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Buchkritik: «Korea»

Der Bulldozzer und der Bubi-Diktator

27. August 2012 | Das Wissen über die koreanische Geschichte und den innerkoreanischen Konflikt ist nicht arg weit verbreitet, schon gar nicht unter JournalistInnen. Jetzt schafft ein Buch Abhilfe.


Titelblatt «Korea. Von der Kolonie zum geteilten Land»Da ist er wieder, der «Bubi-Diktator» («Bild-Zeitung») von der «Achse des Bösen» (George Bush) und randaliert durch die Schlagzeilen: «Kim Jong-Un droht den USA mit Krieg», hiess es vergangene Woche, und: «Nordkorea droht USA mit ‹tödlichen Schlägen›». Dabei hatte der nordkoreanische Staatschef lediglich gesagt, dass seine Regierung nicht tatenlos zusehen würde, wenn US-amerikanische und südkoreanische Truppen ihr gemeinsames Manöver zu einem Angriff auf das Land nutzen würden. Gewiss, Kim Jong-Un hatte seine Warnung in martialische Worte gepackt. Aber droht das kleine Nordkorea den mächtigen USA wirklich mit Krieg? Oder nutzen viele Medien einfach nur die Gelegenheit, um mal wieder das Feindbild Nordkorea aufzupolieren?

Ganz ausgeschlossen ist es freilich nicht, dass es erneut zu Feindseligkeiten kommen könnte – allerdings nicht angezettelt von Pjöngjang, sondern von der konservativen Regierung in Seoul. Denn seit dem Wahlsieg von Lee Myung-Bak im Jahre 2007 herrscht wieder Eiszeit zwischen den beiden koreanischen Staaten, die sich zuvor auf vielerlei Ebenen angenähert hatten. «Bulldozzer» Lee geht davon aus, dass das Regime im Norden in absehbarer Zeit implodiert, er also nur abwarten und Härte demonstrieren muss. Wenn er sich mal nicht irrt: Allzu oft schon war der Kollaps des rohstoffreichen Nordkorea vorhergesagt worden, zuletzt nach dem Tod von Kim Jong-Uns Vater Kim Jong-Il Ende 2011. Doch die Machtübergabe verlief reibungslos – und nicht nur das. Der neue Herrscher verfolgt zudem eine vorsichtige Reform- und Modernisierungspolitik, die das System stabilisieren könnte. Das wäre gut für eine friedliche Entwicklung auf der koreanischen Halbinsel – vor allem dann, wenn die militaristisch-antikommunistischen Beharrungskräfte bei der bevorstehenden Parlamentswahl im Süden eine Niederlage hinnehmen müssten. Ausgeschlossen ist das nicht. Denn es sieht ganz so aus, als hätte die Generation der Zwanzig- bis Vierzigjährigen allmählich genug von den Rechten und ihrer Blockade der Entspannungspolitik.

Zwei Experten

Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass sich Nord- und Südkorea zumindest verbal wieder an die Gurgel gehen? Und warum eigentlich ist die Halbinsel trotz der Befreiung 1945 und trotz der Beendigung des Kalten Kriegs eine Konfliktregion geblieben? Diesen Fragen gehen Du-Yul Song und Rainer Werning in ihrem Buch «Korea – von der Kolonie zum geteilten Land» nach. Die beiden Autoren sind Spezialisten auf diesem Gebiet. Werning war jahrelang Vorsitzender des deutschen Korea-Verbands und unterrichtet als Korea-Dozent an der Internationalen Akademie für Internationale Zusammenarbeit. Und Song, bis vor kurzem Soziologieprofessor in Münster, erlangte eine gewisse Berühmtheit: Er hatte im Oktober 2003 nach 37 Jahren im deutschen Exil auf Einladung einer halbstaatlichen Organisation erstmals wieder Südkorea besucht und war dort verhaftet, gefoltert und wegen Verstoss gegen das Nationale Sicherheitsgesetz (NSG) zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Das Repressionsinstrument NSG, das heute noch in Kraft ist, verbietet unter anderem jeden unautorisierten Besuch des nordkoreanischen Territoriums (Song war in den siebziger Jahren einmal dort gewesen). Gewissermassen über Nacht mutierte der Wissenschaftler mit deutschem Pass zum «grössten Spion seit Gründung der Republik» (so die südkoreanischen Massenblätter); erst eine internationale Kampagne bewirkte im Juli 2004 seine Freilassung.

Das Buch setzt – zu Recht – früh an. Es beschreibt die Annektion Koreas 1910 durch die ostasiatische Regionalmacht Japan, schildert die zahllosen Massaker der japanischen Kolonisatoren an der Bevölkerung, zeigt anhand von Einzelschicksalen die grauenhaften Misshandlungen der rund 100000 koreanischen Zwangsprostituierten und erwähnt fast nebenbei, dass ein Viertel der Atombombenopfer von Hiroshima und Nagasaki nach Japan verschleppte ZwangsarbeiterInnen waren.

Ein wichtiger Brückenkopf

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Korea erneut die Lage des Landes zum Verhängnis: «Eingekeilt zwischen den übermächtigen Nachbarn China und Sowjetunion und nur durch eine schmale Meerenge vom besiegten Japan entfernt, wo die US-Streitkräfte das Sagen hatten», bildete die Halbinsel «einen geo- und militärstrategisch bedeutsamen Brückenkopf». Während sich ab September 1945 im Norden Volkskomitees unter dem Schutz der Roten Armee daran machten, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern (Landreform, Verstaatlichung der Grossindustrie, Achtstundentag, Mindestlohn), unterdrückte die US-Militärregierung im Süden die von PartisanInnen und oppositionellen Kräften gebildeten Volkskomitees und stärkte die Grossgrundbesitzer und Kollaborateure. 1948 folgte die Teilung: Zuerst wurde die südliche Republik, dann die nördliche Volksrepublik gegründet. Im Juni 1950 schliesslich überquerten nordkoreanische Panzereinheiten den 38. Breitengrad – und wurden «von Millionen von Südkoreanern begrüsst», wie ein Mitglied der US-Militärregierung später zugab.

Der Koreakrieg (er dauerte bis Juli 1953) verheerte das Land. Nach einer langen Phase des Wiederaufbaus kam es 1972 zu ersten Annäherungen, im Süden entstand eine breite Demokratisierungsbewegung (die mit Hilfe der USA zuerst niedergeschlagen wurde, in den achtziger Jahren aber nicht mehr zu stoppen war), und mit Kim Dae-Jungs «Sonnenscheinpolitik» ab 1998 schien ein grosser Schritt gemacht. Doch dann gewann George Bush junior die US-Präsidentschaftswahl.

All diese Entwicklungen zeichnen die Autoren sachkundig nach: die sozialen Kämpfe, die vielen politischen Rückschläge, die gegenseitigen Atombombendrohungen, die ständige Einmischung ausländischer Mächte. Manchmal wiederholen sie sich (der Aufstand und das Massaker auf der südkoreanischen Insel Jeju wird gleich zweimal thematisiert) und das Kapitel über die nordkoreanische Dschutsche-Ideologie ist etwas dünn geraten. Aber man lernt viel bei der Lektüre – und glaubt danach nicht mehr jeder Schlagzeile. Mehr kann man von einem Buch kaum erwarten. (pw)