für einen starken Staat. Inzwischen jedoch hätten sich Politik und Wirtschaft entkoppelt, zitiert die Studie den früheren Bundesrat (Minister) Moritz Leuenberger. Grund dafür: Das neue Personal in den Chefetagen wird global rekrutiert, hat keine Bodenhaftung mehr und verfügt zum Teil über nicht einmal mehr rudimentäre Kenntnisse des politischen Betriebs: «Ich habe viele Manager kennen gelernt, die wussten nicht, was ein Bundesrat ist.»

An Stelle des direkten Mandats ist die private Interessenvertretung getreten. Vor kurzem habe er ein Protokoll von Novartis zugestellt bekommen, sagt Mäder im Gespräch mit «Oxi», «in dem explizit steht, dass es nicht mehr nötig sei, die eigenen Leute in den Nationalrat zu entsenden – man habe auch so gute Beziehungen zur Exekutive und den Verwaltungen».

Mont Pèlerin und die Folgen

Politischer Einfluss lässt sich inzwischen auf gut über Netzwerke und persönliche Beziehungen ausüben. Eine besondere Rolle spielen beispüielsweise die Stiftungen. Laut offiziellen Angaben haben knapp 13.000 gemeinnützige Stiftungen ihren Sitz in der Schweiz, die jährlich zwei Milliarden Franken ausgeben – für wohltätige Zwecke, für Kunst, für Sport (selbst der linke Rotpunktverlag, der Mäders Studie publiziert hat, kommt ab und zu in den Genuss einer Zuwendung). Das dient der Imagepflege und hilft Steuern sparen. Zu diesen gemeinnützigen Stiftungen gehören auch Thinktanks wie die privatwirtschaftlich finanzierte Avenir Suisse, die unter der Leitung des früheren NZZ-Witschaftsredakteurs Gerhard Schwarz die bürgerlichen Parteien mit Expertisen munitioniert. Oder das World Economic Forum (WEF), das seit 46 Jahren jene Treffen in Davos veranstaltet, auf denen sich die globale Elite aus Politik und Wirtschaft vernetzt. Diese Denkfabriken sind nicht zu unterschätzen: Sie schaffen wie die 1947 von Friedrichs von Hayek in der Nähe des Genfer Sees gegründete Mont-Pèlerin-Society jene Hegemonie, die dem Wirtschaftsliberalimus trotz aller Krisen eine schier unantastbare Dominanz im ökonomischen Denken sichert.

Dieses Denken ist in der Schweiz allgegenwärtig und durchzieht alle Schichten. Dabei wird die Ökonomisierung aller Lebensbereiche nicht nur von Konservativen vorangetrieben – das zeigt die Studie vieler Berufsbiografien wie etwa der des früheren linken Aktivisten Serge Gaillard, der nach seiner Zeit als Chefvolkswirt des Schweizerischen Gewerkschaftsverbands SGB an die Spitze der Schweizer Finanzdirektion aufrückte. Und so verwundert wenig, dass sämtliche Initiativen für eine gerechtere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums von der Stimmbevölkerung abgelehnt wurden. Egal, ob es um die Einführung eines Mindestlohns, die Anhebung des Urlaubanspruchs auf sechs Wochen, um Arbeitszeitverkürzung oder die Abschaffung von Steuerprivilegien für Millionäre ging: Die linken Vorstösse scheiterten, weil sich meist mit zwei Drittel, manchmal sogar drei Viertel der Abstimmenden dagegen aussprachen.

Warum? Dafür hat Ueli Mäder mehrere Erklärungen: Die Drohgebährden der Bürgerlichen («wenn es der Wirtschaft schlecht geht, so argumentieren sie, gehe es allen schlechter»), die Hoffnungen vieler, «ebenfalls einmal zu den Besserverdienenden zu gehören» sowie die verbreitete Tendenz, dass sozial Benachteiligte oft sich selber die Schuld für ihre Not geben. Dazu kämen die tiefe Verunsicherung und die Zukunftsängste der Mittelschicht: «Sie sind wütend auf den Staat und das erhöht ihre Bereitschaft, sich rechtspopulistisch zu verorten, wo sie die einfachen und klaren Ruhe- und Ordnungsbilder bekommen», sagt Mäder.

Seine Analyse speist sich aus vielen Quellen; zentral dabei ist die Nähe zu den Akteuren – und der Bereitschaft vieler Reicher und hochrangiger Manager, mit linken Soziologen zu reden. Eine ähnliche Studie wäre in Deutschland kaum denkbar. Die Schweiz ist mit ihren acht Millionen Einwohnern übersichtlich. «Die Wege sind kurz, das hilft», sagt Mäder. Zudem sei die Gesellschaft «weniger hierarchisiert und autoritär strukturiert» – in dem kleinen Land, in dem selbst Bundesräte meist mit der Bahn unterwegs sind, begegnen sich die meisten Menschen auf Augenhöhe. Dazu die vielen Volksabstimmungen: Wer sich da zu verschlossen gibt, andere Meinungen nicht akzeptiert oder zu elitär auftritt, hat schon verloren.

Wie ein Rhizom

Ein Parlament, dessen Abgeordnete einem Hauptberuf nachgehen (zwei Drittel haben eine juristische Ausbildung), eine Regierung, die konsensorientiert agiert, dazu seit Gründung des modernen Bundesstaats (1848) stabile bürgerliche Mehrheiten auf Bundesebene – in der Schweiz müssen die Reichen nicht beständig um Einfluss ringen, sie haben ihn längst. Und doch: Macht verläuft nicht nur von oben nach unten. Sie breitet sich – dies eine wesentliche Erkenntnis der Studie – zuweilen wie ein Rhizom, eine dicht über dem Boden wachsende Pflanze, flächendeckend aus und durchdringt alle gesellschaftlichen Bereiche. Selbst soziologische Arbeiten haben mitunter Wirkung: Nach der Veröffentlichung einer früheren Untersuchung über Working poor in der Schweiz «hat sich der Chef des grössten Einzelhandelskonzerns bei mir beschwert», erinnert sich Mäder, «und gesagt: Wenn Ihr mit Eurer blöden Studie nicht so oft in den Medien gekommen wärt, hätten wir mit der Anhebung der unteren Löhne noch etwas warten können.»

Auch sonst geht nicht alles immer nach Wunsch der Eliten. So haben die Schweizer mit grosser Mehrheit alle Verschlechterungen des Rentensystems AHV zurückgewiesen, die von der mehrheitlich bürgerlichen Regierung bisher versucht wurden: Die AHV bittet die Reichen zur Kasse und begünstigt die Armen. (pw)

Dieser Artikel erschien zuerst in der neuen Monatszeitung «Oxi».